
Deckengemälde von Marc Chagall im Pariser Palais Garnier (Ausschnitt)
© Thomas Prochazka
Richard Wagner: » Götterdämmerung «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Fern, dem Scheidenden nachzurufen, sei festgehalten: Meine Beobachtungen betreffend der Interpretation der Philippe Jordan anvertrauten Abende fand ich einmal mehr bestätigt. Dem Ringen um musikalische Klarheit steht die Ziellosigkeit entgegen, Szenen zu Aufzügen und Akte zu Abenden zu binden. Das galt für die Werke Richard Wagners ebenso wie für Mozart, Strauss und Verdi. Auch an jenem letzten Abend wollte sich wenig fügen. Brünnhildes Schlußgesang diene zur Illustration: Wenn sich bei ihren Worten Fühl meine Brust auch
das Motiv des » hehrsten Wunders « in den Vordergrund schiebt, notierte der Komponist expressivo und piano mit einem crescendo, ehe das Orchester im nächsten bzw. übernächsten Takt für die Motivwiederholung wieder ins piano zurückzunehmen ist. Jordan exekutierte immergleich. Kein Sehnen, kein sich Verzehren, kein Zustreben zu einem Höhepunkt. Flammenlos. (Das ist es.)
Am Jordan-Abschiedsabend agierte auch das Staatsopernorchester nicht auf gewohntem Niveau — nicht für Wagner, nicht für den Ring. Stattdessen: immer wieder Gickser bei den Bläsern, Unsauberkeiten im Zusammenspiel und der Intonation im Graben, in mancher Chor-Passage auch auf der Bühne. Das müßte sauberer klingen; auch bei sommerlicher Außenhitze, auch zum Ende einer Spielzeit.
III.
Mittelmäßig die Rheintöchter in Gesang und Spiel (Ileana Tonca, Isobel Signoret und Stephanie Maitland). Das sah und hörte ich schon besser. Gut — nach heutigen Maßstäben — die Nornen: mit stimmlichem Wiedererkennungswert Monika Bohinec, sehr gut verständlich Regine Hangler und Szilvia Vörös.
Regine Hangler sang, wie seit Jahren immer wieder, eine mehr als verläßliche Gutrune. Vorbildlich ihre Textdeutlichkeit, vor allem in der unteren und der Mittellage. Im oberen Register allerdings und bei größerer Lautstärke, geriet Hanglers keineswegs dramatischer Sopran an ihre Grenzen: Die deutliche Deklamation wich mancher Schärfe, ließ in einigen Phrasen den Fokus missen. Dennoch: Wollten sich die Sänger der Hauptpartien ebensolcher Klarheit des Wortes befleißigen, es wäre viel gewonnen auf den Opernbrettern dieser Welt.
Szilvia Vörös war neben der Zweiten Norn auch die Waltraute anvertraut worden. Gut, nach heutiger Regel. Offiziell als Mezzosopran ausgewiesen, hätten in alter Zeit Wissende die Ungarin gewiß in Sopranpartien besetzt. Denn damals galt der beständige Zugriff auf die unteren eineinhalb Oktaven als unabdingbare Voraussetzung für jeden Sopran; als das Fundament, auf dem eine Stimme (auszu-)bilden sei.
IV.
Ein weiterer Fels in der musikalischen Brandung: Clemens Unterreiner als Gunter. Unterreiner zeichnete den Gibichung zuweilen als in sich gekehrt, grübelnd; stark im Spiel, beständig im Ton; — wenngleich manch überharte Endkonsonanten der einen oder anderen Phrase vor der Zeit den Garaus machten. Die deutsche Sprache, scheint’s, verführt dazu. Gleiches, nämlich die Beständigkeit im Tun, darf man von Jochen Schmeckenbecher in der Partie des Alberich berichten.
Auf ganzer Linie enttäuschend hingegen der Hagen des Samuel Youn. Textunsicher und oft wortundeutlich, verebbten die Töne oft am Ende der wagnerschen Reimzeilen. Dazu gesellte sich stimmliche Unausgewogenheit. Gesanglich kraftlos, diktierte die Absenz des notwendigen gesanglichen Rüstzeugs eine dem Komponisten nicht gerecht werdende Rollengestaltung. Kaum zu glauben, daß dieselbe Mutter ein stimmlich so ungleiches Brüderpaar wie Gunter und Hagen gebar.
V.
Anja Kampe, die Brünnhilde des Abends, ließ sich ansagen. Was danach — vor allem im ersten Aufzug — folgte, mag viele überrascht haben; oder auch nicht, wie Opernfreunde wissen. Denn immer wieder erleben wir, daß entschuldigte Sänger ihr Instrument mit geschärftem Bewußtsein einsetzen, sich ihrer, im Sängeralltag zu oft vernachlässigten, Gesangstechnik besinnen. Anja Kampe war da keine Ausnahme. Sie suchte an diesem Abend, die Partie der Brünnhilde aus der tiefen Lage zu formen. Die Folge: eine schon lange nicht mehr gehörte Klarheit in der Stimme bei (mit hoher Wahrscheinlichkeit) gleichzeitig vermindertem Krafteinsatz. Im Laufe des zweiten Aufzuges mit manch exponierter Phrase sowie im dritten Aufzug forderte Kampes Indisposition denn doch ihren Tribut.
VI.
Andreas Schager sang in diesen beiden Zyklen des Ring des Nibelungen zum ersten Mal Siegmund und Siegfried an der Wiener Staatsoper. Wiederum ließ er seine Qualitäten hören: eine mitreißende, auch im Spiel vermittelte Jugendlichkeit und die unerschöpflich scheinenden Kraftreserven seines Tenors. Diese erlauben es ihm, die ihm anvertrauten Partien (ähnliches galt für den Kaiser in Die Frau ohne Schatten und den Tristan) mit Stentorstimme im Einheits-forte zu absolvieren.
Abseits jener Aktiva allerdings ließ Schager musikalisch einiges missen: In der tiefen Lage (z.B. in der finalen Szene des ersten Aufzuges) gebrach es Schagers Stimme am notwendigen Volumen. Fast alle Töne unterhalb des tiefen Tenor-› a ‹ mußte er » nachdrücken «. Dennoch klangen sie kraft- und kernlos. Im mittleren und oberen Register war bei länger zu haltenden Noten ein störendes Vibrieren nicht zu überhören. Der Stimme fehlt es an der notwendigen Komprimierung für die geforderten Dynamikwechsel. Als Beispiel sei Siegfrieds Abschied von der Welt angeführt: von Wagner durchwegs im piano (bzw. pianissimo) vorgeschrieben; fast zärtlich. Doch des Tenors Stimme trägt im piano nicht zufriedenstellend, das von Wagner durchaus geforderte legato steht ihm nicht zu Gebote. Die Struktur von Schagers Instrument verwehrt ihm oftmals die korrekte Modellierung einer Phrase.
VII.
Großer Beifall schon bei Philippe Jordans erstem Eintritt ins Orchester, geradezu überschwenglich am Ende des Abends: Darf man dennoch annehmen, daß diese Akklamation mehr Ausdruck kulturpolitischer Willenskundgebung zur gewünschten Ausrichtung des Hauses denn Zustimmung zu des Musikdirektors künstlerischen Leistung war?