» Pique Dame «, 3. Akt: Dmitry Golovnin (Herrmann), Elena Guseva (Lisa), Boris Pinkhasovich (Jeletzki) und die Herren des Chors der Wiener Staatsoper © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Pique Dame «, 3. Akt: Dmitry Golovnin (Herrmann), Elena Guseva (Lisa), Boris Pinkhasovich (Jeletzki) und die Herren des Chors der Wiener Staatsoper

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Piotr Iljitsch Tschaikowski:
» Pique Dame «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Hingehen und anhören.

II.
Wiens Opernfreunde wußten es schon immer: Ohne Sänger, ohne Dirigenten kann man keine Oper spielen. (Als hätte es je des Nachweises solcher Behauptung bedurft.) Vom ersten Takt an gelingen Valery Gergiev und dem Staatsopernorchester eine hervorragende und in sich geschlossene musikalische Deutung von Tschaikowskis chef d’œuvre. Bewundernswert, wie Gergiev mit kleinsten, flirrenden Bewegungen seiner Hände die dynamische Palette durchmißt, Einsätze gibt, orchestrale Zurückhaltung fordert. Und das Orchester nicht nur in den Soli zu Höchstleistungen animiert. Dieser Abend fordert Orchester, Chor, Solisten — und das Publikum. Wer sich darauf einläßt, dem danken es alle Kräfte des Hauses mit einem Abend, der in der Rückschau gewiß als Höhepunkt (nicht nur) dieser Saison Bestand haben wird.

Der Chor der Wiener Staatsoper zeigt sich blendend disponiert (die Ball-Szene! die abschließende Spielszene!), die Kinder der Opernschule sind mit (nicht nur darstellerischem) Eifer bei der Sache. Die Ballettakademie des Instituts ist nach Kräften bemüht, die Absurdität der von Vera Nemirova zur Modenschau und peep show umgedeuteten Schäferszene vergessen zu machen.

III.
Vera Nemirovas Umsetzung des nach den Worten des Pianisten Vasilij Safonow vervollkommneten [Eugen] Onegin war bereits bei der Première 2007 kaum modisch, geschweige denn modern. Heute, 15 Jahre später, erscheint ihre nicht einmal mehr aufgesetzt wirkende Aktualisierung vollends aus der Zeit gefallen: In vielen Momenten nur mehr läppisch, in anderen schlicht die Unkenntnis um Piotrs Partitur, um Modests Querverweise zu Eugen Onegin wie ein Banner vor sich her tragend.

» Pique Dame «, 2. Akt: Die Gräfin (Olga Borodina) mit Herrmann (Dmitry Golovnin), gekommen, um ihr das Geheimnis der drei Karten zu entreißen. © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Pique Dame «, 2. Akt: Die Gräfin (Olga Borodina) mit Herrmann (Dmitry Golovnin), gekommen, um ihr das Geheimnis der drei Karten zu entreißen.

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Doch solche Einwendungen verpuffen angesichts der musikalisch hervorragenden Aufführung. Wie überall gab’s auch an diesem Abend Licht und Schatten. Doch das Licht leuchtete so stark, daß man jene im Dunkeln kaum wahrnahm.

Allen voran sei Olga Borodina gennant. Nicht nur in Je crains de lui parler la nuit, der große Szene der Gräfin, durchmaß Borodinas Stimme die Register ohne hörbare Schwierigkeiten; mit voll klingender Stimme, gleichbleibender Farbe in den einzelnen Phrasen. Ich verstand jede Silbe, jedes Wort. In ihren Szenen erwuchs diese Gräfin zum Zentralgestirn der Aufführung.

Eine positive Überraschung war mir Monika Bohinec als Polina/Daphnis (wie Borodina mit Rollen-Debut im Haus am Ring). Unerschrocken die Anweisungen der Spielvogtin ausführend, schien mir Bohinec’s Stimme ausgeruhter, gesünder und leistungsfähiger als bei den letzten Zusammentreffen. Ohne Zweifel ein guter Abend. — Nicht vergessen sein soll in diesem Zusammenhang auch Kristin Okerlund, die als Begleiterin am Klavier jenen Part übernahm, welchen Modest Tschaikowski eigentlich Lisa, in ihrem Zimmer am Cembalo sitzend, zugedacht hatte. (Details …)

Leider hinterließen Stephanie Houtzeel als Gouvernante und Anna Nekhames als Mascha/Chloe — beide ebenfalls bei ihren Rollen-Debuts, letztere auch Mitglied des Opernstudios — keinen guten Eindruck. Unbeschadet der vorhersagbaren szenischen Anweisungen der Spielvogtin klang Houtzeels Stimme erschreckend flach; ohne Volumen, ohne musikalische Gestaltung. Daß sie eine aparte, eine schöne Frau ist, entschädigt leider nicht. Auch Nekhames vermochte ihrer Stimme nicht das notwendige Volumen mit der ihren Partien angemessenen Bestimmtheit entlocken. Der Unterschied im Vokalen zu Borodina: wie Tag und Nacht.

V.
Elena Guseva, die Lisa des Abends, ist in Wien keine Unbekannte: Im Oktober 2017 war sie die Polina in Sergej Prokofjews Der Spieler, im Juni 2019 hatte sie Dominique Meyer als Aida besetzt. Guseva sang eine gute Lisa, mit voll klingender Mittellage. In der Höhe und bei den Abstiegen in Richtung des passaggio klang ihre Stimme mitunter scharf bzw. unfrei. Wie bei den meisten Sopranen unserer Tage scheint die Stimme nicht im notwendigen Ausmaß unterfüttert. Allerdings: Mit einem Maestro wie Valery Gergiev am Pult, der Rücksicht zu nehmen weiß, glänzt auch eine solche Stimme über die Maßen. Der abschließende Eindruck: durchaus gut, nicht nur in der großen Szene Uzh polnoch blizitsya im vorletzten Bild.

» Pique Dame «, 1. Akt: Fürst Jeletzki (Boris Pinkhasovich) und Lisa (Elena Guseva) vor seiner Liebeserklärung © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Pique Dame «, 1. Akt: Fürst Jeletzki (Boris Pinkhasovich) und Lisa (Elena Guseva) vor seiner Liebeserklärung

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Der zweite Höhepunkt des Abends war zweifelsohne die Liebeserklärung des Fürsten Jeletzki an Lisa. Boris Pinkhasovich (auch er mit seinem Rollen-Debut an der Wiener Staatsoper) sang (unter anderem) Ya vas lyublyu mit einem Ausdruck stimmlicher Noblesse, die keine Konkurrenz zu scheuen braucht. Pinkhasovichs Bariton verströmt sich — in seiner Arie, die unzweifelhaft als Weiterentwicklung von Fürst Gremins Lyubvi vsye vozrasti pokorni anzusehen ist; und auch sonst. Großartig.

In anderen Partien erfreuen Alexey Markov als Tomski/Pluto mit der prägnant gesungenen Erzählung Odnazhdï v Versalye, die Herrmann ja erst der Gräfin Geheimnis enthüllt, und der alle anderen um einen Kopf überragende Artyom Wasnetsov als Surin. Auch der Tschekalinski des Robert Bartneck und Angelo Pollak als Tschaplitzki enttäuschen nicht.

VII.
Und der Hermann des Abends? Dmitry Golovnin gibt ihn bei seinem Haus-Debut mit kräftiger Stimme, gutem chiaroscuro und vielen auf Linie gesungenen Phrasen. (Wie selten ist uns das heute geworden!) Immer wieder scheint sich Golovnins Stimme, die hohe Lage ansteuernd, zu verengen; und immer wieder gelingt es ihm, die Verbindung herzustellen und gleichzeitig die Kontinuität im Ton zu wahren. Eine sehr, sehr gute Leistung. Ausdrucksstark malt er — auch stimmlich — das Portrait eines unglücklich Verliebten, eines Zerrissenen, der nach dem Reichtum giert, weil er sich der adeligen Lisa nicht sicher sein kann. (Diese Standes-Barriere vermag auch die Spielvogtin nicht wegzuinszenieren, stellt sie doch einen zentralen Pfeiler des Werkes vor. Aufmerksame Beobachter können nicht umhin zu bemerken, wie diese engstirnige und falsche Sichtweise wie auf einer schiefen Ebene unrettbar auf die Abgründe fundamentaler Mißverständnisse zusteuert.)

VIII.
Hingehen und anhören. — Bitte.

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