Fräulein Lieser

Von Thomas Prochazka

Dramolett in einem Aufzug.

Vorzimmer der Staatskanzlei eines kleinen europäischen Operettenstaates vor der Ministerrratssitzung. Der Staatskanzler und der Vizekanzler stehen, ins Gespräch vertieft, in einer Fensternische. Beide im Cut, der Vizekanzler allerdings ohne Crawatte und mit offenem Kragenknopf. Ein Sektionschef des Vizekanzleramtes betritt den Raum. In der Hand hält er eine Ledermappe mit geprägtem Staatswappen.

Staatskanzler (jovial):
Ah, guten Morgen mein lieber Kronsteiner! Wie ist das werte Befinden?
Sektionschef Kronsteiner (beflissen):
Danke der Nachfrage, Exzellenz, vorzüglich. Und selbst?
Staatskanzler:
Danke, danke … ich glaub’, wir können gar nicht genug klagen. Was gibt’s denn so Dringendes?
Kronsteiner:
Herr Vizekanzler, entschuldigen vielmals die Störung, aber es wär’ wegen dem » Fräulein Lieser « …
Vizekanzler:
Wegen wem?
Kronsteiner:
Wegen dem » Fräulein Lieser « …
Vizekanzler:
Ich kenn’ kein Fräulein Lieser.
Kronsteiner (unbeirrt):
… vom Klimt …
Staatskanzler (plötzlich interessiert):
Na, mein Lieber! Familienangelegenheiten?
Vizekanzler:
Mach Dich nicht lächerlich! (Zum Sektionschef.) Welches Fräulein Lieser? Und welcher Klimt?
Kronsteiner (mit dem beflissenen Lächeln eine Vertreters des gebildeten Großbürgertums):
Es dreht sich um das » Fräulein Lieser « von Gustav Klimt …
Staatskanzler:
Ah, dem Maler! Warum sagen ’S das denn nicht gleich? — Der hat eine Nichte, die so heißt?
Kronsteiner:
Das » Fräulein Lieser « ist keine Nichte von Gustav Klimt, sondern ein Portrait, das Klimt 1917 gemalt, aber nicht fertiggestellt hat. Und das, nachdem es als verschollen galt, nach rund 100 Jahren, zum ersten Mal das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat.
Staatskanzler:
Ah, ein Portrait! Na schau … Und dieses Portrait will er uns verkaufen, der Herr Klimt?
Kronsteiner (bemüht, seinen Unmut im Zaum zu halten):
Ein paar Untertanen haben eine Petition verfaßt, in der sie fordern, daß dieses Portrait nicht nur nicht ins Ausland verkauft werden darf, sondern daß es vom Staat erworben werden soll.
Staatskanzler:
Und wieviel will er dafür haben, der Klimt?
Kronsteiner (mit Nachdruck):
Gustav Klimt starb 1918. Die Verkäufer — die Erbengemeinschaft — erwartet sich zwischen 30 und 50 Millionen Euro.
Staatskanzler (zum Vizekanzler gewandt):
Du hast 50 Millionen herumliegen?
Vizekanzler:
Na, sicher nicht! Und schon gar nicht heuer! Weißt Du, was mir meine Wähler erzählen, wenn ich 30 Millionen oder mehr für ein deppertes Bild hinblättere? Ich bin doch nicht meschugge und begeh’ in einem Wahljahr politischen Selbstmord!
Staatskanzler:
Naja, Wenn ich da an Kärnten und die Hypo Alpe Adria denk’ … Sagen 'S einmal, Kronsteiner, wie schaut’s denn eigentlich aus, das Fräulein Lieser?
Kronsteiner:
Also, mir gefällt das Portrait. Ähnlich wie die » Amalie Zuckerkandl « oder » Die Dame mit dem Fächer « ist es allerdings unvollendet …
Vizekanzler:
Was, ein unfertiges Bild soll ich kaufen?
Staatskanzler:
Ned du, die Republik. Mei, 30 Millionen. Ich bitt’ dich …
Vizekanzler:
Weißt Du, wie oft man die Mariahilfer Straße um 30 Millionen grün einfärben lassen kann? Das ist das, was meine Wähler interessiert. (Blickt den Sektionschef unsicher an.) Außerdem, von dem Klimt haben wir eh was, oder?
Staatskanzler:
Aber nicht das Fräulein Lieser.
Vizekanzler:
Bitte, es war Eure Vorarlberger Handarbeitslehrerin, die die » Goldene Adele « einfach so hergegeben hat. Von wegen Familien-Portrait! Und ihr habt’s das auch noch geglaubt! Da ist es nur um die Kohle gegangen. — Außerdem: Wenn wir Pech haben, zahl’n wir jetzt 30 Millionen und müssen’s in ein paar Jahren resti …, resti …, also, zurückgeben halt.
Staatskanzler:
Ich geb gar nichts mehr zurück. Bevor wir noch irgendwas z’rückgeb’n, will ich die Bilder aus den » Vier Elementen « von dem Arcimboldo wiederhaben, die die Schweden im 30-jährigen Krieg davongeschleppt haben. So schaut’s aus!
Vizekanzler:
Genau! — Wer ist eigentlich der Arcimboldo jetzt wieder?
Kronsteiner:
Das erkläre ich Ihnen später, Herr Vizekanzler.
Vizekanzler (unbeirrt):
Das sag’ ich ja die ganze Zeit! Nein, nein, soll von mir aus ein Chines’ das Bild kaufen, ist mir doch egal. Hauptsache, wir haben nichts damit zu tun. Dann können wir allen sagen, sie sollen sich an den Chinesen oder was wenden. Wir sind schließlich neutral.
Staatskanzler (enthusiastisch):
Ja, die Neutralität ist eine feine Sache. Da ist man am Ende immer bei den Siegern und kann sagen, daß man eh die ganze Zeit dafür war — oder dagegen, je nachdem.
Vizekanzler (beflissen):
Abgesehen davon, daß der Biden Joe gesagt hat, man darf es nicht hinnehmen, wenn ein Staat das Gebiet eines anderen Staates annek …, annek …, na …, also, besetzt.
Staatskanzler (eifrig):
Deswegen stehen wir ja auch trotz unserer Neutralität auf der Seite der Ukraine. — Und von Israel.
Vizekanzler:
Genau.

(Vorhang.)

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