
Art déco-Plafond des Théâtre des Champs-Élysées, Paris
© Thomas Prochazka
Giuseppe Verdi: » Otello «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Das Orchester: oft lärmend; über weite Strecken inflexibel. (Zu … preussisch?) Wiener Verdi statt Viva Verdi!
… Die Chöre: immer wieder ungenau im Zusammenklang mit dem Graben, vor allem in der Eröffnungsszene und im zweiten Akt (die Opernschulmitglieder nicht ausgenommen). Die Chöre also: zu laut, manchmal sogar gellend. Nach der Pause wurd’s besser. … Sollte elektroakustische Verstärkung mit im Spiel gewesen sein: Man höre, bitte, auf mit diesem Unsinn, der nichts bringt als daß er gesangstechnische Mängel stärker hervortreten läßt.
Über allem waltete Bertrand de Billy. Ohne zuviel fortune betreffend die dynamischen Abstufungen, doch mit Instinkt für die großen Bögen. Gute Gliederung. Keine Längen.
III.
Adrian Nobles Arbeit ist aus dem von Librettist und Komponist gewünschten 15. Jahrhundert gefallen. Unglaubwürdig ab der ersten Szene: Otellos Mannen wüten wider den Sturm, im Orchester flirrt und zischt und grummelt es. Doch am Kai: Windstille. Man steht sich, hübsch nach Stimmfächern geordnet, die Beine in den Bauch. In großer Toilette der Verdi-Zeit (Bühne und Kostüme: Dick Bird) und auf Schirme gestützt, mit Zylinder und Gehrock. Keine Soldaten, keine Matrosen, kein ansässiges Volk; dafür die haute volée Venedigs auf Spätherbsturlaub im Mittelmeer. (Seltsam.)
IV.
Arsen Soghomonyan heißt der für Wien neue Otello. Der Armenier wechselte 2017 als 34-jähriger vom Bariton- ins Tenorfach, war u.a. als Cavaradossi, Turridu und Calaf besetzt. Ein tenore di forza als venezianischen Flottenführer? Je, nun …
Soghomonyans Esultate!
beeindruckte mehr als vieles, was man in den vergangenen Jahren zu hören bekam. Die Struktur seines Instrumentes läßt es für das dramatischere Fach geeignet erscheinen. Dennoch: Der Aufstieg bei dopo l’armi
irritierte des offenen hohen › a ‹ wegen. Es sollte nicht die einzige Irritation bleiben.
Dieser Otello führte seine Stimme bruchlos durch das passaggio — sofern die Partie in diesem Moment nach forte oder noch größerer Lautstärke verlangte. In leisen Passagen schwächelte Soghomonyans Instrument hörbar, büßte an Kraft bzw. Volumen ein. Das Vibrato war kontrolliert, der Stimmklang in den oberen Regionen metallisch.
Soghomonyan stehen nicht allzu viele Stimmfarben zur Verfügung. Deshalb sucht er das Heil in kraftvollen Ausbrüchen. Doch derartiges Singen fordert seinen Tribut: Da war wenig von einer Linie zu hören. Bei Aufschwüngen immer wieder frisch angesetzte Töne statt des Gebrauchs von legato oder portamento.
Des Armeniers schauspielerisches Talent: überschaubar. Immer wieder drängte dieser Otello auf der Suche nach verwertbaren Zeichen ins Bühnendunkel der Rampe. Ludovic Téziers Iago lotste ihn mehr als einmal zurück in den beleuchteten Spielraum. Dennoch: Von Soghomonyan empfing ich den stärksten Eindruck.
V.
Die Kategorie des Verdi-Baritons ist, so scheint’s, ausgestorben. Wir bescheiden uns mit mehr oder weniger erfolgreichen » Einspringern « (des Stimmtypus’, nicht der Abende), erklären, was uns geboten wird — oftmals in Unkenntnis dessen, wie’s gemeint und was in alten Zeiten allgemeines Verständnis von diesen Partien war —, zur Weltklasse und verzichten auf die erforderliche Festigkeit im Ton und das für eine Rollengestaltung erforderliche stimmliche Kaliber.
Ludovic Tézier tut seit Jahren sein Möglichstes, die Lücke zu füllen: als Giorgio Germont, als Conte di Luna, als Iago. Doch fällt es von Saison zu Saison schwerer, über Téziers immer trockener klingende Stimme, das nur mehr in Momenten seine Aufwartung machende legato hinwegzuhören. Diesfalls auch: immer wieder nasale Tongebung am Beginn von Phrasen anstelle der gewünschten Lautstärke. (Man vergleiche Téziers Era la notte
mit jenem von Victor Maurel, dem Iago der Uraufführung.)
Geglückt, weil kurzweilig: Iagos Duett mit Cassio (überraschend solide: Carlos Osuna) und dem lauschenden Otello im dritten Akt. Im Credo
durch Verdis irrlichternde Komposition, Téziers Erfahrung und seine stimmliche Kraft überschminkt, offenbart sich im Finale des dritten Aktes: Dieses Iago Instrument ist von seiner Struktur her überfordert, (nicht nur) das abschließende Ecco il leone!
so triumphierend zu gestalten, wie es der Komponist ersann.
Daria Shuskova assistierte als Emilia; mit stimmlicher Präsenz erst im Finale.
VI.
Malin Byström als Desdemona … Ihrem Instrument fehlt es am stimmlichen Kaliber für die Partie. Die Struktur von Byströms einstmals lyrischer Stimme paßt nicht für die Rolle. Das sollte für jeden klar sein, der um die gesanglichen Herausforderungen der Desdemona weiß.
Schon das Liebesduett mit Otello zeigte die (zu) engen Grenzen von Byströms Instrument auf: durch falschen Gebrauch höhenlastig geworden, gab es wenig Verbindung mit der unteren Oktave. Kaum einmal entwickelte sich eine Gesangslinie. Keine Durcharbeitung, wenig musikalische Gestaltung; — wie denn, wenn eines ganz damit beschäftigt ist zu » überleben «? Immer wieder sang Byström mit weit offenem Mund, litt die Textdeutlichkeit. (Es sind dies Folgen, nicht Ursachen.) Ich hörte eine seit Jahren jenseits ihrer Möglichkeiten eingesetzte Stimme. Ein Besetzungsfehler.
So liegt der Fall.