»Madama Butterfly«, Finale des ersten Aktes: Asmik Grigorian (Cio-cio-san) und Freddie De Tommaso (B. F. Pinkerton) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Madama Butterfly«, Finale des ersten Aktes: Asmik Grigorian (Cio-cio-san) und Freddie De Tommaso (B. F. Pinkerton)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini:
»Madama Butterfly«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Eine Enttäuschung.

II.
Auffälligkeiten: Bogdan Roščić zeigte am ersten Abend dieselbe Produktion, mit der Peter Gelb, Roščićs Vorgänger als President von Sony Classical, 2006 sein Wirken als Chef der Metropolitan Opera begann. Hie wie da standen die Musikdirektoren an den Pulten: James Levine in New York, Philippe Jordan in Wien.

Hie wie da war es keine Neuproduktion: Anthony Minghellas Sicht auf Cio-cio-san erblickte schon im November 2005 an der English National Opera das Licht der Bühnenwelt. In Wien spielt man nun »nach einer ursprünglichen Kooperation der Metropolitan Opera, der English National Oper und des Litauischen Nationaltheaters für Oper und Ballett«.

III.
Carolyn Jane Choa, Witwe nach Anthony Minghella und seinerzeit als Regieassistentin und Choreographin geführt, studierte die Produktion für Wien ein. Im Einheitsbühnenbild von Michael Levine begegnet uns Japan als dunkles Land mit schwarzem, glänzenden Bühnenboden. Eine im Winkel von 45 Grad aufgehängte Spiegelfläche erlaubt einen zusätzlichen Blick von oben auf das Geschehen; — zumindest, wenn man im Parkett oder den unteren Rängen sitzt. Jenen, die den verlangten Preis für ihre Billetten am Balkon oder der Galerie bezahlt haben, bleibt diese Ansicht verwehrt. Daß solche Sicht auf die Dinge nicht erforderlich ist, scheint nicht ausgeschlossen. Wozu also der Aufwand?

Zum Hintergrund hin steigt die Bühne einer rund 1,5 Meter hohen Rampe gleich an. Darüber öffnet sich der zumeist einfarbig ausgeleuchtete Bühnenhintergrund: cyan, orange, blau, gelb, rot, violett. Nur einmal, im zweiten Akt, wird auf grünem Grund Nippons Zeichen erscheinen: eine unheilverkündende, rote Sonne (Licht: Peter Mumford). 

Gespielt wird ausnahmslos in der vorderen Bühnenhälfte vor verschiebbaren Paravents; shōji nachempfunden, den hölzernen, mit Papier bespannten Wänden traditioneller japanischer Häuser. Die Ausstattung ist sparsam. Für zwei Minuten wird uns eine billige, traditionelle U.S.-amerikanische Eßtischgarnitur vorgestellt, Marke »Eichenholz von Home Depot«. Weiters ein westlicher Fauteuil, ein Garderobenständer für Cio-cio-san, eine Reihe von fünf Theaterstühlen im ersten Akt, als wären B. F. Pinkerton und Sharpless Zuseher ihres eigenen Tuns. »America forever«; — zu einer Zeit, als der Star-Sprangled Banner noch nicht die Nationalhymne war.

Die Einbeziehung großer Räume: Sie scheint ebensowenig die Stärke des 2008 verstorbenen Oscar-Gewinners wie seiner Witwe zu sein. Die Tiefe der Bühne bleibt zumeist ungenützt, dient nur für Auf- und Abgänge. Die sieht man von der Galerie aus vor der Zeit. Bespielt wird immer nur ein kleiner Bereich. (Sieht man von Cio-cio-sans Verwandtschaft ab, die für die Hochzeitszeremonie, ihre Phantasie-Kimonos nett bäulichgrün ausgeleuchtet, Aufstellung nehmen darf.) Zumeist findet das Geschehen im linken Bereich statt; glücklich jene Besucher, die Karten auf der rechten Seite ergatterten. Mit Fortschreiten des Abends bahnt sich die Erkenntnis Raum, daß es für die Regie einer Oper, zumal in einem Logentheater, anderer Fähigkeiten bedarf als für einen Kinofilm; — »And the Oscar goes to…« hin oder her.

IV.
Eine Tänzerin (Hsin-Ping Chang) im weißen Kimono, mit güldenen Fächern und blutroten Tüchern, die ihr von dienstbaren Geistern zum obi gebunden werden, eröffnet den Abend: Cio-cio-sans Weg zur Braut als Pantomime. — Vor Beginn des zweiten Akte eine weitere: ein Augenblick des Glücks für Cio-cio-san und Pinkerton (mit der »Home Depot«-Tischgruppe). Man zeigt Überflüssiges. Verhält sich damit rücksichtslos wider den Tenor, zwingt ihn vor der Zeit zu einem kaum zwei Minuten dauernden pantomimischen Auftritt. Während des Vorspiels zum dritten Akt verstößt ein Tänzer (Tom Yang) eine Cio-cio-san nachgebildete bunraku-Puppe. Läßt deren langen blauen Schal durch seine Finger gleiten, bis die Puppe im Dunkel der Bühne verschwindet. Willkommen zur »Madama Butterfly-Show«.

Diese Produktion: eine oberflächliche Sichtweise unserer Zeit auf Madama Butterfly. Mit netten Effekten, gewiß: Origami-Vögel, weiße und rote Lampions in verschiedenen Formen; pantomimisch sich bewegende Geishas im Hintergrund, als Cio-cio-san Pinkertons Betragen begreift, doch noch die Konsequenz leugnet.

Der sekundäre Analphabetismus der Spielvögte: Hier trat er uns wieder einmal vor’s Auge. Gewiß, auch Japan kennt Pfingstrosen. Doch wenn im Text von Kirschzweigen, Pfirsichblüten, Veilchen und Jasmin die Rede ist — darf man dann auch solche erwarten? 

V.
Der U.S.-Konsul in Japan Sharpless zu Beginn des 20. Jahrhunderts im schweren dreiteiligen Tweed-Anzug, doch ohne Hut? Zur Zeit, darin die Oper spielt, undenkbar. Doch augenscheinlich nicht für Han Feng, den Kostümbildner. Der, andererseits, für Yamadori (nicht mehr als rollendeckend Stefan Astakhov, Mitglied des neu gegründeten Opernstudios, bei seinem Haus-Debut) ein phantastisches, allen Reichtum dieser Welt ausstrahlendes Kostüm schuf. Ein interessanter Einblick in die japanische Gesellschaft übrigens, daß Yamadori trotz Cio-cio-sans Ehe mit Pinkerton und dem Kind um sie wirbt.

Die Heirat einer Geisha ohne uchikake, dem Braut-Kimono? Seit wann besitzt dieser keine wattierte Schleppe mehr? Seit wann trägt eine Japanerin als Braut Schleier? Kate Pinkerton (Patricia Nolz, auch sie Mitglied im Opernstudio, stimmlich erfreulich) tritt in der traditionellen Reisekleidung des beginnenden 20. Jahrhunderts auf: bodenlanger Rock, Kostümjäckchen, Hut und Spitzenhandschuhe. Der obligate Sonnenschirm — fehlt. Suzuki und Sharpless tragen den ganzen Abend über dieselben Kostüme: Doch zogen nicht zwischen ersten und zweitem Akt drei Jahre ins Land? Das Argument der Neuzeit: Es verfängt nicht. Denn es entzöge dieser tragedia giapponese die gesellschaftliche Grundlage, auf der sie fußt.

Choa bietet — nach Minghella — Theater in Anlehnung an die traditionellen Formen des kabuki und des bunraku; mit den schwarzgekleideten, als unsichtbar geltenden dienstbaren Geistern. Doch bunraku ist Puppentheater; mit drei Spielern pro Puppe, in strenger Hierarchie: der jüngste für die Beine, der fortgeschrittene führt die linke Hand, der Meister die rechte und den Kopf. Nicht so an diesem Abend, wo der Meister die linke Hand führte. Details, Details… (»And the Oscar goes to…«)

Bunraku erfordert darüber hinaus einen Erzähler und abseits der Spielfläche plazierte Sänger sowie einen Shamisen-Spieler. Kabuki, das traditionelle japanische Schauspielertheater, duldet überhaupt keine Frauen auf der Bühne. So scheitert die grundlegende Inszenierungsidee des Abends binnen Minuten: denn ohne Frauenstimmen keine Madama Butterfly.

»Madama Butterfly«, 2. Akt: Asmik Grigorian (Cio-cio-san) und Boris Pinkhasovich (Sharpless) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Madama Butterfly«, 2. Akt: Asmik Grigorian (Cio-cio-san) und Boris Pinkhasovich (Sharpless)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Die sparsame Ausstattung und der gezielte Einsatz von Licht lenken das Interesse auf die Sänger. Und die Musik. Das ist durchaus nicht immer von Vorteil. Vor allem dann, wenn es bis auf einen (oder zwei) Sänger(n) am technischen Handwerkszeug gebricht: Boris Phinkhasovich leiht dem Sharpless Spiel und Stimme. Läßt einen sonoren Bariton hören; weiß zu phrasieren, den ganzen Abend hindurch auf Linie zu singen. (Das tat er bereits im vergangenen November als Eugen Onegin.)

Da vermag Freddie De Tommaso in der Partie des Lumpen Pinkerton nicht mitzuhalten. (Die Qualität eines Pinkerton bemißt sich auch daran, wie gerne man ihn zum Teufel jagen wollte. De Tommaso — leider nicht so rasch.) De Tommasos Tenor fühlt sich in der tiefen und mittleren Lage hörbar wohler als über dem passaggio. Da wird die Stimme eng, muß er Phrasen vorzeitig zu Ende bringen, vor allem, wenn sie laut Partitur piano zu absolvieren wären. Räumt man die marktschreierischen Ankündigungen beiseite, bleibt ein junger Sänger, dem einiges gelingt, dessen gesangstechnische Mängel, vor allem beim legato und der Gestaltung von Phrasen, allerdings nicht zu überhören sind. Ähnliches gilt für Andrea Giovannini als Goro bei seinem Wiener Haus-Debut.
Für Tenorleistungen dieser Art hätte es keiner neuen Direktion bedurft.

VII.
Der Beginn des Abends schien von großer Nervosität geprägt: Bühne und Graben waren des öfteren auseinander. Philippe Jordan ließ da durchaus zu laut spielen, schlug flotte Tempi an, ließ die Musik nicht ausschwingen. Oberflächlich. Im Verlaufe des Abends klang manches dann geschleppt; der »Summ-Chor« zu seelenlos, als daß uns Puccinis B-Dur auf die falsche Fährte der Hoffnung gelockt hätte. Da fehlte es an musikalischem Gestaltungswillen; gab es Längen: gefährliche Längen. Das Liebesduett allerdings: schön geformt. Auch im zweiten und dritten Akt gelang manches; doch zuwenig. Dem Ruf, welcher Jordan vorauseilte, vermochte der neue Musikdirektor des Institutes nicht gerecht zu werden. Glänzende Premièren müssen anders klingen.

VIII.
Virginie Verrez, seit der Saison 2018/19 Ensemble-Mitglied des Hauses, ließ als Suzuki des öfteren durch unfokussierte, manchmal auch unstete Stimmgebung aufhorchen. Besonders im dritten Akt schien die Sängerin des öfteren an ihre Grenzen zu geraten. Im großen Duett mit Cio-cio-san waren die beiden Damen in einigen Phrasen weiter voneinander entfernt, als einer guten Vorstellung zuträglich ist.

IX.
Angekündigte Sensationen finden nicht statt. Das galt auch für diesen Abend, an dem Asmik Grigorian als Cio-cio-san an der Staatsoper debutierte. Grigorian sang den ganzen Abend hindurch kaum verständlich. Kein legato. Kein chiaroscuro. Die Litauerin stieß bereits im ersten Akt an ihre stimmlichen Grenzen, ließ im zweiten einige schrille und viele ungenügend fokussierte Töne hören. Operierte durchwegs ohne Einsatz der unteren, Volumen verleihenden Stimmfamilie. »Un bel dì, vedremo« glänzte durch Nichtgestaltung und, in der Höhe, starke Vibrationen. Anzeichen einer vor der Zeit verbrauchten Stimme.

Puccini schrieb die Partie der Cio-cio-san für einen Spinto-Sopran, nicht für einen lyrischen. Es geht nicht darum, die Lebenden mit den Toten zu erschlagen: mit einer Scotto, einer Tebaldi oder einer Ponselle. Grigorian vermag auch mit der stimmlichen Leistung z.B. einer Kristīne Opolais nicht mitzuhalten, Marketing-Maschinerie und »Ausnahmekünstlerin« hin oder her.

X.
Dieser Abend: eine Enttäuschung.
(Man ist dazu da, die Wahrheit zu reden.)

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