Deckengemälde von Marc Chagall im Pariser Palais Garnier (Ausschnitt) © Thomas Prochazka

Deckengemälde von Marc Chagall im Pariser Palais Garnier (Ausschnitt)

© Thomas Prochazka

Zum Saisonbeginn:
Mozarts » Die Zauberflöte «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Die Première der aktuellen Zauberflöten-Produktion der Wiener Staatsoper fand an Mozarts Geburtstag statt. Betrand de Billy hatte das Dirigat während der sechswöchigen Probenzeit von Franz Welser-Möst übernommen. In der zweiten Serie um den Monatswechsel April/Mai war Adam Fischer am Pult gestanden, und Patrick Lange wird die Saison 2025/26 mit der dritten Vorstellungsserie eröffnen.

II.
Die Ausbeute des Abends vom 5. Mai: ein Mozart-Dirigent, ein Tenor und, mit Abstrichen, ein Baß. Und prinzipielle Fragen betreffend den moralischen Kompaß unserer Zeit.

III.
Wirft man das Netz der Geschichte über die Entstehungszeit dieses » Theater-Meteors «, landet man (wie auch Laurenz Lütteken in seinem Buch1 ausführt) am Ende der Aufklärung; — einer Epoche, in welcher der Mensch die Welt noch durch den Verstand zu erklären suchte. Die Sonne, das Licht, der Tag ward dem männlichen, die Nacht, die Dunkelheit, der Schein des Mondes dem weiblichen Prinzip zugeordnet; hie der Verstand, dort das Gefühl. Lütteken führt Johann Gottfried Herders 1774 erschienene Aelteste Urkunde des Menschengeschlechts an, in welcher einander die Sonne als König des Tages, der Mond als Königin der Nacht gegenüberstehen.2 Freilich besitzt selbst die Nacht ihren Helligkeitszauber: Der Bericht der Drei Damen von der sternflammenden Königin gibt Zeugnis davon. Stefan Mickisch erwähnt auch das Luziferische als Teil der Dunkelheit. Es sind diese, den Freimaurern Schikaneder und Mozart durchaus bekannte Prinzipien, welche als Gegensätze Die Zauberflöte bestimmen. Im seit Jahrzehnten gehandhabten, regisseurstheatralischen Unfug, Gegensätze aufzuheben und die Fallhöhen der Werke zu verkleinern anstatt sie zu betonen, zeigt sich das Unwissen nicht nur den Opern, sondern auch der menschlichen Natur gegenüber.

IV.
Barbora Horáková verlegte die Handlung der teutschen Oper, wie sie Emanuel Schikaneder bezeichnete, in die Gegenwart; — freilich, ohne sich daraus ergebende Konsequenzen für die Produktion mitzudenken. Isabella Gregor sicherte sich mit ihrer Neufassung der Dialoge zwar keinen Platz im Vorstadthotel der Librettisten, doch ein paar Tantiemen. Kaum verwunderlich, daß sie im Sinne des Gutmensch*Innendentums, soweit möglich, alle Hinweise betreffend die Tatsache tilgte, daß Monostatos von Schikaneder als Mohr konzipiert wurde.

Zeit also für ein paar prinzipielle Fragen: Wie kann es sein, daß sich der im heutigen Kunstbetrieb den Ton angebende Teil der Gesellschaft den anderen moralisch überlegen und daher berechtigt fühlt, in seinem wokeness-Wahn die Verwendung von dunkler Schminke auf unseren Bühnen als verabscheuungswürdig zu brandmarken? Ist es so schwer einzusehen, daß auf dem Theater alles Verstellung und nichts wirklich ist? Daß an diesem Ort Wahrheit aus dem Spiel mit der Stimme (in der Oper: aus dem Gesang) erwächst?

Monostatos darf also, dramaturgisch-gesellschaftlichen Unsinns wegen, kein Mohr sein, wie im Personenverzeichnis angegeben. Seltsam: Gegen die diktatorisch von Sarastro über Monostatos verhängte Strafe von 77 Sohlenstreichen, zu Mozarts Zeit durchaus als barbarisch angesehen, macht niemand Einwände geltend. Zwar wird das Urteil, wie Monostatos im zweiten Aufzug selbst berichtet, nicht vollzogen. Doch weist Sarastro den Mohren darauf hin, daß er nur der Ereignisse des Tages wegen der Bastonade entgeht. Diese Dialoge fallen allerdings zu oft der vorgeblichen » Straffung « zum Opfer. Doch legen derartige (Text-)Änderungen nicht zuvörderst das Unwissen jener bloß, die sie veranlassen?

Interessanterweise scheint man in den Zensorstuben der Dramaturgie und der Intendanzen ebensowenig gegen Sarastros Aussage […] Ein Mann muß eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten einzuwenden zu haben. Tendenziös erscheinen alle Umtextungen nicht zuletzt deshalb, weil Papagenos Text nach dem ersten Zusammentreffen mit Monostatos nicht nur jetzt in Wien, sondern immer öfter gestrichen oder ersetzt wird: Bin ich nicht ein Narr, daß ich mich schrecken ließ? — Es gibt ja schwarze Vögel in der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen? In diesen, der Toleranz verhafteten Worten, nicht in deren Weglassen, stellten Schikaneder und Mozart die Prinzipien der Aufklärung vor: den Schlüssel zur Gleichberechtigung der Menschen aller Hautfarben und Rassen. Und was anderes als ebendiese Gleichbehandlung fordert Monostatos, wenn er darüber sinniert, daß er die Liebe meiden müsse, weil angeblich ein Schwarzer häßlich ist? Steckt in diesen Worten — er will von Pamina ein Küßchen — nicht seine Anklage wider die Welt? Warum also wird Monostatos’ Text geändert, da es den Vertretern jener » gesellschaftlichen Werte « doch vermeintlich genau um das geht, was Monostatos fordert?

Wie ist es um das Quintett Bekämen doch die Lügner alle der Drei Damen, Taminos und Papagenos bestellt, nachdem letzterem das Mundschloß abgenommen wurde? Wiederum hören wir die Ideale der Aufklärung als zentrale Botschaft. Zu wem anderes als an das Publikum gewandt sollten diese Worte gesungen werden?

Ebenso oft wird überhört, daß auch Pamina Aufnahme in die Priesterschaft finden soll. Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig und wird eingeweiht, singen die Zwei Geharnischten. Schikaneders und Mozarts in der Zauberflöte geäußerte Weltsicht entpuppt sich als viel moderner als die heutigen, untauglichen Versuche auf unseren Bühnen.

V.
In der Wiener Staatsopernproduktion entkam kaum eine Zeile der originalen Dialoge dem im Ungeist des Gutmensch*Innendentums durchgeführten Kahlschlag: ausradiert alles, was die Aufklärung für uns Heutige bereithielte. Dafür Unidiomatisches, Pseudo-Intellektuelles zu Papagenos Unprüfbarkeit, von Ludwig Mittelhammer im Sinne der Regisseuse und im Stile eines schlecht vorbereiteten Sextaners bei der Prüfung dargeboten. Bei Schikaneder trägt Papageno die Schellen mit Stolz: Ich Narr vergaß der Zauberdinge, schilt er sich, als ihm die Drei Genien (Knaben) raten, Papagena mit Hilfe seines Glockenspieles herbeizurufen.

Im Grossen vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste von Johann Heinrich Zedler (1706 – 1751) kann man lesen, daß es dem Narren an der Urteilskraft fehlt, […] er nicht unterscheiden kan, was gut oder böse, klug oder thöricht sey.3 Im Tarot steht » Der Narr «, die Karte aus der Großen Arkana mit der Nummer 0, für das Nichts, den Anfang. (Im Tarock-Spiel wurde » Der Narr « sogar zum Sküß oder G’stieß, der Karte mit dem höchsten Wert.) Seine Entsprechung ist das » Alpeh «, der stimmlose erste Buchstabe des hebräischen Alphabets. Der Narr plant nichts, weil er nicht weiß, was » Planen « bedeutet. Er kennt keine Bedürfnisse. Er lebt im Hier und Jetzt. Wie ein Kind erfreut er sich an dem, was kommt. Damit aber erweist er sich als frei von allen Zwängen und, seiner Natur gemäß, als unprüfbar — so wie Papageno.

Betrachtet man Die Zauberflöte mit dem Wissen um die gesellschaftliche Gepflogenheiten ihrer Entstehungszeit, erweitert sich die Zahl der darin schlummernden Botschaften noch einmal. Papageno singt, daß er, sobald er alle Mädchen (zumindest seiner Welt) gefangen hätte, er mit einer Ausnahme für diese Zucker eintauschte: Die, welche mir am liebsten wär’, der gäb’ ich gleich den Zucker her. Zum Verständnis dieser Zeilen lohnt das Wissen, wonach Zucker bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als Kostbarkeit galt und sein Genuß den Reichen vorbehalten war. (Der Großteil der Bevölkerung süßte mit Honig.)

Am anderen Ende des Gefühlsspektrums stehen die Selbstmordabsichten Paminas und Papagenos. Trotz des hellen Jahrzehnts josephinischer Reformen blieb die römisch-katholische Kirche untrennbar mit dem täglichen Leben verwoben, bestimmte Jahresablauf und Festtage. Selbstmord, wie ihn auch Johann Wolfgang von Goethe in Die Leiden des jungen Werther thematisierte, galt als unverzeihlich. Er führte zum Ausstoß aus der Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, der Verweigerung eines Grabes am Kirchhof, der Verwirkung der Auferstehung und des ewigen Lebens. Der Wille zum Selbstmord illustriert also Paminas unendliche Verzweiflung ebenso wie die des Vogelmenschen, nachdem er die junge Papagena, ihm an Gestalt nicht unähnlich, gesehen hat. Papagena wird so zu jener, welche ihm am liebsten wär’.

VI.
Mozarts Wahl der musikalischen Mittel für Die Zauberflöte böte sowohl für die szenisch Verantwortlichen einer Produktion als auch das Publikum genügend, worüber nachzudenken lohnte: Die beiden in ihrer Anlage großen und in ihrer Form mit jenen der Figuren in den Da Ponte-Opern vergleichbaren Arien sind der Königin der Nacht vorbehalten: die erste bestehend aus Accompagniato-Rezitativ, Andante und Allegro steht in der Hoffnungstonart B-Dur. (Jahre später wird sich südlich der Alpen die in der Hochblüte des Belcanto übliche Form von recitativocavatinacabaletta herausbilden.) Der Königin zweite Arie ist auf ein Allegro assai im auch als Todestonart bekannten d-Moll reduziert. Es geht ja um nichts weniger als Sarastro zu morden.

Die Arien von Sarastro, Papageno und Monostatos komponierte Mozart in der auch dem Publikum der niedrigeren Stände vertrauten Form des Strophenliedes. Zwar sind die Strophen von Sarastros erster Arie unterschiedlich gestaltet, in der zweiten — wie auch in den Arien Papagenos und Monostatos’ — sind die Wiederholungen jedoch identisch.

Warum wählte der Komponist für seine » Große Oper « vornehmlich diese musikalische Form? Für die Da Ponte-Opern schrieb Mozart in der damals gebräuchlichen Form zweiteilige, komplexe Arien, verlangte seinen Sängern große Virtuosität ab. (Man denke an Donna Annas Non mi dir bell’idol mio mit ihren finalen Koloraturen, an welchen heute fast alle Sängerinnen erfolgreich scheitern.) Sollte Mozart daran gelegen sein, Schikaneders Text dem Publikum auf der Wieden unmittelbar nahezubringen? War eventuell sogar daran gedacht, Sarastro während seiner » Hallen-Arie « aus seiner Rolle treten zu lassen, dem Publikum zugewandt? Schließlich erzählt der Text von nichts anderem als dem in der Aufklärung gewonnenen Bekenntnis, ein jeder möge mit den anderen fried- und respektvoll umgehen.

Von all diesen Überlegungen muß ein Opernbesucher freilich nichts wissen. Für einen Regisseur scheinen sie mir gemeinsam mit der Betrachtung der sich daraus ergebenden Konsequenzen für eine Produktion unerläßlich.

VII.
Emanuel Schikaneder entwarf Tamino durchwegs nicht als jenen Held, als welchen ihn auch die aktuelle Staatsopernproduktion zeigt. Seine aria agitata Zu Hilfe, zu Hilfe steht in c-Moll. Erst mit des Prinzen Ohnmacht, dem Eintritt der Drei Damen und deren Tötung der Schlange wechselt die Musik in die Paralleltonart, das heldische Es-Dur. Ein weiteres Indiz für den Helden ohne Wert ist, daß ihn Schikaneder bei seinem Auftritt zwar mit Bogen, doch ohne Pfeil ausstattet. Kein ernstzunehmender Krieger hätte je gesäumt, sich neuer Pfeile zu versichern, ehe er den letzten verschoß. Obwohl Tamino sich dem Vogelfänger als » Prinz « vorstellt, lassen Librettist und Komponist keinen Zweifel daran, daß Pamina die Stärkere der beiden ist: Sie erinnert Tamino in der Feuer- und Wasserprobe, sich zu beider Schutz der Zauberflöte zu bedienen.

Dieses » Helden « Beeinflußbarkeit geht soweit, daß ihn bereits Paminas Bildnis in Entzücken versetzt. Mozart eröffnete Taminos Arie übrigens mit der musikalischen Figur der exclamatio, einer nach Johann Gottfried Walther aufsteigenden kleinen Sext als Ausdruck freudigen Affekts. Außerdem wählte der Komponist, dem Tonartenkanon der Zeit entsprechend, die Heldentonart Es-Dur (mit Einschüben in c-Moll für die Momente der Fragen).

VIII.
Was begab sich nun in der Aufführung?

Schon während der Ouverture fuhren drei Lausbuben mit BMX-Rädern auf die Bühne. Die Technik projizierte für sie ein gezeichnetes, verlassenes Haus auf einen schwarzen Vorhang. Nachdem die drei unter Begehung des Deliktes des Hausfriedensbruches in das Haus eingedrungen waren, gab man die Bühne frei für eine verfallene Halle. In dieser, anthrazitfarben, eine rundum ansteigende Treppe. Ein paar schmiedeeiserne Käfige, zum Teil aus dem Schnürboden hängend und mit Vogelskeletten darin. Im Hintergrund ein altes Klavier, spielbereit, im Vordergrunde links ein Grab mit weißem Holzkreuz, rechts ein Kohlengrill. An den Wänden alte Schwarzweißbilder einer Frauensperson: Pamina. Die drei » Jungens « (© Erich Kästner) treiben Schabernack, spielen ein paar Akkorde am Klavier, nur um mit dem Ende der Ouverture ihre Räder und Rucksäcke zu ergreifen und nach links abzugehen. (Die Notwendigkeit all dieses Tuns erschloß sich wahrscheinlich nur der Spielvogtin.)

Später werden den drei Halbwüchsigen in diesem verwunschenen(?) Haus Katzenohren und Fell anstatt ihrer Haare wachsen. Doch keine Panik: Das Zauberwort der Generation Z heißt » amusement «; — auch ob dessen, was ihr widerfährt. Nichts ist es also mit den Genien, welche Schikaneder und Mozart erdachten und in Musik setzten, nichts mit den drei Knäbchen, jung, schön, hold, und weise, die Tamino und Papageno auf ihrer Reise umschweben sollen. Wieder einmal galt das, was einem Spielvogt als Idee durch’s Hirn rauschte, nicht, was die Schöpfer in Partitur und Textbuch niedergeschrieben hatten.

Ebenso unklar blieb, warum Tamino ebenfalls das verlassene Haus betrat. (Hausfriedensbruch, der zweite.) Selbstverständlich ohne den Bogen, den Schikaneder ihm zugedacht hatte. Tamino fällt in eine Ohnmacht, wie Papageno sagen würde. Die Drei Damen kamen, jede eine Voodoo-Puppe in der Hand (warum eigentlich?) und rissen dem Ohnmächtigen die Überkleider vom Leib. Nur die Überkleider: Es sollen ja schließlich auch neue Besucherschichten angelockt werden, auf deren Prüderie Bedacht zu nehmen ist. Warum die Drei Damen den Prinzen entkleideten (nur um ihm später einen sauberen Anzug zu bringen?), wurde ebensowenig klar wie der schnelle Griff der einen Dame nach dem ihr im Wege stehenden Grabkreuz, um dieses kurzerhand einen Meter weiter weg wieder aufzustellen … So, verehrte Damen und Herren, liebe Kinder, erschafft man im 21. Jahrhundert Illusionen auf dem Theater.

Papageno wurde im Luster aus dem Schnürboden herabgelassen, um sein Strophenlied zu singen und sich während des Dialogs mit Tamino das Essen am Grill zuzubereiten. Doch anstatt Papageno ein Schloß vor den Mund zu schlagen, knebelten ihn die Drei Damen mit Tape, fesselten ihm die Arme an den Körper und zwangen ihn in sitzender Haltung in einen der auf der Bühne stehenden Käfige. — Welche Absurdität: Die Gutmensch*Innenden brandmarken die Verwendung von dunkler Schminke auf den Bühnen als verabscheuungswürdig, doch niemand erhebt lautstark Einspruch dagegen, daß die Spielvogtin — ohne jede Referenz auf die Partitur, wohlgemerkt — Papageno in einen Käfig sperren läßt wie die U.S.-Regierung einen vermeintlichen Staatsfeind auf Guantanamo Bay (mitunter sogar ohne Gerichtsverfahren). Wie weit darf sich der moralische Kompass einer Gesellschaft eigentlich von Nord entfernen?

Bei der Besetzung hat es um die Stimme gehen. Und nur um die Stimme.

Conrad L. Osborne

In dieser Tonart ging es weiter, bis sich zum Finale — selbstverständlich war’s nichts mit der alles überstrahlenden Sonne — alle auf der Bühne treffen, die doch zernichteten Heuchler erschlichener Macht wieder auferstehen, man sich paarweise zusammentut und gemeinsam im Alltagsgewand in Es-Dur die Schönheit und Weisheit besingt …

IX.
Cyrille Dubois agierte als Tamino weniger glücklos als Julian Prégardien in der Premièren-Serie. Dubois’ Ton war kräftiger; allerdings entwickelte seine Stimme in lauteren Passagen ein unschönes, rasches Vibrato. Eine mehrere Takte bindende Gesangslinie blieb eher zufälliges denn gewolltes Ergebnis von Dubois’ Bemühungen. Der Franzose befindet sich damit, und nicht nur an jenem Abend, in zahlreicher Gesellschaft.

Jörg Schneider sang Monostatos. Schon in der ersten Phrase horchte auf, was Ohren hat: Das klang um soviel besser als Dubois’ (und auch Prégardiens) Gesang, daß sich die Frage stellt, warum man, wenn es einen Tenor mit Schneiders Können am Haus gibt, die Tenorhauptpartie an einen Gastsänger mit schlechterer Gesangstechnik vergibt. Hört man schlecht im Besetzungsbüro der Wiener Staatsoper? Ist das Wissen darum, was eine Opernstimme ausmacht, bereits so stark erodiert? Oder spielen andere Faktoren wie Alter, Aussehen oder Gewicht eine Rolle? Und: Kann das überhaupt der Fall sein in einer Branche, welche doch das Prinzip der Nichtdiskriminierung so stolz vor sich her trägt? Bei der Besetzung hat es um die Stimme gehen. Und nur um die Stimme, stellte Conrad L. Osborne, der Doyen der U.S.-amerikanischen Opernkritik, immer wieder fest.

X.
Serena Sáenz scheint in Wien ein Abonnement auf die Königin der Nacht zu besitzen. Warum, bleibt auf Grund ihrer gesanglichen Leistungen unklar. Denn die Partie der sternflammenden König erfordert nicht nur die hohen Sopran-› f ‹ (an ihnen fehlt es Sáenz nicht), sondern auch eine profunde Tiefe und Mittellage. Edda Moser, eine in der Geschichte der Oper nicht ganz unbedeutende Interpretin dieser Partie, meinte einmal: Wichtig ist die Tiefe. Dann kommt die Höhe von allein. Bei Sáenz: wenig von beidem. Verschliffene Koloraturen, notierte ich im Winter ebenso wie im Mai, und: luftiger Ton. (Man achte in den kommenden Vorstellungen besonders auf die ersten Minuten.) Sáenz’ Darstellung der Partie wollte sich nicht in den Abend fügen; war unglaubwürdig, weil: überspannt. Daß die Regisseuse ihre Königin der Nacht von den Drei Damen in einem gläsernen Schaukasten auf die Bühne ziehen läßt, während jene Sie kommt! zu singen haben: ein weiterer Kopfschüttelmoment dieses an Unsinnigkeiten nicht armen Abends.

Erfreulich war das Wiedersehen mit Franz-Josef Selig als Sarastro. Der Mann kann singen (immer noch). Sein Sarastro stellte stimmlich etwas dar, erfreute mit voller Stimme, selbst wenn die eine oder andere Phrase unzureichend gelang. Die Stimme Seligs überwand die Narben einer drei Jahrzehnte währenden Karriere ebenso wie er den Trotteleien trotzte, zu welchen ihn diese Produktion zwang. Welch ein Unterschied auch zum zwar noblen, aber mit kaum überbietbarer stimmlicher wie schauspielerischer Blässe agierenden Georg Zeppenfeld im Winter.

Der Papageno des Ludwig Mittelhammer erreichte für mich gesanglich wie darstellerisch nicht die Leistung von Michael Nagl, dem winterlichen Einspringer. Nagls Bariton, so hatte ich notiert, klang kompakt und — ein Vorurteil, ich weiß — erfreute mit seiner weichen Diktion und dem » österreichischeren « Tonfall mehr als Mittelhammers Instrument. Letzterer schien mir zu sehr mit Witz und verstellter Stimme gesangliche Unzulänglichkeiten überspielen zu wollen. Hannah-Theres Weigl spielte eine frische Papagena.

Maria Nazarova war eine für heutige Verhältnisse und die damit verbundenen, stimmlichen Einschränkungen gefällige Pamina. Nazarova sang ihre Partie mit kräftiger Stimme, doch mit in der Höhe zu oft angestrengtem Ton und in der Tiefe fehlendem Volumen.

XI.
Adrian Autard gab einen tadellosen Ersten Priester, Clemens Unterreiner einen erfreulichen Zweiten und, in einer Doppelrolle, den Sprecher. Unterreiner ist eine verläßliche Größe in einer zunehmend unzuverlässigen Opernwelt. Ein Gustostückerl, als er den Vogelmenschen mit Großer Papageno ansprach.

Verbesserungsmöglich die Leistungen der zwei Geharnischten Norbert Ernst und Evgeny Solodovnikov. Zugegeben, die von der Spielvogtin erdachte Szene hinderte die beiden mehr als sie unterstützte: Anstelle eines ohnmenschlichen, unbeeindruckbaren Prinzips fühlte man sich mit der Barke, darein die beiden über die Bühne stakten, in die nächtliche Serenissima Offenbachs versetzt. So wurde es nichts mit der von den Schöpfern gewollten Autorität, die nicht nur nicht angezweifelt werden kann, sondern dekretiert, wie die Dinge sind.

Die Drei DamenJenni Hietala, Alma Neuhaus und Monika Bohinec — seien ebenso genannt wie die Drei Knaben (Genien) von Lina-Marie Znamenskiy, Filip Dorobantu und Elias Pakla. Der ersteren stimmliche Leistungen heischen Verbesserung an kommenden Abenden, letztere boten bereits Erfreulicheres als das winterliche, oftmals distonierende Trio (Song Contest-Gewinner hin oder her).

XII.
Mit Adam Fischer stand einer der wenigen Instanzen in Sachen Mozart am Pult. Fischers Zugriff ist musikantisch, doch niemals derb. Unter seiner Leitung drängt die Musik vorwärts; vergeht weder in Stillstand, noch rast sie hektisch. Fischer animierte das Staatsopernorchester im Repertoire zu differenziertem Klang bei gleichzeitiger Beachtung der dynamischen wie der Tempovorgaben. Die Abstimmung, so meine Notiz, sei feiner gewesen als jene der in Pawlowschem Reflex standardmedienbelobigten Mirga Gražinytė-Tyla bei ihrem Philharmonischen Debut am Tag zuvor.
Aber das ist eine andere Geschichte.

(Anmerkung: Durch einen Übertragungsfehler wurden Teile des Textes gelöscht. Diese wurden wiederhergestellt.)

  1. Laurenz Lütteken: » Die Zauberflöte. Mozart und der Abschied von der Aufklärung «, C. H. Beck, München 2024, ISBN 978-3-406-81502-7
  2. Ebda., S. 178
  3. In: Johann Heinrich Zedler: » Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste «, Band 23, 1740, S. 355f

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