» Die tote Stadt «, Finale des 2. Bildes © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Die tote Stadt «, Finale des 2. Bildes

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Erich Wolfgang Korngold:
» Die tote Stadt «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Ein lohnender Abend, trotz manchen Einwands. Zum ersten: des Stückes wegen. Zum zweiten: der Musik wegen. Zum dritten: der Aufführung wegen.
Trotz manchen Einwands …

II.
Jenem zum Beispiel, daß eine pausenlose Aufführung Pauls Traumwelt nicht unterbrochen, die Geschlossenheit des Abends gesteigert hätte. Oder jenem, daß Willy Decker (» natürlich «, ist man geneigt, festzustellen) sich mit der durch die Korngolds aufgespannten Ebene nicht zufrieden gab. Denn niemand anderer als Julius Korngold, des Komponisten Vater und einflußreicher Kritiker, verbirgt sich hinter dem Pseudonym Paul Schott. (Ich sagte dies — und anderes — bereits.) Oder jenem, daß die Sänger den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht wurden; — aus unterschiedlichen Gründen.

III.
Decker ließ sich von Wolfgang Gussmann Kostüme entwerfen, welche die Entstehungszeit spiegeln. Eine Bühne zaubern, welche die Theatermaschinerie fordert: welche die Verwandlungen für die und in den Traumsequenzen des Stücks mit schlafwandlerischer Sicherheit umsetzt. Einer Lichtregie, die man heute zumeist vergeblich sucht.

Ohngeachtet Georges Rodenbachs Bruges-la-Morte konnte Die tote Stadt nur in Wien entstehen: dort, wo Sigmund Freud Unerhörtes für die Psychoanalyse leistete. Willy Decker gebührt das Verdienst, Pauls Rückkehr ins Leben dem Publikum glaubhaft machen zu können. Dies scheint umso bemerkenswerter, da er sich den Abend hindurch immer wieder Prügel vor die Füße wirft. Die psychologischen Zusammenhänge der Figuren, die Beziehungen zwischen Paul und seinem Freund Frank, zwischen Paul und der Tänzerin Marietta, zwischen Marietta und Pauls verstorbener Frau Marie: Sie entziehen sich jedem rationalen Argument, wenn die Tänzerin den trauernden Witwer besucht, den Boden des Zimmers übersät mit (verblühten) Rosen und Bildern Maries vorfindet — und trotzdem bleibt. Wenn Marietta im dritten Bild im Unterhemd und Glatze agieren muß, anstatt ihr glänzendes, güldenes Haar mit der stumpf gewordenen Flechte der Verstorbenen zu vergleichen. Wenn die Tänzerin nach Deckers Willen unzählige Male hin und wider laufen muß, während die Partitur ihr Wesen ruhiger (und damit überlegener) zeichnet.

Vielleicht muß eines, um die in diesem Werk sicht- und hörbar gemachte Verzweiflung Pauls empfinden zu können, das Glück (gehabt) haben, seinem Lebensmenschen begegnet zu sein. Vielleicht bedarf das umfassende Verständnis für Pauls unendlich scheinende Trauer der Erfahrung, zu zweit eins zu sein; einer Erfahrung, die nur wenigen gegönnt ist. (Man sinne in stiller Stunde darüber nach.)

Für uns andere bleibt Deckers und Gußmanns handwerklich hervorragende Szene, in der die Träume die Räume unseres Daseins sprengen; Mariettas Komödiantentruppe Platz findet neben wirbelnden Häusern und dem Totentanz von Brügge.

» Die tote Stadt «, 1. Bild: Klaus Florian Vogt (Paul) und Adrian Eröd (Frank) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Die tote Stadt «, 1. Bild: Klaus Florian Vogt (Paul) und Adrian Eröd (Frank)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Thomas Guggeis gab mit diesen Vorstellungen sein Debut am Pult des Staatsopernorchesters. Ein, nehmt nur alles in allem, beeindruckendes Debut. Die Organisation eines Instrumentes wie das Staatsopernorchester in einem Werk mit nicht eben kleiner Komplexität ist keine einfache Aufgabe. Entschuldbar daher, daß es hin und wieder der Feinabstimmung der Orchesterstimmen mangelte; einige Takte (am Beginn des 3. Bildes) wackelten. Das Blech zu laut prustete.

Guggeis’ klare, doch große Gesten animierten die Hundertschaft im Graben, die Sänger ins Dezibel-Abseits zu drängen. An manchen Stellen wäre mehr Flexibilität in Tempo wie in Lautstärke wünschenswert gewesen. Doch all das, will mir scheinen, wird sich mit den kommenden Jahren, zuwachsender Erfahrung, geben. Der erste Bar gelang. Es wäre interessant zu hören, was dieses musikalische Talent zu Mozart zu sagen hat.

V.
Adrian Eröd sang (wie bereits vor fünf Jahren) Pauls Freund Frank — und Fritz, den Pierrot. Eröds Stimme kann den Lauf der Zeit nicht leugnen: Kultiviert und wortdeutlich wie eh und je, klang sie blasser, uninteressanter, als ich sie in Erinnerung hatte. Mein Sehnen, mein Wähnen empfand ich stellenweise nasal gesungen, so mancher Spitzenton bereitete Mühe. Geriet nicht so selbstverständlich wie — » damals «. (Sie wissen schon.) Ein bisserl durchgeistigt und artifiziell.

Monika Bohinec gewann der Brigitta stimmlich nicht viel ab. Gewiß: Beeindruckend, wenn sie im Traumbild singt, schräg am Kreuz hängend. Doch wozu? Was tut dies zur Sache? Bereits in der Eröffnungsszene klang Bohinec’ Stimme in der Höhe rauh, überfordert.

Mariettas Komödiantentruppe spielte mit Fleiß und sang, wie man es heutzutage von Comprimarii erwarten darf.

» Die tote Stadt «, 3. Bild: Vida Miknevičiūtė (Marietta/Marie) und die Komparserie der Wiener Staatsoper © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Die tote Stadt «, 3. Bild: Vida Miknevičiūtė (Marietta/Marie) und die Komparserie der Wiener Staatsoper

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Vida Miknevičiūtė mag mit ihrem ernsthaften Spiel in der Doppelrolle Marietta/Marie einen Großteil des Publikums für sich gewonnen haben; doch ihrer Stimme ermangelt das Fundament: kein chiaroscuro. Die Folgen: fortgesetzte Textundeutlichkeit, vor allem in der Höhe und der oberen Mittellage, zu kleines Volumen, um Korngolds (nicht: Guggeis’!) Anforderungen zu entsprechen. Wer wissen wollte, wovon Miknevičiūtė sang, mußte den Text auswendig kennen. Begreift man Oper als Theater durch Gesang, als Spiel durch Gesang, als Gesang als Spiel, war’s eine wenig zufriedenstellende Angelegenheit.

Bleibt Klaus Florian Vogt in der Partie des Witwers Paul. Es gibt heute wohl kaum einen Sänger an den ersten Häusern mit einer derart kopfigen und körperlosen Tenorstimme. Was erstaunt, ist, wie selten Vogt mit dieser Stimmanlage Zuflucht zu reinen Kopftönen nehmen muß. Der Preis für solches Singen: geringe Textverständlichkeit. Und: Oberhalb des passaggio geht Vogts Stimme in den forte-Wogen des Korngold-Orchesters unter. Da fehlt — das heute pandemisch auftretende Problem des stimmlichen Ungleichgewichts ist ein alle Stimmgattungen betreffendes — die Unterfütterung, die dunkle Seite. Vogt läßt im Spiel Pauls Verzweiflung sichtbar werden. Das gelingt. Stimmlich kommt er, hat man die Vergangenheit im Ohr, über die Runden; doch nicht viel mehr.

VI.
Mancher Einwand … Dennoch: Diese Serie der Toten Stadt lohnt den Besuch.

62 ms