Giuseppe Verdi: »Nabucco«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Im Hebräischen schreibt man übrigens nicht nur von rechts nach links, sondern auch von unten nach oben. Zumindest nach des Spielvogt und seiner Spießgesellen Lesart: Wenn es gilt, den eingezogenen Zwischenvorhang auf diese Weise mit projizierten hebräischen Schriftzeichen zu füllen. Wie’s schlechte Tradition im Regie-Theater, bleibt dem Publikum auch die schon obligate Bebilderung der Ouverture nicht erspart. Nichts Neues also...
II.
Paolo Carignani ward zum Dienst am Pult des Staatsopernorchesters berufen. Seine Deutung der Partitur reicht in ihrer Kompromißlosigkeit und Schroffheit nicht an jene Riccardo Mutis heran. Dies das Ergebnis der Bereitschaft des Orchesters zwischen — in Personalunion — (philharmonischer) Asien-Tournée, bevorstehenden philharmonischen Abonnement-Terminen mit Kirill Petrenko und der Uraufführung von Johannes Maria Stauds Die Weiden. Einerseits. Und den Leistungen auf der Bühne andererseits.
Darf man eigentlich als Dirigent eines Abends abtreten, wenn man sich im Laufe des ersten Aktes der Sinnlosigkeit des Unterfangens bewußt wird?
III.
Der Berichterstatter: Er sei vor allem ein Wahrheits-Sager. Nun denn: Das stimmliche Personal präsentierte sich — mit einer, vielleicht zwei Ausnahmen — in beklagenswerter Verfassung.
Da wäre zum ersten der Staatsopernchor: Ich verzeichnete schleppende Einsätze und verwackelte Chorsätze zuhauf. Selbst bei »Va pensiero« klappte der erste Einsatz nicht. (Wiewohl der Rest der Nummer fein abgestimmt erklang.) Das entschädigt nicht für einen uneinheitlichen Beginn. Siebzehn Jahre nach der Première sollte man einen modus vivendi gefunden haben, wie, am Boden liegend, der Einsatz zu empfangen wäre.
IV.
Da wäre zum zweiten Lukhanyo Moyake, seit Beginn der Spielzeit Ensemble-Mitglied an der Wiener Staatsoper. Ihm verwehrt die Dramaturgie im Programmheft sowohl das Sternchen für sein Wiener Rollen-Debut als Ismaele als auch das wahrscheinliche Ringlein für ein Haus-Debut. (Denn im Staatsopern-Archiv scheint der Südafrikaner bislang nicht auf.) Übrigens: Schlechter, doch seit Jahren gepflegter Brauch dies, junge, unfertige Sänger an den Anforderungen dieser Partie scheitern zu lassen: Denn Moyake gebricht es an den für die Oper des 19. Jahrhunderts erforderlichen Fertigkeiten wie legato und coperto.
V.
Auch Szilvia Vörös muß den Offenbarungseid leisten: Das Gebet »Oh dischiuso è il firmamento!« im vierten Teil bewältigt sie gut (wie überhaupt die Vorstellung nach der Pause an Qualität gewinnt), doch das Terzett »Prode guerrier! ... d’amore« im ersten legte bereits die stimmlichen Defizite bloß: die unterentwickelte Aktivierung des Brustregisters. Doch ohne dieses scheint keine nachhaltige Karriere möglich. Leidet die Tongebung im oberen Register durch Verspannungen im Kehlkopf, stellt sich jene Schrille im Ton ein, durch welche ihre Kollegin an diesem Abend zu bestechen vermeint. Es wäre schade.
Ayk Martirossian ward als Oberpriester des Baal aufgeboten. Das mag angehen. Schön, und, noch wichtiger, richtig gesungen — klang es ebensowenig wie der Abdallo des Leonardo Navarro bei seinem Rollen-Debut. Navarro ließ einen gequetschten Tenor hören, der, klänge er rein und sauber, führte er die Stimme technisch richtig, wohl ins Fach des Spieltenors fiele. So aber...
Olga Bezsmertna bleibt als Anna unauffällig. (Und das ist, gemessen an den anderen, durchaus als Lob zu verstehen.)
VI.
Auch Ain Anger enttäuscht als Zaccaria. Erst in der Prophezeihung im Finale des dritten Teiles erinnert sein Baß an beglückendere Abende. Die Spitzentöne klingen den ganzen Abend hindurch unsicher und wie vom restlichen Stimmumfang entkoppelt.
VII.
Großartige Vertreterinnen für die Partie der Abigaille gab es wohl zu jeder Zeit nur wenige. An den Sprüngen über zwei Oktaven (z.B. bei »o fatal sdegno« im Rezitativ vom hohen zum tiefen Sopran-›c‹), den schwierigen (und schwierig zu gestaltenden) Rezitativen scheitern alle Interpretinnen unserer Tage. Liudmyla Monastyryka ist da bei ihrem Rollen-Debut im Haus am Ring keine Ausnahme.
Die geborene Ukrainerin wartet vor der Pause in bester Mezzo-Tradition mit drei Stimmen auf: Einer immerzu angestrengt klingenden, schrillen Höhe und einer einigermaßen funktionierenden Mittellage gesellt sich eine von letzterer völlig entkoppelte, dunkel timbrierte Tiefe hinzu. Daß Monastyrskas Stimme — gleich jener ihrer jungen Kollegin — selten das geforderte Fundament eignet, der gewünschte Effekt vielmehr durch wechselnden Stimmsitz erzeugt wird: Zeichen stimmlicher Überforderung. Daß Monastyrska die Cavatine »Anch’io dischiuso un giorno« klingen zu lassen versteht, will ich nicht unerwähnt lassen. Leider gilt nämliches weder für das Rezitativ davor noch die Cabaletta danach. Noch für andere Teile ihrer Partie.
Wann werden wir uns wieder darauf besinnen, daß Oper (vor allem die Werke des »erweiterten« 19. Jahrhunderts) der technischen Fertigkeiten des legato und des messa di voce bedarf?
VIII.
Im Mittelpunkt des Interesses stand wohl das Haus-Debut von Luca Salsi als Nabucco. Auch er schwächelte zu Beginn. (Wie auch anders, als Assyrer-König im pelzbesetzten Kaschmirmantel und mittelblauem Anzug?) Salsi steigerte sich allerdings im Laufe des Abends beträchtlich. Schien als einziger daran interessiert, Linien und Phrasen zu singen, anstatt Töne zu produzieren. Auch stimmlich der König des Abends. Ein Wiederhören unter vorteilhafteren Umständen — wäre schön.
IX.
Nehmt nur alles in allem, bleibt als stärkster Eindruck dieses Abends: Daß Verdis Musik selbst unter widrigen Umständen ihren Zauber zu entfalten vermag.
Daran erkenne ich den großen Komponisten.