»&#8239;Der fliegende Holländer&#8239;«, 1.Akt: Aris Argiris (<em>Der Holländer</em>) in seiner Auftrittsarie »&#8239;<em>Die Frist ist um</em>&#8239;« © Landestheater Linz/Reinhard Winkler

» Der fliegende Holländer «, 1.Akt: Aris Argiris (Der Holländer) in seiner Auftrittsarie » Die Frist ist um «

© Landestheater Linz/Reinhard Winkler

Richard Wagner:
» Der fliegende Holländer «

Landestheater Linz

Von Thomas Prochazka

Am Landestheater Linz versenkt Hermann Schneider den Fliegenden Holländer. Markus Poschner assistiert mit enttäuschendem Dirigat. Und den ganzen Abend hindurch will der Eindruck nicht weichen, Sänger und Orchester würden elektroakustisch verstärkt.
(So waren, in Kürze, die Begebenheiten.)

II.
Wagners Werk trägt den Untertitel Romantische Oper in drei Akten, doch von Romantik findet sich bei Hermann Schneider keine Spur. Wieder einmal verlegt er die Handlung in andere, modernere Zeit und anderen Ort. Wieder einmal stülpt er dem zu inszenierenden Werk eine Deutung über, die diesem nicht innewohnt. Doch wenn man mit einer Oper nichts zu anzufangen weiß: Warum nicht das Werk von jemandem inszenieren lassen, der keine Scheu kennt, die Intentionen des Komponisten, die Einheit von Musik und Text zu wahren?

Intendant Hermann Schneider erfand für den Fliegenden Holländer einen Doppelgänger (bzw. einen diesem zum Verwechseln ähnlich sehenden Ahnen). Er ließ während der Ouverture das kindliche Ich der Senta als junges Mädchen, angetan mit Friesennerz und obligaten gelben Gummistiefeln, einen bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommenen Seemann photographieren. Dessen Bild ist es, das zu Beginn des zweiten Aktes — laut Libretto in Dalands Haus, beim Regievogt in einem sozialistischen Volksheim — an der Wand hängt. Falls es sich beim Volksheim doch um Dalands Haus handeln sollte: Warum hängte er sich das von seiner Tochter während der Ouverture (also vor Jahren) aufgenommene Photo eines verunglückten Seemanns an die Wand? Warum wird justament dieser Seemann » Der fliegende Holländer « genannt? Warum gibt es eine Ballade, sein Schicksal betreffend, und warum sollte Mary, Sentas Amme, letzterer diese Ballade immer wieder vorgesungen haben?

Doch Mary ist in Schneiders Regie-Konzept selbstverständlich nicht Sentas Amme, sondern eine Servierkraft in einem Versammlungsheim oder Kaffeehaus sozialistischer Prägung etwa um die Zeit der späten 1980-er Jahre. Das legen die verschiedenen Tischchen ebenso nahe wie der Zigarettenautomat am linken Bühnenrand. Von Spinnrädern ist keine Spur. Die Volksgenossinnen könnten daher anstelle des Spinn-Chors ebensogut Völker, hört die Signale singen; — es machte keinen Unterschied.

Der geneigte Leser merkt schon: Des Intendanten als Regisseurs Kahn hat zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr nur gehörig Wasser genommen, sondern ist bereits unrettbar in den Untiefen des Regisseur-Theaters versunken.

Die von Meentje Nielsen ersonnenen Kostüme erinnern daran, daß die von Schneider erwählte Zeit sich — zumindest in Deutschland — selbst in der Rückschau nicht durch jene modische Eleganz auszeichnet, welcher man wieder begegnen will (wenn sich’s denn vermeiden läßt). Dieter Richter gelingt mit seinem auf der geschickten Kombination von Drehbühne, auf dieser schwenkbaren Wänden und einem entfernten Leuchtturm mit sich drehenden Lichtern ein detailliertes Abbild der Trostlosigkeit vergessener Landstriche.

Zuvor hatte der Spielvogt den Fliegenden Holländer dem Publikum als Herr über einen » großen Pott « (© Erich Kästner) vorgestellt. Man muß nicht selbst zur See gefahren sein, um zu wissen, daß des Holländers als Tanker oder Riesenfrachter dargestelltes Schiff die Meere niemals so rasch zu durchpflügen vermag wie Dalands. Und daß damit des Holländers Wort Mein Schiff ist schnell, es holt dich sicher ein. unglaubwürdig wird. In jedem Fall handelt es sich bei beiden Wasserfahrzeugen um keine Segelschiffe. Das gibt des Steuermanns Lied nach günstigem Wind und seinen späteren Ruf Südwind! Südwind! der Lächerlichkeit preis.

» Der fliegende Holländer «, 2. Akt: Die Spinn-Szene in Dalands Haus in der Sichtweise von Hermann Schneider: Manuela Leonhartsberger (<em>Mary</em>) und die Damen des Chores des Landestheaters Linz © Landestheater Linz/Reinhard Winkler

» Der fliegende Holländer «, 2. Akt: Die Spinn-Szene in Dalands Haus in der Sichtweise von Hermann Schneider: Manuela Leonhartsberger (Mary) und die Damen des Chores des Landestheaters Linz

© Landestheater Linz/Reinhard Winkler

Am Ende des Abends vereint sich Senta mit ihrem jüngeren Ich (Lisa-Marie Schneider). Sie singt mit Blick auf das offene Meer und den Leuchtturm dem Fliegenden Holländer ihr Erlösungsg’stanz’l (in der Todestonart d-moll). Dann nimmt sie mit sich selbst an der Mole Platz, während der Holländer wortlos in einer sich über der Wasserlinie befindlichen Luke in seinem Frachtschiff verschwindet. Was sollte er angesichts der sich ihm bietenden szenischen Malaise auch sonst tun? Das Licht verlöscht über dem Erlösungsfinale in B-Dur, und alle Fragen bleiben offen.

III.
Leider stand auch musikalisch nicht alles zum besten. Markus Poschner hatte diesmal mit der Koordination von Bühne und Graben seine liebe Not. Das Bruckner Orchester Linz hielt sich wacker, folgte dem Dirigenten auf den verschlungenen Pfaden teils ermüdend langsamer, dann wieder gehetzt wirkender Passagen und mangelnder Klang-Balance. Auch hörte ich immer wieder verwackelte Choreinsätze und unsauberen Zusammenklang (auch im Orchester).

Richard Wagner hatte in der Partitur für den Damenchor Das Schiffsvolk kommt mit leerem Magen prestissimo possibile notiert. Doch was soll mir die ganze Hetzerei, wenn der Chor beim dritten Takt auseinanderfällt und jede Wirkung verpufft? Denn (und das scheint mir das Schwerste zu sein): Der fliegende Holländer ist in seinen Grundzügen eine deutsche Spieloper wie die Werke Webers und Lortzings. Es ist dieser Spielopernton, diese Leichtigkeit, welche den Gegensatz zu den dramatischen Ausbrüchen bildet. Das gilt im besonderen für die Chor-Passagen, aber auch für Dalands Wohl, Fremdling, hab ich eine schöne Tochter oder den Übergang vom ersten zum zweiten Akt. Und im Treffen oder Verfehlen dieses Tons, da liegt der ganze Unterschied.

IV.
Dasselbe galt für die dynamischen Anforderungen, die Markus Poschner an seine Sänger stellte: Operngesang erfordert — auch oder gerade in den Rezitativen — ein Mindestmaß an Stimmdruck bei der Tonerzeugung. Kann dieser nicht mehr gehalten werden, z.B., weil Dirigent oder Spielvogt immer noch weniger Ton verlangen, kollabiert die Stimme. Die Grenze des minimal notwendigen Stimmdrucks ist für jeden Sänger unterschiedlich. So agierten denn auch die an diesem Abend engagierten Damen und Herren mehr oder weniger glücklich.

Manuela Leonhartsberger beispielsweise war eine wortdeutliche Mary. Mit ihrer Leistung könnte sie zur Verbesserung so manchen Wiener Abends beitragen. Jonathan Hartzendorf sang einen rollendeckenden Steuermann, der vor allem mit seinem Lied im Gedächtnis blieb. Hartzendorfs Stimme scheint mir nicht allzu groß, doch in der Mittellage gut geführt und nicht so trocken wie die Organe manch seiner Kollegen an größeren Häusern. Die Höhen forderten sein Instrument allerdings über Gebühr.

Als dieser Steuermann vom Tand sang, den er seinem Mädel vom Mohrenstrand mitbringe, wurde in den Untertiteln die wohl als Entschuldigung gedachte Anmerkung eingeblendet, es handle sich dabei um einen altertümlichen Ausdruck: in den Augen der die deutsche Sprache kapernden Gutmensch*Innenden sicher die zweitschlechteste Lösung auf der nach oben offenen woke-ischen Dummheitsskala. Darf man als gesellschaftlicher Beobachter anstelle wortpolizeilicher Verfolgung die nachhaltige Investition in bessere Bildung empfehlen?

Der Erik des Matjaž Stopinšek wandelte den ganzen Abend hindurch jenseits der Grenze stimmlicher Überforderung. Ob dazu auch die Tatsache beitrug daß er, der Jäger, auf des Spielvogtes Geheiß als Polizist auftreten und im Ende seine Dienstwaffe auf seine angebliche Geliebte bzw. seinen Nebenbuhler richten mußte? Befremdlich auch, wenn sich ein Hüter der Staatsgewalt in einer ins ausgehende 20. Jahrhundert verlegten Inszenierung auf den Satan berufen muß. Man hat es als Sänger auch an zweiten und dritten Häusern nicht immer leicht …

Michael Wagner als Daland begann den Abend mit trockener Stimme, fand aber trotz des szenischen Elends mit Fortdauer des Abends zu einer musikalisch mehr als ordentlichen Leistung.

» Der fliegende Holländer «, 2. Akt: Erica Eloff (<em>Senta</em>) und Matjaž Stopinšek (<em>Erik</em>), im Hintergrund Jonathan Hartzendorf (<em>Der Steuermann</em>) © Landestheater Linz/Reinhard Winkler

» Der fliegende Holländer «, 2. Akt: Erica Eloff (Senta) und Matjaž Stopinšek (Erik), im Hintergrund Jonathan Hartzendorf (Der Steuermann)

© Landestheater Linz/Reinhard Winkler

Von der Senta der Erica Eloff muß Gegenteiliges berichtet werden: Die Ballade ward ordentlich gesungen. Auch aus Bayreuth und anderen Häusern konnte man in den vergangenen Jahren von ähnlichen gesangstechnischen Mängeln berichten: Frau Eloff darf sich also in guter Gesellschaft fühlen. Daß ihr Sopran für die dramatischen Ausbrüche zu klein ist, in diesen immer wieder überfordert klang: Sie weiß es wohl selbst. Doch die Engagements sind rar, und jeder tut das ihm Mögliche. Unter dem Strich und in Einberechnung aller Umstände ergab das im Fall von Frau Eloff eine durchaus gute Interpretation dieser Partie.

Auch der Holländer des Aris Argiris mußte den Gegebenheiten Tribut zollen. Herrn Argiris’ Stimme verfügt — zumal für ein Haus wie das Linzer Landestheater — über mehr als nur die ausreichende Größe, der Titelpartie alle Facetten abzugewinnen. Dieser Holländer bestach — so er nicht in direktorialer Verwechslung des Unterschiedes zwischen recitativo und pianissimo gezwungen war, den Stimmdruck auf fast null zu reduzieren — durch seine Durchschlagskraft und Phrasierung. Immer wenn dieser Holländer auf der Bühne stand und nicht stimmlos hauchen mußte, machte das legato seine auch an diesem Abend rare Aufwartung. Im Gesang überzeugend ab der ersten Szene, haftete des Holländers Abschied jene stimmliche Niedergeschlagenheit an, welche Sentas Abschied von der Welt (bei Wagner; — bei Schneider: nicht) erst möglich macht. Gut vorstellbar, daß Aris Argiris auch in Wien mit einem guten Dirigenten ebensolche Figur zu machen im Stande wäre.

V.
Eine Empfehlung? Für alle, welche diese Oper gerne wieder einmal live hören wollen. Für alle, die sich gegen Hermann Schneiders » Ideen « als immun erweisen. Und für alle, die einen gut phrasierenden Holländer hören wollen.

P.S.: Der Höreindruck auf der zweiten Galerie hinterließ bei mir die an Gewißheit grenzende Vermutung, daß Sänger und Orchester elektroakustisch verstärkt wurden. Zu stark traten immer wieder einzelne Instrumente hervor; zu laut klang so manches Bühnengeräusch, zu prominent die (über-)harten Betonungen der Endkonsonanten vieler Wörter.
Zweckdienliche Hinweise aus der Leserschaft diesbezüglich werden gerne entgegengenommen.

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