
Luster in der Rotonde des Palais Garnier, Paris
© Thomas Prochazka
Giacomo Puccini: » Tosca «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Pier Giorgio Morandi, zehn Jahre lang Solooboist des Orchestra del Teatro alla Scala und später Assistent Giuseppe Patanès und Riccardo Mutis, scheint sich in Wien als einer der italienischen Maestri zu etablieren. Auch diesmal setzte er nicht auf Lautstärke und Tempo, sondern gab der Musik Raum. Zum Höhepunkt, weil von jeder Art vokaler Störeinflüsse frei, geriet das Vorspiel zum dritten Akt: Das Staatsopernorchester kann, wenn es will, exakt und differenziert spielen.
Allerdings … — Allerdings birgt jede Gestaltung des Orchesterklanges das Risiko der Überforderung des singenden Personals. Nicht der geforderten Lautstärke, sondern dessen unzureichenden stimmlichen Kalibers wegen. Das Ergebnis: eine anständige Repertoire-Vorstellung, nicht mehr. Trotz marktschreierischer Ankündigungen. (Im Laufe der Begebenheiten wird alles klar werden.)
III.
Inszenierungen, die in Bühnenbild und Kostümen jene Zeit vorstellen, welche Librettist und Komponist angaben, sind rar geworden. So verwundert es nicht, daß Sänger zunehmend Probleme haben, sich den damals üblichen gesellschaftlichen Normen wie kleidungstechnischen Gepflogenheiten gemäß zu bewegen. Niemals hätte sich ein Barone Scarpia bequem an einen Tisch gelehnt. Niemals hätte Floria Tosca, laut Libretto die gefeiertste Sängerin Roms, ohne Schleier ein Gotteshaus betreten oder diesen darin abgenommen. Das Tragen eines Schleiers in der Kirche galt als Zeichen der Bescheidenheit vor Gott ebenso, wie es Teil der Mode war. Außerdem: Ein Schleier verhinderte, daß die Haare rasch staubig wurden. Die mittlerweile von fast allen Sängerinnen praktizierte Rückkehr ohne Schleier provoziert die Frage, wo Tosca ihn gelassen hat? In der Kutsche vor der Kirche?
Während in Regisseurstheater-Umdeutungen jedes Detail von äußerster Wichtigkeit zu sein scheint, ist in den Regiekanzleien niemand daran interessiert, älteren Inszenierungen dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Auch die in vielen Partituren enthaltenen Spielanweisungen werden von kaum einem Sänger mehr beachtet: Giuseppe Giacosa legte z.B. genau fest, wann Barone Vitellio Scarpia im Palazzo Farnese von seinem Tisch aufsteht oder sich setzt, wohin er sich bewegt, welcher Gemütszustand gesanglich auszudrücken ist.
Kleinigkeiten? Details? Nun … — nein. Denn in ihnen wird das Verständnis eines Hauses für sein Publikum sichtbar, jenes der Sänger für ihre Partien und das Streben nach Wahrhaftigkeit in der Kunstform Oper.
IV.
Über Ludovic Téziers Barone Scarpia habe ich bereits 2021 und 2023 gesagt, was zu sagen ist. Tézier ist und bleibt eine verläßliche Besetzung; — mit Einschränkungen allerdings, und diese werden von Serie zu Serie mehr. Diesmal triumphierte Krafteinsatz über gesangliche Noblesse, und manch schauspielerische Aktion entsprang stimmlicher Beschränkung. (Die Brutalität des römischen Polizei-Chefs sollte sich aus der Stimme speisen, nicht seinen Handlungen.)
V.
Elena Stikhina ist ebenfalls keine für Wien neue Floria Tosca mehr. Wieder notierte ich Verspannungen in der Stimme vor allem im Bereich direkt oberhalb des passaggio und fortgesetzte Textundeutlichkeit. Immer wieder mußte Stikhina Phrasen unterbrechen, um Atem zu holen. Auch Vissi d’arte
, eigentlich ein Selbstläufer, klang seltsam uninspiriert und kaum musikalisch durchgearbeitet: Puccini sah für den Großteil der Arie pianissimo oder piano vor. Erst ganz zum Schluß bei perché Signor
, sollte auf dem hohen Sopran-› b ‹ ein Ausbruch der Verzweiflung — crescendo molto bis zum forte — erfolgen. Danach gälte eigentlich wieder piano (bzw. sogar pianissimo) bis zum Schluß. Singhiozzando
(schluchzend
) notierte Puccini in der Partitur.
Als Beispiel, wie Toscas Gebet zu gestalten wäre, kann Magda Oliveros Version gelten: Sie ließ das mittlere Sopran-› es ‹ am Ende von perché me ne rimuneri
auf der Fermate bis ins forte anschwellen, ehe sie die Stimme für das beschließende cosi
wieder ins piano zurücknahm. (Man höre selbst.) Nichts von derlei gesanglicher Gestaltung bei Elena Stikhina …
VI.Wiens neuer Cavaradossi
titelte das Haus am Ring in seinem Online-Magazin. Das stimmt, wenn eines Horizont am Opernring endet. Denn nicht nur Wiener Opernfreunde wissen selbstverständlich, daß Jonathan Tetelman bereits im Jänner 2022 als Mario Cavaradossi im Theater an der Wien auf der Bühne stand: in jenem von Martin Kusej szenisch verantworteten Totalschaden.
Drei Jahre später gilt Tetelman (mit 37 Jahren) vielen als neuer Star am Tenorhimmel. Warum, erschloß sich mir angesichts seiner Leistung an diesem Abend allerdings nicht. Gewiß, er intonierte sauber, sein Instrument war laut genug für das Haus und der Text durchwegs verständlich. Allerdings klang die Stimme vom ersten Ton an abgedunkelt und verschattet. Auch in der Höhe öffnete sie sich nicht, weil — übrigens über den gesamten Stimmumfang — mit sehr viel Druck geführt. Tetelmans » Jagdrevier « ist die obere Mittellage mit ab dem mezzoforte erfolgreichen Beutezug in der Höhe. In piano zu singenden Passagen war die Tongebung des öfteren unebenmäßig. Manche Phrase verebbte vor der Zeit — vor allem abseits seiner Arien.
Aufmerksamen Zuhörern entging auch nicht, daß Tetelman bereits in der ersten Arie von Silbe zu Silbe den Stimmdruck ändern mußte — legato definiert sich anders. La vita mi costasse
wurde zu La vita mi costa-ha-sse
mit eingelegtem » Sprungbrett « am hohen › gis ‹, um das nachfolgende › h ‹ sicher zu erreichen. Auch sonst blieb vieles im Ungefähren; — von getreuer Beobachtung der dynamischen Vorgaben auch in der zweiten Arie war wenig zu bemerken. Doch wen kümmert Cavaradossis Verzweiflung angesichts des nahen Todes, wenn nur schöne Töne ins Rund schallen, man sich seinem Publikum wie in bester Provinzmanier an der Rampe präsentieren kann? Tenor Time.
Im Fall Tetelman wage ich allerdings die Frage: Wie lange noch?