»Tosca«, 1. Akt: Floria Tosca (Sondra Radvanovsky) mit ihrem Geliebten, Mario Cavaradossi (Piotr Beczała) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Tosca«, 1. Akt: Floria Tosca (Sondra Radvanovsky) mit ihrem Geliebten, Mario Cavaradossi (Piotr Beczała)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini: »Tosca«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

»Durchwachsen.« Dies die Antwort des jungen Gesangsstudenten aus Berlin auf die Frage, wie ihm der erste Akt gefallen habe: »Es fehlen die Glanzlichter.« Die Jugend ist eben in ihrem Urteil noch viel gestrenger als wir Älteren... Denn für mich zählt diese Tosca-Vorstellung zu den stärksten Aufführungen des Werkes in den letzten Jahren. Und zu den zwei, drei besten Abenden der laufenden Saison.

II.
Der Abend ist nicht frei von Fehlern. Aber er berührt. Reißt mit.

Man mag Einwände finden, wenn man an Sondra Radvanovskys manchmal scharfe Höhen denkt, an den einen oder anderen schwächelnden Ton über dem passaggio. Man mag aber auch hören, daß Radvanovskys Tun auf dem Einsatz ihrer Bruststimme fußt, mit klarer Stimme und Diktion. Wie diese Floria Tosca in teils naiver Eifersucht (»Ma falle gli occhi neri!«) mit ihrem Mario Cavaradossi — auch stimmlich — tändelt: Das begibt sich nicht alle Tage.

»Tosca«, 2. Akt: Floria Tosca (Sondra Radvanovsky) und Roms Polizeichef, Baron Scarpia (Thomas Hampson) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Tosca«, 2. Akt: Floria Tosca (Sondra Radvanovsky) und Roms Polizeichef, Baron Scarpia (Thomas Hampson)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

III.
Starke Momente. Um dem Parkett nachvollziehbar zu machen, wie diese Tosca dem Baron Scarpia ins Netz geht, in ihrer Verzweiflung, ihren Liebsten zu retten, seine politischen Ge­heim­nisse verrät: Dazu braucht es auch den richtigen Gegenspieler. Thomas Hampson ist es, der im Verein mit seinen Kollegen den Abend mitreißend zu gestalten weiß. Der Baron Scarpia ist Hampsons stärkste Partie nicht. Aber wie seine Stimme vor allem in der Mittellage fließt, er den römischen Polizeichef gestaltet, das ist von der ersten bis zur letzten Minute spannend.

Das »Te Deum« bestreitet Hampson mit kraftvoller Stimme, ohne jedoch zu forcieren. (Diese Pro­zes­sion in den Bühnenbildern von Nicola Benois hinterläßt jedes Mal tiefen Eindruck.) Die zwei hohen ›f‹ im zweiten Akt allerdings geben beredt Zeugnis von Hampsons schon ein paar Jahre währender Karriere. Und daß das passaggio auch für einen Bariton Herausforderungen bereithält. Dennoch erscheint dieser Scarpia nie gefährlicher, als wenn er im Palazzo Farnese an seinem Tisch sitzt und ißt: ein lauerndes Raubtier mit der Gewandtheit einer Großkatze. Die das »Basta! Roberti« begleitende Geste... Starke Momente.

IV.
Piotr Beczała debutierte in dieser Serie als Mario Cavaradossi. Und wie! Bereits in »Recondita armonia« ließ der Pole keinen Zweifel daran, daß dies sein Abend würde. Beczała singt in der ita­lienischen Tradition, entwickelt die Spitzentöne aus dem Brustregister. Bruchlos steigt die Stim­me durch das passaggio bis zum hohen ›b‹. Zum Wiederholen... (Warum wird eigentlich nie »Re­condita armonia« als da capo verlangt? Sie ist doch die viel schönere Arie.) 

Was danach folgt, ist das Duett zweier Liebender. Wie Radvanovsky und Beczała da miteinander spielen, sich mit ihren Stimmen necken — herrlich! Und, ja, berührend, an diesem Valentinstag. Wie dieser Cavaradossi seine Tosca umgarnt, ihr nach anfänglichem Wehren doch einen Kuß in der Kirche abzuringen versteht: Da hält er die Palette so, daß der Madonna der Blick auf die Köpfe der beiden verwehrt bleibt...

Ebenso kraftvoll und nachvollziehbar gestaltet Beczała die Vittoria-Rufe. Und krönt sein Tun mit »E lucevan le stelle«. Zweimal; — weil bei großen Tenören und Wiener Lieblingen ist dies nun einmal jahrzehntelang geübte Tradition. Den Abend beschließen mit kräftiger, doch ca­res­sierender Stimme gesungene »Dolci mani« ohne Zuhilfenahme des falsetto: Piotr Beczała schenkt der Opernwelt einen neuen ersten Cavaradossi.

So eindrucksvolle Fotos wie dieses gelingen selbst einem Profi nicht alle Tage: Michael Pöhn portraitiert Sondra Radvanovsky als Floria Tosca © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

So eindrucksvolle Fotos wie dieses gelingen selbst einem Profi nicht alle Tage: Michael Pöhn portraitiert Sondra Radvanovsky als Floria Tosca

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Starke Momente. Für die sorgt an diesem Abend nicht nur die Bühne, sondern auch der Graben. Marco Armiliato ist der Koordinator des Ganzen, und das Staatsopernorchester folgt willig. Läßt die Liebesgesänge ebenso erblühen, wie es die dramatischen Situationen verstärkt. Es gibt wohl nur wenige Opernhäuser, in welchen die Partitur einer Tosca so erklingt. Den Damen und Herren sei Dank.

VI.
Ich erlebte gerne öfter solch einen »durchwachsenen« Abend. (Starke Momente.)

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