Jules Massenet: »Manon«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Aber gestern durfte man sich an einer gelungenen gesanglichen Umsetzung erfreuen: Die drei Sänger der Hauptpartien waren es, welche Jules Massenets Version der Erzählung des Antoine François Abbé Prevost d’Exiles den ihr gebührenden Erfolg zukommen ließen.
Dies das Hauptstück.
II.
Adrian Eröd kehrte uns als Lescaut wieder. Er erinnerte bereits in seiner ersten Scene, wie diese Partie stimmlich zu interpretieren ist. Sein Bariton strömte in allen Lagen, seine Technik erlaubte ihm die spielerische Umsetzung des Gesungenen. Wenigstens gemäß des Spielvogtes Regiebuch, denn des öfteren verzweifelte man am Widerspruch zwischen Text und Darstellung. Ein-, zweimal nur klang Eröds Stimme in der hohen Lage ein wenig spröde, doch dies kritisch anzumerken hieße Eulen nach Athen tragen — zumindest zu Zeiten Aristophanes’.
Schade, daß Herr Eröd sich in Wien so rar macht.
III.
Clemens Unterreiner war als Brétigny aufgeboten. Mit dunkel timbriertem Bariton betonte er vor allem den rezitativischen Charakter seiner Partie. In vielen Scenen outrierend. Besänne er sich auf eine dem Gesang entwachsende Darstellung — er wüßte zu gefallen.
Da gelang Dan Paul Dumitrescu die Umsetzung der Partie des Graf Des Grieux überzeugender. Mit verschatteter, aber angenehm klingender, fließender Stimme zeichnete er den Vater des Poeten, welcher im Ende seine Niederlage im Kampf gegen die von Manon ausgehende Faszination erkennen muß.
IV.
Frédéric Chaslin vermochte am Pult des von Rainer Honeck geführten Staatsopernorchesters in der Umsetzung der Partitur in diesem Werk leider wieder nicht jene musikalischen Akzente zu setzen, welche man sich nach seinen Werther-Dirigaten erhofft hatte. Zu vieles klang da zu laut, zu ungeschlacht, zuwenig adelig. Es war als bekäme man Gemälde von Berthe Morisot zu sehen, obwohl einem Monet versprochen worden war.
V.
Marlis Petersen hatte sich erstmals an die Partie der Manon gewagt. Trotz kleiner Einschränkungen mit großem Erfolg. Mehr Lulu denn Manon, folgte sie der vom Spielvogt (fälschlicherweise) geforderten Vorgabe nach der Darstellung der Gerissenheit des verführbaren Teenagers. Die Petersen erfüllte ihre Partie auch spielend mit Leben. Gekonnt. Sie sah hervorragend aus, schlank, hochgewachsen, verführerisch, wußte sich auf der Bühne zu bewegen. Weshalb man ihr die lyrischen Passagen, die momentanen Gefühlsaufwallungen (z.B. im St. Sulpice-Bild) nicht ganz abkaufte. Mehr Lulu denn Manon.
Stimmlich möchte man ihr nur zum Vorwurf machen, daß die Stimme bei den Spitzentönen manchmal nicht genug abgedeckt wurde. Das hörte man dann an einer wechselnden, helleren Stimmfarbe und fehlendem Fokus. Außerdem machte Petersen vor allem im ersten Teil willigen Gebrauch von nicht in der Partitur stehenden Portamenti. Hilfreich zum Erklimmen der Spitzentöne? Sicher. Kleinigkeiten? Nicht unbedingt. Aber vielleicht der dem Rollen-Debut einhergehenden Nervosität geschuldet.
VI.
Jean-François Borras kehrte nach zwei Jahren als Chevalier Des Grieux wieder. Das Erlebnis des Abends. Borras’ Fähigkeit des Abmischens zwischen Brust- und Kopfstimme — nennt man das voix mixte? — verweist in den letzten Monaten von gefeierten »Welt-Stars« Gehörtes auf die Plätze. Die Stimme sprach über den gesamten Verlauf gleichmäßig gut an, piani wurden ebenso ausgekostet wie fortissimi, der Vortrag war geschmackvoll. Eine Lehrstunde. Wie selbstverständlich geriet »Je suis seul!« zum Höhepunkt.
VII.
Borras’ Leistung allein rechtfertigt den Besuch einer der Aufführungen. Aber mit der Petersen und Eröd an seiner Seite: eine Empfehlung.