»Il barbiere di Siviglia«, 1. Akt: Ruth Brauer-Kvam (Ambrogio), Paolo Bordogna (Bartolo) und Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) im »Bühnenbild« und der Inszenierung von Herbert Fritsch © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Il barbiere di Siviglia«, 1. Akt: Ruth Brauer-Kvam (Ambrogio), Paolo Bordogna (Bartolo) und Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) im »Bühnenbild« und der Inszenierung von Herbert Fritsch

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Gioachino Rossini:
»Il barbiere di Siviglia«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Die Wiener Staatsoper bietet eine Neuproduktion von Rossinis bekanntester Oper. Ein weiteres Mal vertraut die Leitung auf modisches »Regisseur-Theater« im Stil eines Stagione-Hauses; — ohne alle erforderlichen Investitionen in die offensichtlich als überflüssig erachtete vokale Qualität.
Notizen über ein Mißverständnis.

II.
Die musikalische Seite der neuen Produktion war Michele Mariotti anvertraut. Mariotti schuf mit dem Staatsopernorchester ein feines, durchhörbares Klangbild. Seine Interpretation überzeugte vor allem in den Allegro-Teilen. Allerdings gerieten die Dinge stellenweise zu inflexibel; zu strikt. Entwickelten sich die kleinen Tempo-Modifikationen zu wenig organisch. Bei manch langsamer Passage schien die Musik nicht von Fleck zu kommen. Die Unart zu häufiger Generalpausen: Sie hatte auch an diesem Abend am Dirigentenpult Quartier genommen. Una voce poco fa zerfiel ebenso wie Rosinas Arie Contro un cor che accende amore im zweiten Akt. (Nicht, daß dies an besagtem Abend ein anderes, zufriedenstellerendes Ergebnis gezeitigt hätte; ärgerlich bleibt es dennoch.)

Die Herren vom Staatsopernchor warfen gleich zu Beginn ihre Visitenkarte ab. Sie können schließlich nichts dafür, daß sie in dieser Inszenierung alle gleich gewandet sind und als banda keine Instrumente spielen. Jedenfalls boten sie den Solisten ein mehr als gediegenes, stimmliches Fundament. Daß letztere daraus nicht immer ihren Vorteil zu ziehen vermochten, steht auf einem anderen Blatt.

Nicht unerwähnt soll auch Julia Simonyan am Hammerklavier bleiben. Sie war den Sängern in den Rezitativen eine verläßliche Begleitung.

III.
Gesanglich bot der Abend Licht und Schatten. Letzterer fiel vor allem auf die Damen, die — warum um den heißen Brei herumreden? — wenig mehr als Totalausfälle waren. Aurora Marthens, die Berta, wurde vom Regisseur offenbar als »komische Alte« gesehen, nieste sich durch den ersten Akt, mußte sogar einmal der Länge nach hinschlagen. Ich gestehe, daß ich mit solcher Art von Komik wenig anzufangen weiß. Auch gesanglich vermochte mich das Mitglied des Opernstudios nicht zu überzeugen: Den ganzen Abend über mangelte es am selbst für diese kleine Partie notwendigen Stimmvolumen. Il vecchiotto cerca moglie, eine typische aria del sorbetto, litt ebenso darunter wie am kaum vorhandenen legato.

Vasilisa Berzhanskaya, die Rosina des Abends, machte dem Besetzungsbüro des Hauses wenig Ehre. Ihrer Stimme eignet kein Kern. Diese präsentierte sich flach, glanzlos; kraftlos. Klein. Wechselte oft den Stimmsitz. Berzhanskaya blieb nicht nur in den Ensembles oft unhörbar. Manche werden eine solche Stimme mit der Unart, den Ton immer wieder abzudunkeln, als »samtig« beschreiben. Doch in Wahrheit handelt es sich um gesangstechnische Mängel; zu schwerwiegende für ein Engagement an einem solchen Haus.

IV.
Ildar Abdrazakov als Don Basilio und Étienne Dupuis als Figaro schienen den Ausflug vom tragischen Fach zu genießen. Sie spielten und blödelten nach Herzenslust, sorgten mit ihren Grimassen und Pantomimen nach der Art von Herbert Fritsch immer wieder für Heiterkeit im Auditorium. Gut vorstellbar, daß den beiden die Probenzeit nicht zu lang war. (Oder sie beschlossen, sich durch die Vorstellungen zu blödeln.) Da verzeihen viele, daß beider Stimmen für diese Partien wohl zu schwer(fällig) sind, das parlando nicht so leicht wie gefordert über die Lippen kommt.

Dupuis stellte sich mit einer gut gesungenen Auftrittsarie ein, zumal, wenn man die Großen der Vergangenheit wie Apollo Granforte oder Riccardo Stracciari beiseiteläßt. Doch hin und wieder brach auch Figaro die Linie, rutschte die Stimme in den parlando-Passagen höher, waren kleinere Abstriche beim Volumen zu machen. Abdrazakov wartete mit großem Ton auf, bemühte sich um legato. Alles in allem zählten dieser Don Basilio und dieser Figaro zu den Pluspunkten des Abends.

»Il barbiere di Siviglia«, Finale des 1. Aktes: Ruth Brauer-Kvam (Ambrogio), Juan Diego Flórez (Conte di Almaviva), Aurora Marthens (Berta), Paolo Bordogna (Bartolo), Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) und Ildar Abdrazakov (Don Basilio) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Il barbiere di Siviglia«, Finale des 1. Aktes: Ruth Brauer-Kvam (Ambrogio), Juan Diego Flórez (Conte di Almaviva), Aurora Marthens (Berta), Paolo Bordogna (Bartolo), Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) und Ildar Abdrazakov (Don Basilio)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Des einen Widersacher, des anderen collega, sang und spielte Paolo Bordogna den Bartolo mit stoischer Ruhe, im Stile eines Alfred Šramek oder Enzo Dara. Auch Bordogna war sich für Fritschs Auffassung von Humor nicht zu gut, machte sich in Spiel und Grimasse vorbehaltlos zum Narren. Gesanglich wäre mehr Linie, mehr musikalische Gestaltung, mehr Kern in der Stimme wünschenswert gewesen, nicht nur in A un dottor della mia sorte. Auf der Habenseite verzeichnete ich das geschmeidigste parlando des Abends.

Weil es in einer modernen Inszenierung, die doch in der Regel nichts als modisch ist, ohne Abänderung nicht geht, wurde die (kleine) Baßpartie des Ambrogio an die Schauspielerin und Tänzerin Ruth Brauer-Kvam vergeben. Obgleich in dem, was Fritsch als Inszenierung ausgibt, vollkommen überflüssig, turnte dieses Tänzerin gewordene Faktotum aus dem Umfeld Bartolos munter über die Bühne wie das Helferlein des Daniel Düsentrieb. Durfte sich als Notar verkleiden. Die Komik ihres Tuns: Sie hielt sich in Grenzen.

VI.
Stefan Astakhov sang und spielte Fiorello, der sich nach Herbert Fritschs Idee dafür, daß er dem Conte di Almaviva Musikanten für dessen Ständchen organisiert hatte, auch noch ohrfeigen lassen mußte. So schlecht machte der junge Bariton seine Sache denn doch nicht.

Überhaupt, dieser Conte di Almaviva des Juan Diego Flórez: Wer sich ein stimmliche Feuerwerk erwartet hatte, zog gewiß enttäuscht von dannen. (Des Sängers Anhänger natürlich ausgenommen.) Flórez schien mit seinen Kräften zu sparen, um Cessa di più resistere einigermaßen über die Runden zu bringen. Davor wartete Flórez mit geringem Stimmvolumen auf, blieb in so manchem Ensemble unhörbar. Gewiß, im piano und in der Mittellage klang seine Stimme gut geführt. Doch sobald mehr Kraft erforderlich gewesen wäre, wurde die Stimme rauh, in der Höhe mitunter eng; — und immer auch ein wenig nasal. Bei den Spitzentönen hellte sich Flórez’ Stimme auch auf, als verlöre sie die Verbindung zur restlichen Stimme. Im Spiel überzeugte dieser Conte di Almaviva vor allem im Finale des ersten Aktes und in der Verkleidung des Don Alonso im zweiten. Alles in allem allerdings: enttäuschend.

»Il barbiere di Siviglia«, 2. Akt: Juan Diego Flórez (Conte di Almaviva), Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) und Étienne Dupuis (Figaro) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Il barbiere di Siviglia«, 2. Akt: Juan Diego Flórez (Conte di Almaviva), Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) und Étienne Dupuis (Figaro)

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VII.
Herbert Fritsch siedelte seine Inszenierung in einem unbestimmten Raum an, der durch verschiedenfarbige, in der Tiefe der Bühne hintereinander gehängte Kunststofffolien gegliedert wurde. Manche waren quer, manche über die gesamte Bühnenbreite gehängt worden, verschieb- sowie heb- und senkbar. Mit die Farbe wechselndem Licht, ersonnen von Carsten Sander, angestrahlt, ergab sich immer wieder Schwarz als die Summe allen Lichts. (Der Physik ist eben schwer beizukommen.)

In Fritschs Deutung dieser comedia in due atti gibt es keine Requisiten. Alles ist, wie in armseligen Kellertheatern, nur imaginiert. Auch die Personen der Handlung (Kostüme: Victoria Behr) wurden so mehr zu Typen als daß sie ein Eigenleben entwickelten. Doch warum dann nicht gleich die Figuren der commedia dell’arte auf die Bühne stellen? Fritsch erdachte eine ausgefeilte Bewegungs-Choreographie; — doch die hinterließ bereits in der dritten Vorstellung da und dort den Eindruck einer gewissen Schludrigkeit. Weißt du, wie das wird, wenn im Repertoire-Betrieb Sänger kurzfristig einspringen (müssen)? Oder wird sich das Publikum im Haus am Ring dann mit den hauseigenen, in Reserve gehaltenen Zweitbesetzungen zufriedengeben müssen?

VIII.
Wer als neues und umworbenes Publikum Il barbiere di Siviglia zuvor nicht kannte, lernte die Oper an diesem Abend auch nicht kennen.
Aber das — war ja vielleicht gar nicht das Ziel.

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