Richard Wagner: » Parsifal «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Einerseits rückt die Staatsoper die Wünsche Wagners betreffend die Applausregelung in den Abendzettel, andererseits scheren sich die Verantwortlichen keinen Deut um des Komponisten ebenfalls eindeutige Regieanweisungen. Auch weiß ich mich, wenn schon nicht in guter Gesellschaft, so doch eins mit Intendanten, welche den Besuch einer Vorstellung dieses Werkes als » Prüfung « bezeichneten. Und dabei doch so glücklich waren, Kirill Serebrennikovs Überschreibung noch nicht zu kennen.
II.
Wäre da nicht Richard Wagners Musik, kein Mensch gäbe auch nur das Schwarze unter seinen Fingernägeln für eine Ritterschaft, die — wer’s denn glauben mag — einerseits in Keuschheit lebt, andererseits so dysfunktional gezeichnet wird, daß eine schwere Wunde ihres Anführers sie nur mehr in Lethargie vor sich hinvegetieren läßt. (Dagegen erscheint einem Verdis Il trovatore glaubhaft und logisch nachvollziehbar.) — Kurzum, dieses Werk ist heute nur mehr auszuhalten, wenn eine Produktion diesen für uns Heutige eigentlich nicht mehr faßbaren, aufgepfropften Konflikt ernstnimmt und mit den besten musikalischen Kräften paart. Dem Haus am Ring gebricht es an beidem.
III.
Kirill Serebrennikov, sein » musikalischer Assistent « Daniil Orlov verlegten die Handlung unter Mithilfe von Dramaturg Sergio Morabito in ein — russisches(?) — Gefängnis unserer Tage. Bereits während des Vorspiels wird der visuelle Dauerbeschuß des Publikums durch nie versiegende Video-Zuspielungen auf drei, im oberen Bereich des Bühnenportals montierten Leinwänden eröffnet. Ich sah eine schneebedeckte, verfallene russisch-orthodoxe(?) Kirche ebenso wie kräftige, Häftlinge vorstellende Schauspieler, deren Körper über und über mit symbolträchtigen Tätowierungen versehen sind, welche einem jedoch niemand entschlüsselt. (Oder sollte man gar in einem Straflager gedreht haben?)
Darunter, auf der Bühne, tummeln sich im ersten Aufzug die Insassen einen Gefängnisses in dessen Aufenthalts- bzw. Fitness-Raum. Eigens engagierte, durchtrainierte Kerls (Stunt Actors der Stunt-Factory, klärt der Abendzettel auf) stemmen Gewichte und halten sich mit gelegentlichen Prügeleien in Form, während das im Gegensatz dazu in Statur und Wesen armselige Wachpersonal — Wagner listet dafür in der Partitur die Knappen — gegen Bestechung hin und wieder ein Auge zudrücken, wenn Drogen gedealt oder andere, eigentlich verbotene » Vergünstigungen « in Anspruch genommen werden.
Bei Serebrennikov ist Kundry keine Heidin bei der Gralsritterschaft, sondern Journalistin, angestellt beim Magazinmacher Klingsor. Gurnemanz, Titurel und Amfortas stellen Häftlinge vor, als ob ein » König « Genannter Clan-Führer mit offener, sehrender Wunde wochen- oder jahrelang in solchem Umfeld überlebte, ohne daß ein solches Machtvakuum durch Mord, verübt von verfeindeten Clans, gefüllt würde.
Der Spielvogt nennt Parsifal in seiner Version des Inhalts auch im zweiten Aufzug noch trotzig den » Namenlosen «, obwohl Kundry Wagners Text zufolge die Identität des reinen Toren
bereits im ersten Aufzug aufgedeckt hat. Wer solches albern oder gar falsch findet, zählt eben nicht zur Zielgruppe des » jungen Publikums «. Parsifal also. Dieser ermordet einen Mithäftling — den » Schwan « —, welcher von ihm (angedeutet) sexuelle Dienste zu fordern schien. Darob von den Wachen zu Capo Gurnemanz und seiner Gang gebracht, beuteln ihn letztere gleich einmal aus dem G’wand wie die netten Herren beim Dumser den » g’schupften Ferd’l «. Währenddessen bewegt sich Kundry in ihrer Eigenschaft als Journalistin für Klingsors Magazin fotografierend frei zwischen den Häftlingen, ohne sexueller Notstände wegen vergewaltigt zu werden. Gibt es einen besseren Beweis für die Macht von Wagners Musik?
Der Gral entpuppt sich als Monstranz, welche, in einem Postpaket zugestellt, anstelle von Amfortas von einem der Aufseher enthüllt wird. Völlig ins Lächerliche gleitet dieser an Absurditäten wahrlich nicht arme Abend spätestens, wenn Gurnemanz am Ende des ersten Aufzuges zu Parsifal sagt: Dort hinaus, deinem Wege zu!
Was kann einem Häftling besseres geschehen, als daß er in Freiheit gesetzt würde? Oder?
IV.
Die Abstimmung des Publikums hatte freilich schon lange vorher begonnen: Trotz erweitertem Regiekarten-Angebot waren bis knapp vor Vorstellungsbeginn unzählige Plätze für diese Vorstellung erhältlich. Für Wagners Parsifal. Am Osterwochenende. In der Wiener Staatsoper.
V.
Die Besetzung darf man — nach heutigem Maß — als gut bezeichnen. Franz-Josef Seligs Gurnemanz könnte mehr legato und hie und da einen größeren Ton vertragen, doch bleibt er über dem auch diesmal wieder streckenweise zu laut aufspielenden Orchester hörbar. Michael Nagy sang einen tadellosen Amfortas mit nur wenig zu trockenem Ton, und Wolfgang Bankl gelang das Kunststück, als Titurel trotz seines abseits der Bühne auf unvorteilhaftem Platz versehenen Dienstes deutlich vernehmbar zu bleiben. Der Parsifal des Klaus-Florian Vogt überraschte mich mit ungewohnt dunkel klingender Stimme und guter Phrasierung; vielleicht auch, weil er vom Bühnenvordergrund aus sang, während Nikolay Sidorenko den jungen Parsifal im Spiel verkörperte. Einzig Ekaterina Gubanova als Kundry schloß nahtlos an ihre Leistung als Brangäne an und klang bereits im ersten Aufzug gesanglich überfordert, mit teilweise dünner Stimme und zu starkem, langsamen Vibrato.
VI.
Musikalisch litt dieser erste Aufzug — wie zu erwarten stand, bin ich versucht hinzuzufügen — an der unentschlossenen Führung von Philippe Jordan. Man darf Parsifal langsam dirigieren; doch niemals so spannungsarm, so schleppend, als daß die Hörner nicht nur im Vorspiel bedenklich wackelten, immer wieder ungenaue Einsätze des Staatsopernchors und des Extrachors nicht zu überhören waren. Da mochten die Geigen des Staatsopernorchesters noch so fein singen, die Holzbläser delikat klingen: Wenn eine Aufführung so sehr des inneren Zusammenhaltes, der großen Bögen, gebricht, läßt sich damit kein Staat machen.
VII.
Ich empfinde diese Produktion als Zumutung; auf mehreren Ebenen: Erstens den Gesangssolisten gegenüber, deren Bemühungen um die stimmliche Eindringlichkeit ihrer Partien von einer alles überwältigenden, visuellen Reizüberflutung zur Nebensache degradiert werden. Zweitens den Chören und ihren Verantwortlichen gegenüber, welchen es unnötig erschwert wird, ihr Teil zum Gelingen des Wagner’schen Gesamtkunstwerkes beizutragen, jeweils richtig und synchron einzusetzen. Drittens dem Orchester gegenüber, das sich der Herausforderung dieser Partitur gerne stellt, doch sich auf Grund der Umstände unter seinem Wert geschlagen geben muß. Und viertens dem Publikum gegenüber, welches angelockt wurde, um Parsifal zu sehen und zu hören; und welchem die Verantwortlichen des Hauses für die Therapie der Albträume und Ängste eines als Regisseur Vorgestellten gutes Geld aus den Taschen zieht. Parsifal, das Werk, war nicht zu erleben.
VIII.
Da ich meine Karten selbst bezahle, gilt das angelsächsische Sprichwort My dime, my time
. Ich kann daher nicht berichten, wie gut Derek Welton die Partie des Klingsor bewältigt haben mochte: Ich nahm mir die Freiheit, nach dem ersten Aufzug keine weitere Lebenszeit mehr zu vergeuden. Wer mir darob das Recht abspricht, über das Gehörte und Gesehene Zeugnis zu geben, der sei an die Vorwürfe der Nachgeborenen erinnert, wir hätten geschwiegen. Ich, für meinen Teil, kann es verneinen.