Nurejew Gala 2018
Wiener Staatsballett
Von Ulrike Klein
Gemeinsam mit seiner Compagnie feierte Legris mit internationalen Gästen: Olga Smirnova und Semyon Chudin vom Bolschoi-Ballett in Moskau, Marianela Nuñez und Vadim Muntagirov vom Royal Ballet in London, Alexandre Riabko und Ivan Urban vom Hamburg Ballett und Isabelle Guérin vom Ballet de l'Opéra de Paris.
Unter der kundigen Leitung von Kevin Rhodes spielte das Orchester der Wiener Staatsoper Musik quer durch die Ballettgeschichte. Die Klavierparts übernahmen die Ballettkorrepetitoren des Hauses: Laurene Lisovich, Shino Takazawa, Jirí Novák und Igor Zapravdin.
Wie in jedem professionell gebundenen Bouquet wurden gestern neben den herausragenden Blüten auch rahmendes Blattwerk und Füllmaterial aufgeboten.
Duftiges Schleierkraut zur Eröffnung: Valse Fantaisie von Georges Balanchine mit Natascha Mair und Jakob Feyferlik.
Dunkle Akzente setzt Eno Peci in seinem Opus 25. Zusammen mit Maria Yakovleva tanzt der Choreograph zu einer Etüde Chopins den gescheiterten Versuch der Kommunikation.
Masayu Kimoto ist der Solist im danse siamoise aus John Neumeiers Le Pavillon d’Armide. Eine exotische Blüte, die die Sehsucht nach dem ganzen Stück erwachen läßt.
Ein schlanker, graziler Halm ist das Andante aus MacMillans Concerto zu Schostakowitschs Klavierkonzert Nr.2. Nina Poláková und Roman Lazik sind das feinsinnige Solistenpaar, die mit beeindruckender Ruhe den Pas de deux gestalten.
Marius Petipa, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum zweihundertsten Male jährt, choreographierte mit Satanella zur Musik Cesare Pugnis ein Gustostückerl: ein Feuerwerk an Sprüngen und Pirouetten. Kiyoka Hashimoto uns Mihail Sosnovschi brillieren in diesem Pas de deux und setzen einen ersten Glanzpunkt. (Nun werden die ersten Edelblumen in den Strauß geflochten.)
Aus Boris Eifmans Giselle Rouge, dem Wiener Publikum aus der Volksoper bekannt, tanzen die herausragende Ketevan Papava und Eno Peci einen Ausschnitt. Eine blutrote Rose voller Dramatik hat den Weg ins Gebinde gefunden.
Zarte Blüten bringen Olga Smirnova und Semyon Chudin als Bianca und Lucentio in Jean-Christophe Maillots The Taming of the Shrew. Diese Innigkeit im Tanz hätte ich mir Anfang des Monats in Giselle gewünscht…
Damit der Strauss in der ersten Pause nicht zerfällt, gab es noch stützendes Material; — kleinere Blüten, Röschen und Blattwerk: die Compagnie des Hauses tanzte einen Ausschnitt aus Nurejews Raymonda. Maria Yakovleva als Raymonda band die letzte Rose vor der Pause ein.
Sir Frederick Ashton schuf 1963 für das Royal Ballet sein Ballett Marguerite and Armand. In den Hauptrollen: Dame Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew. Marianela Nuñez und Vadim Muntagirov tanzten die Partien in der wunderbar zarten, feinen Tradition des englischen Balletts. Der pure Genuß. So muß dieses Stück getanzt werden.
Dieser zweite Teil des Abends verdient es, als gesonderter Strauß dem Jubilar überreicht zu werden. Weiße Kamelien für Nurejew…
Mit einem Ausschnitt aus András Lukács’ Movements to Stravinsky wird das große Bouquet weiter gebunden. Lukács bietet, wie viele zeitgenössische Choreographen, mehreren Tänzern die Gelegenheit, solistisch hervorzutreten und doch im Ganzen gleichberechtigt zu sein. Ioanna Avraam, Alice Firenze, Sveva Gargiulo, Fiona McGee sowie Masayu Kimoto, James Stephens, Richard Szabó, Arne Vandervelde und Géraud Wielick tanzen erstmals nach der Uraufführung im April 2017 an der Wiener Volksoper einen Ausschnitt im Haus am Ring.
Aber nicht nur Mitglieder des Ensembles treten choreographisch hervor. Mit großem Erfolg hat Manuel Legris im März 2016 seine Fassung von Le Corsaire zur Erstaufführung gebracht. Also darf ein Ausschnitt nicht fehlen: Liudmila Konovalova und Robert Gabdullin als Medora und Conrad bieten mit dem Pas de deux aus dem zweiten Akt eine zarte, aber starke Blume als Geschenk.
Und nun — ein Jahr mußte das Wiener Ballettpublikum voller Hoffnung warten —, ist es soweit: Davide Dato feiert sein Comeback auf der Bühne der Wiener Staatsoper! Zusammen mit Nina Poláková tanzt, nein, gestaltet er einen Ausschnitt aus Edward Clugs Peer Gynt. Stark und präsent sind die beiden ersten Solisten als Solveig und Peer Gynt. In diesem kurzen Moment wird klar, was alles aus der Choreographie Clugs herausgeholt werden kann. Ein robustes, nordisches Gehölz bietet dem Strauß seine Kraft.
Gleich danach ein weiterer Höhepunkt: ein Geschenk im Geschenk. John Neumeier, wohl der bedeutendste zeitgenössische Choreograph, widmete sein Opus 100 Maurice Béjart zum siebzigsten Geburtstag. Zur Musik von Simon & Garfunkel tanzen Alexandre Riabko und Ivan Urban Old Friends und Bridge over Troubled Water.
Auch Juwelen dürfen nicht fehlen in einem Geburtstagsstrauß: George Balanchines Jewels sind mit dem Pas de deux Diamonds vertreten. Olga Smirnova und Semyon Chudin sind die exzellenten Solisten, kühl und unnahbar wie Diamanten.
Wie schon in den letzten Jahren ist es Manuel Legris ein Bedürfnis (und für das Publikum eine Ehre), selber für seinen Mentor zu tanzen. Gemeinsam mit Isabelle Guérin tanzt er einen Ausschnitt aus Roland Petits Le Rendez-Vous: Der Vorhang öffnet sich. Vor der Projektion einer verregneten Pariser Strasse steht ein Mann im weißen Hemd, die Hände lässig in die Hosentaschen gesteckt… — und tut nichts. Aber wie er dasteht und nichts tut: Das ist so raumfüllend und wird vom Publikum spontan mit Applaus gefeiert.
Da weiß ein Tänzer allein mit seiner Präsenz einen dunklen Raum mit Leben zu erfüllen. Das ist die Gabe der Großen, das läßt sich nicht lernen. (Die letzte kostbare Blüte wurde jetzt mittig im Gebinde platziert.)
Mit der Nureyev Celebration, einer Zusammenstellung mit Ausschnitten aus Raymonda und Schwanensee, überreicht das Wiener Ensemble das Geschenk an den Jubilar. Olga Esina tanzt Raymonda, Mihail Sosnovschi ist Abderachman. Leonardo Basílio und Masayu Kimoto sind Prinz Siegfried, Liudmila Konovalova Odile. Solisten, Halbsolisten und das corps de ballet versammeln sich zum großen Finale.
Was bleibt im Gedächtnis? Was waren die herausragenden Momente dieser vierstündigen Gala? Am meisten berührte mich die Rückkehr Davide Datos. Und Opus 100, dicht gefolgt von Taming of the Shrew, Marguerite and Armand und Le Rendez-Vous.
Für seine herausragenden Verdienste um das Wiener Staatsballett wurde Manuel Legris im Anschluß an die Gala zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt. Direktor Dominique Meyer hielt die Laudatio. Und aus jeder Silbe klang seine uneingeschränkte Liebe zum Ballett…
Wie in jedem Jahr gab Manuel Legris auf der anschließenden Feier einige Avancements bekannt: Richard Szabó und Dumitru Taran wurden zu Solisten ernannt, und Fiona McGee, Rikako Shibamoto, Madison Young und Scott McKenzie tanzen ab der folgenden Saison im Rang der Halbsolisten.
Herzlichen Glückwunsch!