»La Cenerentola«, 2. Akt: Alessio Arduini (Dandini), Isabel Leonard (Angelina) und Paolo Rumertz (Don Magnifico) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»La Cenerentola«, 2. Akt: Alessio Arduini (Dandini), Isabel Leonard (Angelina) und Paolo Rumertz (Don Magnifico)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Gioachino Rossini:
»La Cenerentola«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

I.

Fastenzeit im Haus am Ring. Geneigter lassen sich die gestern abend gezeigten Leistungen nicht zusammenfassen.
(Die tragédie in der buffa, sozusagen.)

II.
Die Wiederbegegnung mit Sven-Eric Bechtolfs untauglicher Scene bestätigt jenen bereits anläßlich der Première manifest gewordenen Eindruck: Für die Mitwirkung in solchem Machwerk lassen sich keine ersten Sänger engagieren. Die Besetzungen der letzten Jahre wie auch gestern abend: eine eindrucksvolle Bestätigung.

III.
Jean-Christophe Spinosi fand sich nach dem mißglückten Ausflug ans Pult für Carmen wieder in für ihn heimischen Gefilden: Das langte immerhin für einige gute Passagen, wenngleich vielfach zu laut für die aufgebotenen Sänger. Von jenem natürlichen Fluß des Rossinischen Melos, wie ihn ein Claudio Abbado zu evociren wußte, ihn ein Riccardo Chailly unlängst mit seiner Filarmonica della Scala hören ließ, konnte freilich nur in seltenen Augenblicken die Rede sein.

Die Ouverture begann mit angezogener Handbremse, ehe irrwitzige Tempi ohne Möglichkeit des Atemholens die Oberhand gewannen. Aber sollte Rossinis Musik bei allem Brio nicht auch atmen, anstatt nach Leierkasten-Manier abgespult zu werden? Die Folge von Spinosis Wirken: immer wieder verwackelte Ensemble-Sätze, zu späte Einsätze der Sänger.

IV.
Alessio Arduini als Dandini ließ im Vergleich zum Dezember 2015 keine Fortschritte hören. Arduinis gesanglichen Möglichkeiten: für eine zufriedenstellende Gestaltung dieser Partie durchaus unzureichend. Da fehlte es an musikalischer Gestaltung, an der Phrasierung, am legato. Oder, um Thomas Hampson zu zitieren: »If you can’t sing it, doing it isn’t gonna help.«

V.
Paolo Rumetz mag ein verdientes Ensemble-Mitglied sein — Don Magnifico freilich: niemals. (Rigoletto, ausgenommen als Einspringer, an einem ersten Haus: ebenfalls nicht.) Billiger Klamauk vermag über gravierende stimmliche Mängel in der Ausführung nicht hinwegzutäuschen. Das Rossinische parlando: Es werde aus dem legato geboren. Gestern abend: harter Tonansatz, Mängel in der Phrasierung. Der Kritiker sei ein Wahrheitssager: Diese Disposition — unentschuldbares »Versehen« der Verantwortlichen.

VI.
Ileana Tonca und Margaret Plummer waren als Clorinda und Tisbe aufgeboten. Beide präsentierten sich in ihren Comprimarii-Partien mit zuwenig Stimmvolumen in den parlando-Passagen. Waren nur an jenen Stellen deutlich hörbar, in welchen die Stimmen ausschwingen durften. Es gebrach des öfteren an der Flexibilität, an jener Beweglichkeit, welche Rossinis Musik so rauschhaft werden läßt.

Der Alidoro des Luca Pisaroni erfüllte die an den Spielmacher gestellten Anforderungen. Nicht mehr.

VII.
Sein Schüler Don Ramiro verstand sich da um einiges besser auf seine Profession: Nach eher schwachem Beginn steigerte sich Maxim Mironov gegen Ende des ersten Aktes deutlich: »Zitto, zitto, piano, piano« ist aber auch so hinreißend komponiert, daß man als Sänger kaum soviel falsch machen kann, um sich um den Effekt zu bringen. Stendhal bezeichnete dieses Duett zwischen Dandini und seinem Herren als »die Springflut der Phantasie«. Dabei ist die Nummer durchaus heikel, leitet sie doch das Finale des ersten Aktes ein: Der Höhepunkt muß danach kommen. Wird »Zitto, zitto, piano, piano« zu brillant dargebracht, fällt es schwer, im Aktschluß noch eine Steigerung zu erzielen. (Wie gestern abend.)

Allerdings: Auch bei Mironov wäre ein Mehr an legato, mehr Volumen in der Stimme seines tenore di grazia vorstellbar. (Dies der Vollständigkeit halber.)

VIII.
Daß die ersten Interpretinnen für die Partie der Angelina an einer Hand abzählbar sind: Wir wußten es. Umso erfreulicher daher die Leistung Isabel Leonards. Nach scheuem Beginn und hörbarer Einteilung ihrer Kräfte (vor allem in den Ensemble-Scenen sparte sie, wo möglich) schien sie sich immer wohler zu fühlen, die Stimme besser zu gehorchen. Leonards Spiel: Scheu erst, dann überwältigt von der Pracht der Kleider. Detailreich in ihrer Hinwendung zu Don Ramiro. Doch immer zurückhaltend.

In »Nacqui all’affano e al pianto«, Angelinas großer Arie, klang Leonards Stimme schließlich frei, glitzerten die Koloraturen gleich Perlen. (Nicht alle makellos, doch waren durchaus sehr schöne Exemplare darunter.) »Non più mesta« (in der Liebestonart E-Dur) überraschte nicht nur durch zusätzlich eingelegte fiorituri: — da endlich schien Leonard das Singen zu genießen. Und ich mit ihr.

IX.
Ein versöhnlicher Abschluß, gewiß. Der Abend, alles in allem, jedoch: kein Ruhmesblatt.

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