»Tosca«, 2. Akt: Catherine Naglestad als Floria Tosca im Palazzo Farnese © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Tosca«, 2. Akt: Catherine Naglestad als Floria Tosca im Palazzo Farnese

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini: »Tosca«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Manchmal verdrängt das Korsett täglicher Pflichten die Rezeption von Gesehenem und Gehörtem aus den Tagen. Doch schließe man daraus nicht auf Minderwertigkeit. Denn Repertorie-Niveau ward doch geboten in der letzten Vorstellung dieser Tosca-Serie im Haus am Ring.

II.
Andrzej Dobber bildete als Baron Scarpia eine Konstante dieser Aufführungen. Stimmgewaltig ritterte er mit dem Staatsopernchor im finalen Te Deum des ersten Aktes um die vokale Vorherrschaft. Wieviel Margarethe Wallmann nach über 60 Dienstjahren dieser Produktion noch vorhanden ist, wissen wohl nur mehr wenige im Publikum. Aber daß die Ausstattung von Nicola Benois immer noch die mögliche grandezza des »Vehikels Oper« zu vermitteln vermag — daran kann es keinen Zweifel geben. (Und daran beißen sich die Damen und Herren der szenischen Fraktion bei ihren nachschöpferischen Versuchen über Tosca bis heute die Zähne aus.)

Dobber ist ein roher Polizeichef. Eher Terfel denn Hampson. Auch stimmlich. Und: Es war vielleicht nicht Dobbers bester Abend. In den ruhigeren Szenen allerdings blitzte jene Stimme auf, welche seinen Simon Boccanegra grundiert. Und ich wußte wieder, warum ich gekommen war.

Dobbers erstes Beisammensein mit Tosca im zweiten Akt: eine Mischung aus Lüsternheit und List, gepaart mit den seinem Stand geschuldeten Relikten äußerster Zurückhaltung. (Seine Schergen rücken ja nebenan Cavaradossi zu Leibe.) Danach allerdings fallen die Schranken, muß Tosca sich auch physisch der Avancen — sind das noch solche? — erwehren. Großes Theater.

III.
Zweite Konstante war Catherine Naglestad in der Partie der Floria Tosca. Im Liebesduett des ersten Aktes übte sie Zurückhaltung. Sonst allerdings setzte Naglestad auf den Einsatz ihrer dramatischen Stimme, entwickelte vor allem im oberen Register eine beeindruckende Durch­schlagskraft. »Vissi d’arte« bildete den vokalen Höhepunkt ihrer Leistung, mit zum Teil zurückgenommener und damit überraschend fokussierter Stimme. In jenen Momenten ahnte man, was möglich wäre.

»Tosca«, 1. Akt: Andrzej Dobber als Baron Scarpia mit dem corpus delicti: dem Fächer der Marchesa Attavanti © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Tosca«, 1. Akt: Andrzej Dobber als Baron Scarpia mit dem corpus delicti: dem Fächer der Marchesa Attavanti

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Den Sängern des Mario Cavaradossi war in diesen Aufführungen kein langes Sein beschieden. (Abgesehen vom im Kugelhagel ausgehauchten Bühnenleben.) Aleksandrs Antonenko war Naglestads Partner in der ersten Vorstellung. Danach übernahm Alfred Kim in, wie man aus dem Haus vernahm, Robert Wilson’scher Manier. In der dritten Vorstellung schließlich gab Stefano Secco sein Wiener Rollen-Debut als Mario Cavaradossi.

Was soll ich von Seccos Stimme berichten, nachdem ich mit Jonas Kaufmann rechtete? Vielleicht, daß Secco nach italienischer Manier singt, im passaggio Brust- und Kopfstimme mischt? Secco stemmte ein kraftvolles »La vita mia costasse« auf die Bühne, unbekümmert um jene Fertigkeit, welche man legato heißt. Schwächelte kaum beim »Vittoria!«.

Nach »Recondita armonia« jedoch wollte der Applaus nicht so richtig einsetzen. Was Marco Armiliato am Pult mit einem entschuldigenden Achselzucken quittierte — und weiter dirigierte. Aber die Zeiten, als die Exequierung dieser Arie lang andauernden Applaus rechtfertigte: Sie sind uns mit Aragall und Pavarotti entschwunden…

V.
Auch das Staatsopernorchester präsentierte sich an jenem Abend auf Repertoire-Niveau. Von instrumentalen Höhenflügen ist demnach nicht zu berichten. Eher davon, daß das grob exequierte Cello-Solo im dritten Akt wehmütige Erinnerungen an längst vergangene Tage hervorrief… Orchesteralltag eben. (Mit vielen Königen.)

VI.
Diese Aufführung der Tosca: solides Repertoire, wie man es allerdings vielerorten erleben kann.
(Irgendwann einmal wird man mich übergroßer Milde zeihen. — Es sei.)

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