Alfredo Catalani:
» La Wally «
Theater an der Wien
Von Thomas Prochazka
II.
Barbora Horáková Joly verschob das Werk in unsere Zeiten. Mit dem Hinweis, solche Gesellschaften existierten auch noch im Heute. Es stand zu lesen, Horáková Joly war Calixto Bieitos Assistentin. Das scheint das Schlechteste nicht gewesen zu sein. Denn Horáková Joly inszeniert das Stück: La Wally findet in den (angedeuteten) Bergen statt, nicht in einem Gefängnis. Oder in Paris.
Der Abend eröffnet artenfremd: mit klagendem Jodeln und langsamer Kamerafahrt durch schneebedecktes Mittelgebirge (Der Titel Schnee der Gruppe Stimmhorn, weiß das Programmheft.) Wenn Catalanis Musik die Regentschaft übernimmt, fällt der Blick auf die Genre-Szene eines Dorffestes. Gegen den hellen Bühnenhintergrund (Licht: Michael Bauer) heben sich die Schatten der Schnitter ab, als habe der Gevatter Tod sein Geschäft vergrößert …
Die Bühne und die Kostüme von Eva-Maria Van Acker stimmen — und auch nicht: Man zeige mir den Jäger, der mit roter Jacke oder ebensolchem Rucksack auf die Pirsch geht. Moderne Bergbekleidung paart sich mit trachtiger Mode (nicht: Tracht). Der Umstand, daß auf Hagenbachs Rucksack das Geweih eines Zehnenders gepackt ist (noch dazu sauber geputzt), obwohl Hagenbach von der Bärenjagd prahlt, zählt zu den Segnungen des » Regisseurs-Theaters «. Stört uns kaum mehr.
III.
Die Bühne: ein angedeuteter Dorfplatz, im Hintergrund ein Marterl (im Angedenken an die verstorbene Mutter?), daneben ein Bauernhaus im Miniaturformat: Es wird abbrennen, wenn Stromminger, Wallys Vater, sie vom Hof jagt, weil sie Gellner nicht heiraten will. Dorffeste in den ersten zwei Akten: unzählige Flaschen auf Holzbrettern, Schießwettbewerbe, leere Bierkisten, Bandeltanz. Dazu Derbes: betrunken Herumtorkelnde, von angeheiterten Gruppen drangsalierte Schwache; — in den Mittelpunkt gestellte Genre-Szenen. (Bieito läßt grüßen.) Gewiß, solches kommt vor. Dabei doch: Ablenkung vom eigentlichen Gegenstand.
Die Bühne: durch eine bespielbare Stahlkonstruktion angedeutetes Hochgebirge in den beiden letzten Akten. Ein Felssturz begräbt Hagenbach im dritten, Wasser fließt im vierten (und stört interessanterweise kaum), während Wally zu Weihnachten in ärmelloser Bluse vom schmelzenden Schnee singt.
Der Bühnenboden: karg, in Brauntönen, umrahmt von Felsen. Kein Grün. (Von den Plätzen am 3. Rang sieht man’s besser. Genießt den Vorteil, nicht andauernd von auf den Hintergrund projizierten Filmen abgelenkt zu werden.)
IV.
Verismo. Verismo allerorten; — auch musikalisch. Die Wiener Symphoniker spielen phasenweise, was Andrés Orozco-Estrada ihnen anzeigt. In anderen Momenten klingen sie besser. Denn die feine Abstimmung ist Orozco-Estradas Sache nicht. (Zumindest nicht im Opernhaus. Die Aufführung von Mahlers 3. Symphonie Anfang Oktober im Konzerthaus gefiel durchaus.) Zu martialisch klang vieles im Haus an der Wienzeile, zu grob. Dennoch: Die Aufführung stürmte und drängte, war nie langweilig. Sollte es in der Première Abstimmungsprobleme zischen dem Arnold Schoenberg Chor und dem Graben gegeben haben: In dieser Vorstellung war nichts davon zu hören. Ja, man sang passagenweise aus vollen Kehlen. Doch: kein Lärmen.
V.
Verismo. — Aber wie La Wally heute besetzen, wo uns die mächtigen, durchschlagskräftigen Stimmen abhanden gekommen scheinen? (Nicht immer finden sich eine Renata Tebaldi, ein Mario del Monaco, ein Giangiacomo Guelfi im Vormittag ihrer Karriere.)
Roland Geyer gelang das Kunststück, eine anständige Besetzung aufzutreiben. Alastair Miles erinnerte in der kleinen Partie des Stromminger an seine besten Zeiten: mit kräftigem, doch wettergegerbtem Baß. Die Afra der Sofia Vinnik vertrüge durchaus mehr stimmlichen Biß; als Talentprobe mochte es angehen. Zoltán Nagy leistete als Il Pedone seinen Beitrag. Ilona Revolskaya sang den Walter über weite Strecken aus dem Hals: mit flachem, die Tiefen scheuendem Sopran.
VI.
Der Giuseppe Hagenbach des Leonardo Capalbo punktete vor allem mit seiner Stimmkraft und dunklem Timbre. Kräftig, mitunter markig klang sein Tenor. Eleganz und Singen auf Linie? Sie waren Seines nicht. Dieser Hagenbach erfreute durch stimmlichen Einsatz (bei so mancher gestemmter Höhe). Kein Kopfton. Immerhin.
Kraftvoll auch Jacques Imbrailo als Vincenzo Gellner. Sein Bariton klang mir kultivierter als der Tenor seines Nebenbuhlers; doch auch hier mußte die legato zu führende Stimme den rauhen Bedingungen des Ötztals Tribut zollen. Aber die Musik des Verismo, sagt man, verzeiht gesangliche Unzulänglichkeiten eher als Verdi. (Nun, eigentlich nicht. Doch wer La Wally auf die Bühne bringen will, muß sich nach der Decke strecken.)
VII.
Izabela Matula in der Partie der Wally war mir die Überraschung des Abends. Matula erfreute, vor allem im ersten Teil, mit satter Mittellage und Tiefe. Wußte diese bruchlos miteinander zu verbinden. Im dritten und zu Beginn des vierten Aktes, als lyrischere Momente zu absolvieren, eher die Mittellage und die Höhe gefordert waren, offenbarten sich die stimmlichen Unzulänglichkeiten stärker: Die Höhen klangen durchwegs angestrengt, mitunter abgesetzt. Dennoch: volltönend. Kein Säuseln. Matula überzeugte, trotz aller Einwendungen. (Das gibt’s.)
VIII.
Bildmächtig: die erste Szene, der Bandeltanz im zweiten, der dritte Akt mit dem Felssturz. Und, allen vorgebrachten Einwänden zum Trotz: La Wally bietet musikalisch mehr als nur Ebben? … Ne andrò lontana
.
Starke Momente.
La Wally wird am 22. Jänner 2022 in ORF III gresendet.