Gioachino Rossini:
» L’Italiana in Algeri «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Monsieur Lopéz-Cobos offerierte als Leiter des Orchesters Champagner zweiter Qualität, das angenehm Moussierende, Leichte, wollte sich trotz der ausgezeichneten Instrumentalisten nicht immer einstellen. Aber da die meisten im Theater noch nie das Vergnügen hatten, ausgezeichneten Champagner zu trinken, tat dies der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch.
Scene wie Spielleitung waren einst vom großen Ponnelle besorgt worden, der nicht in jene nur für Narren und arme Intellektuelle aufgestellte Falle tappte, in der Italiana in Algeri Themen wie Diktatur, Sklaverei und die Migration nach Europa thematisieren glauben zu müssen, sondern uns einen jener so rar gewordenen Abende bescherte, an welchen man sich ungestraft dem Amusement hingeben durfte. Kein Wunder also, daß sich gestern alle bei Monsieur Ponnelles Scherzen und den Extempore der Sänger sehr gut unterhielten.
Als ich Ihnen seinerzeit von Vincenza schrieb, dass die Musik zur Italiana von Schauspielern gesungen ward, denen man zuviel Ehre antäte, vergliche man sie mit unseren schwächsten, dachte ich nicht, daß mir diese Formulierung gestern wieder in den Sinn kommen werde: Madame Bonitatibus begann »Cruda sorte!« solcherart dunkel timbriert, dass man sofort an die Valentini-Terrani denken mußte. Dies blieb jedoch leider die einzige Gemeinsamkeit.
Auch in »Qual piacer« konnte mich Madame Bonitatibus nicht überzeugen: Eine angenehm eng geführt Stimme kann trotzdem der technischen Raffinesse gebrechen, welche die Partie der Isabella erst zu jenem Erlebnis macht, das die Aufmerksamkeit des kundigen Besuchers von seiner reizenden Logenbegleitung auf die Bühne zu lenken vermag.
Hatten Sie je das Vergnügen, Madame Horne oder Madame Baltsa erleben zu dürfen? Wie letztere noch vor wenigen Jahren durch ihren Gesang, ihre Technik und ihren Spielwitz Pointe an Pointe zu reihen wußte, sodaß man nach der Vorstellung in bester Laune in den Wagen stieg, um mit Freunden zu soupieren? Nun, dies war bei Madame Bonitatibus gestern leider nicht der Fall, obwohl sich alle im Theater ausgezeichnet unterhielten. Aber das muß kein Widerspruch sein, denn mit der Musik zur Italiana schuf Rossini ein Meisterwerk.
Höhepunkt des Abends war ohne Zweifel das große Terzetto »Pappataci! che mai sento!«, welches von den Messieurs Abdrazakov, Rocha und Rumetz mit großem Animo und Brio gegeben wurde. Monsieur Abdrazakov verfügt über einen wohltönendem Baß, der der Partie des Mustafà gut ansteht. Dass Rossini einiges anders notierte als es gestern erklang, tat dem verdienten Applaus und mehrmaligen Hervorrufen des Künstlers keinen Abbruch.
Monsieur Rocha ersetzte den an einer Unpäßlichkeit leidenden Monsieur Camarena. Sein tenore di grazia ist beweglich genug für die meisten coloraturi, und er ist definitiv ein guter Ersatz, wenn Monsieur Flórez anderweitig beschäftigt ist. Sowohl »Languir per una bella« als auch »Oh come il cor die giubilo« verlangen eine geläufige Gurgel und sichere Höhen, und soviele Tenöre, die diese Partie singen können, treten in unseren Opernhäusern nun mal nicht auf.
Monsieur Rumetz war in 25 Jahren der erste Taddeo, welcher ernsthaft daranging, diese Partie auch zu singen. »Ho un gran peso« gelang der Reaktion des Publikums nach vorzüglich, obwohl Monsieur Abdrazakov und der sehr gut disponierte coro währenddessen unter Zuhilfenahme von Taddeos Turban jenen Sport parodierten, welcher vor allem in England, aber auch in Deutschland sehr populär ist und den man, wie ich hörte, soccer heißt.
Mademoiselle Garifullina ließ als Elvira manch schönen hohen Ton hören, ebenso Mademoiselle Frenkel, welche als Zulma für die notwendige Verstärkung in den Ensembles sorgte. Und schließlich hatte sich Monsieur Arduini bereiterklärt, kurzfristig die Partie des Haly zu übernehmen. Sein Bariton klang leider etwas rauh, aber da er am Vorabend den Dottore Malatesta in Donizettis Don Pasquale gegeben hatte, wollen wir ihm das gerne nachsehen.
Das waren ziemliche lange und ernsthafte Raisonnements über einen Gegenstand wie eine opera buffa, werden Sie mir vorwerfen. Ich gebe Ihnen hierin recht, aber wenn Sie in der letzten Zeit die das Amusement des Publikums empfindlich störenden Exequirungen anderer Werke auf unseren Theatern erleben mußten, wären Sie ein Narr, sich am Gebotenen nicht zu erfreuen. Rossini schrieb nun einmal für seine Italiana eine Musik, die einen alle Traurigkeit der Welt vergessen läßt. Und das ist in unserer Zeit schon sehr viel.
(Nach Stendhal: „Rossini“)