Pietro Mascagni:
»Cavalleria rusticana«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Dieser Abend versammelte drei Wiener Operndirektoren im Haus am Ring: den vorhergehenden, den aktuellen und den zukünftigen. Was ihnen wohl durch den Kopf ging angesichts des Treibens im Graben und auf der Bühne? Denn: Cavalleria rusticana und Pagliacci funktionieren weiterhin hervorragend in den Bühnenbildern und Kostümen des großen Ponnelle. Doch niemals wäre es ihm eingefallen, einen Fuhrmann ohne sein Fuhrwerk (und den dazugehörigen Esel selbstverständlich) auftreten zu lassen.
Tut man es, muß der Fuhrmann Alfio schon so hervorragend singen, daß solches dem Parkett nicht auffällt. Das gelingt Paolo Rumetz leider nicht. Mit flacher, teilweise kraftloser Stimme bemüht er sich um die Darstellung des angesehenen Dorfmitglieds. Wenig überzeugend allerdings, stimmlich wie darstellerisch. (Ich sah und hörte schon Besseres.)
III.
Yonghoon Lee müht sich als Turiddu, im Spiel auszudrücken, was sein forciertes Einheits-forte nicht vermag. Die »Siciliana« singt er ungemein druckvoll, die Spitzentöne gepreßt. Sie klingen weder »schön« noch wahr. (Ersteres muß im Versimo nicht unbedingt sein. Zweiteres immer.) Wie alle an diesem Abend trifft er die richtigen Töne. Das mag vielen ausreichend erscheinen. Doch um als ein guter Sänger zu gelten, bedarf es mehr. Viel mehr.
IV.
Allen Damen des Abends ist eine Eigenschaft gemein: Gesang ohne stimmliches Fundament, also: ohne Aktivierung des Brustregisters. Svetlina Stoyanova säuselt die Lola; doch ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ich fragte mich, was Turiddu wohl an ihr gefunden haben mochte. Und fand mir keine Antwort. (Alfio betreffend: Es kommt vor, daß im prallen Leben stehende Männer sich jüngeren Frauen zuwenden.)
Auch Zoryana Kushpler bleibt blaß als Mama Lucia. Läßt einen gleichgültig zurück in ihrer Vermittlung des Unglaubens, das nächtliche Treiben ihres Sohnes betreffend. Dazu agiert sie stimmlich zu leichtgewichtig. Auch im Ende obsiegt die Starre, wo sie doch um den Ausgang des Duells im mindesten bangen müßte. (Oder sollte sie erst kürzlich zugezogen sein in dieses sizilianische Dorf, ohne Kenntnis der lokalen Sitten und Gebräuche? Dies scheint denn doch schwer vorstellbar.)
V.
Die Santuzza der Elīna Garanča wird ihre Anhänger gewiß begeistert haben. In der Mittellage läßt die Sängerin nach wie vor mit einem legato aufhorchen, welches selten geworden ist auf unseren Bühnen. Doch genau hinhörenden Opernfreunden bleiben die stimmlichen Probleme, vor allem an den Rändern der Stimme, nicht verborgen: Garančas Spitzentöne klingen oftmals angestrengt; hell; ein wenig scharf. In der Mittellage scheint es mit Fortdauer der Aufführung, als lege sich ein Schleier über die Stimme. Und dem tiefen Register fehlt es an Volumen. (Dies deutet in der Regel auf mangelnde Aktivierung des Brustregisters hin.) »A te la mala Pasqua!«, von Rollenvorgängerinnen in plötzlich sich Luft machendem Haß kraftvoll ins Logenrund geschleudert: Bei Garanča klingt es mehr nach freundschaftlichem Gruß. (»Nel colmo dell’ira« vermerkte Mascagni in der Partitur.)
VI.
Die musikalische Leitung des Ganzen verbleibt bei Graeme Jenkins in einem entschiedenen »Ungefähr«. Das führt zu einigen Irritationen im Orchester. Und zu verschleppten, weil zu späten Choreinsätzen (vor allem jener Teile, die hinter der Bühne gesungen werden). Was im Gedächtnis haften bleibt, sind Vorspiel und Intermezzo. Da läßt das Staatsopernorchester seine Stärke hören: seidenweiche Streicherklänge.
Die Hitze Siziliens, die den Musikerkollegen abzulockende italianità, die dynamischen Differenzierungen von Mascagnis Partitur: Sie kommen unter Jenkins an diesem Abend nicht zu ihrem Recht.