Johann Strauss zum 200. Geburtstag

Musikverein Wien

Von Thomas Prochazka

Die Kerzen sind verloschen, die Torte gegessen, der Champagner getrunken. Die Noten dürfen wieder ins Archiv. Bis Neujahr, bis zum Frühlingskonzert, bis zur nächsten (Asien-)Tournee.
» Strauss-Kompetenz « à la Wien.

II.
Anläßlich des 200. Geburtstages am 25. Oktober bat die Johann.Strauss-Festjahr2025 GmbH. die Wiener Philharmoniker zur zweimaligen Wiederholung des vor einem Jahrhundert gespielten Festkonzertes und die Wiener Symphoniker zu einer Hommage an Johann Strauss. Das Wiener Johann Strauss Orchester ließ mit seinem Konzert zum Nationalfeiertag die Festivitäten ausklingen.

III.
Die drei Programme überschnitten sich nur in wenigen Werken: Der Vergnügungszug, die Polka schnell, op. 281, bildete die Zugabe der Philharmoniker-Konzerte und war Programmpunkt des Johann Strauss Orchesters. Dieses spielte ebenso wie die Symphoniker die Ouverture zur Operette Der Waldmeister, RV 515-OU, den Kaiser-Walzer, op. 437, und die Tritsch-Tratsch-Polka, op. 214. Die Stadt Wien hatte für die Symphoniker auch die Wiener Sängerknaben engagiert, das Johann Strauss Orchester beließ es bei der Instrumentalfassung.

IV.
Der Samstag bescherte der Musikwelt auch drei Uraufführungen, welche in weitestem Sinn Johann Strauss umkreisen sollten. Die Wiener Symphoniker und Anne-Sophie Mutter spielten Max Richters Three Dances und When the World was waltzing von John Williams: ersteres uninspirierte — vor allem im Vergleich zu den Kompositionen Philip Glass’ — minimal music in drei Teilen für Violine und Orchester, zweiteres mit der oscar-gestählten Pranke des Filmmusikkomponisten verfertigt: Der Mann versteht sein Handwerk — na no na ned, nach E.T., Star Wars, Indiana Jones und den ersten drei Harry Potter-Filmen. Dennoch beschlich mich der Eindruck, Williams hätte Wertvolleres zu schaffen gewußt ohne den (wohl geforderten) Einsatz einer solistischen Violine.

Das dritte Werk brachten die Wiener Philharmoniker zu Gehör: Georg Breinschmieds Schani 200. Es war das stärkste der drei neuen Werke; — am meisten mit dem verwoben, was wir mit Johann Strauss identifizieren. Auch Breinschmied — für wenige Jahre Kontrabassist im Orchester der Wiener Staatsoper — huldigte mit einer solistisch hervortretenden Violine dem überlieferten und an den Partituren ablesbaren Können des Geburtstagskindes. Nicht nur Volkhard Steude am Konzertmeisterpult hatte gut zu tun, wie man in Deutschland zu sagen pflegt. Schani 200 hinterließ den größten Eindruck der neuen Kompositionen. Es spielte am meisten mit dem Idiom der Wiener Musik. Vielleicht, weil der Komponist auch dieser Scholle entstammt?

V.
Die Wiener Symphoniker und das Wiener Johann Strauss Orchester reüssierten mit Dirigenten, die einst Mitglieder der Wiener Philharmoniker waren und in der Wiener Tradition aufwuchsen. Die Damen und Herren vom Wiener Johann Strauss Orchester mit Johannes Wildner am Pult müssen nicht über die ritardandi in den Auftakten der Walzer nachdenken. Sie spielen sie einfach. Und die Musik entwickelt sich organisch; aus dem Gefühl. Die Polkas erschallten flott, doch im Gegensatz zu den anderen zwei Ensembles niemals gehetzt. Die Steigerung im Csárdás aus der Oper Ritter Pásmán, RV 441-[19]-3, folgte der inneren Dramaturgie des Werkes. Nichts schien forciert, nichts gewollt.
Es war das wienerischte, am meisten aus dem Musikantentum erwachsene Konzert.

VI.
Die Wiener Symphoniker und Manfred Honeck erfreuten unter anderem mit einer fein abgestimmten Ouverture zur Operette Waldmeister und dem Jubilee-Waltz, RV 920. Strauss komponierte diesen Walzer auf seiner U.S.-Reise 1872, für die er ein Honorar von 100.000 USD (nach heutigem Wert ca. 2,7 Mio USD) erhielt. Der Komponist verwendete für diesen Walzer thematisches Material aus den Walzerpartien Juxbrüder, op. 208, Lava-Ströme, op. 74, Die Jovialen, op. 34, Hofball-Tänze, op. 298, Vibrationen, op. 204, und Man lebt nur einmal!, op. 167. In der Coda zitierte er im ¾-Takt die bekannte Melodie einer Komposition von John Stafford Smith aus dem 18. Jahrhundert. Seit 4. März 1931 ist diese übrigens die Melodie des Star-Spangled Banner, der Nationalhymne der USA …

Obwohl Manfred Honeck jene Schnellpolkas, für welche man sich der Mitwirkung der Wiener Sängerknaben versichert hatte, in überraschem Tempo dirigierte, ließ er die magyarischen Klänge der Ouverture zur Operette Der Zigeunerbaron harmonisch ausschwingen; gestaltete die Walzerfolgen von Wiener Blut, op. 354, mit bewundernswerter Übersicht; entkleidete den Kaiser-Walzer allen Pomps — und schuf mit dieser Einfachheit eine harmonische, klingende Wiedergabe. Dabei erinnerte des Dirigenten Bewegungs-Repertoire immer wieder an Carlos Kleibers Art, diese Musik zu modellieren. Das Ergebnis: ein Johann Strauss-Erlebnis, wie es heute kaum ein anderer Dirigent zustande bringt.
Es gibt sie noch, die Meister der Königsdisziplin: des Wiener Walzers.

VII.
Und die Wiener Philharmoniker unter Tugan Sokhiev? Sie punkteten mit der Feinabstimmung der verschiedenen Instrumentengruppen. Ließen (in einsamer Liga) jene spieltechnische Brillanz hören, welche immer schon eines der Vorzüge dieses Orchesters war. Die Streicher: samtig weich. Die Holzbläser: mehr als einmal zu … vorwitzig. Das galt übrigens auch für das zuviel Ton gebende philharmonische Solocello. Unwichtiger, hätte Carlos Kleiber gebeten. … Da hinterließen Michael Vogt mit den Symphonikern und Michael Günther mit dem Johann Strauss Orchester den besseren Eindruck. Sie gestalteten ihre großen Soli im Kaiser-Walzer innig und sehnsuchtsvoll.

Maestro Sokhiev ist die Wiener Walzer-Tradition fremd. Das eint ihn mit den meisten seiner neujahrskonzerterfahrenen Kollegen. Traten, wie bei der aufgeführten Fassung von Wein, Weib und Gesang, op. 333, oder beim Walzer An der schönen blauen Donau, op. 314, die Stimmen vom Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hinzu, wurd’s besser. Auch der Walzer Frühlingsstimmen, op. 410, mit Nikola Hillebrand in der Fassung für Sopran dargebracht, klang ausgewogener; — als hinderte(n) die Gesangsstimme(n) zu starke Tempowechsel. Denn zu oft liefen die ritardandi aus dem Ruder, dauerte es einige Takte in den nächsten Walzer hinein, ehe das Tempo di Valse wieder erreicht ward. Allerdings: Johann Strauss überschrieb nur die Auftakte mit ritardando. Über die ersten Walzertakte notierte er a tempo.

Barbara Laister-Ebner spielte das Zither-Solo in den G’schichten aus dem Wiener Wald, op. 325, mit schüchternem Klang und nicht immer ebenmäßig im Ton. Das hatte man schon selbstbewußter und, ja, besser gehört. Auch in diesem Walzer dasselbe Muster: übergroße ritardandi und Zögern bei den Eingängen am Geburtstagsnachmittag — als warte der Dirigent auf das Orchester und das Orchester auf ihn.

Dieser Befund mag ungehörig klingen. Immerhin: Die Wiener Philharmoniker und Johann Strauss! — Doch man ist da, um die Wahrheit zu sprechen: Ethos des Kritikers. (Heute verpönt.) Nun denn: Man vergleiche Tugan Sokhievs Interpretation des Künsterleben-Walzers, op. 316, mit jener von Carlos Kleiber aus 1989. Man nehme gerne auch die neue, historisch-kritische Partitur zur Hand: Man wird meine Vorbehalte bestätigt finden (und vielleicht verwundert feststellen, daß die » neuen « Erkenntnisse so neu nicht sind). Kleiber war ein Meister der feinen Stimmungen, der dynamischen Abstufungen, des raschen Wechsels zwischen pianissimo, piano und forte; kein wenig variierendes Einheits-mezzoforte. (Das Bessere ist eben immer des Guten Feind.) Wer nicht soweit in die Vergangenheit zurücksteigen mag, wird auch mit Franz Welser-Mösts Wirken in den letzten Märztagen diesen Jahres bestens bedient werden.

VIII.
Vier Strauss-Konzerte an einem Wochenende also: und alle ausverkauft (bis auf ein paar wenige Stehplätze am Sonntagnachmittag). Könnte es sein, daß das Wiener Publikum mehr von dieser, seiner Musik — in entsprechender Qualität, versteht sich — hören will, als ihm die Veranstalter und Intendanten gemeinhin zuzugestehen gesonnen sind?

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