»Lohengrin«, 1. Akt: Die Erscheinung des Schwanes kündigt die Ankunft Lohengrins an (Wiener Staatsopernchor) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Lohengrin«, 1. Akt: Die Erscheinung des Schwanes kündigt die Ankunft Lohengrins an (Wiener Staatsopernchor)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Wagner: »Lohengrin«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

»Ungefähr«: das vorherrschende Motto des Abends. »Ungefähr«: das Zusammenwirken zwischen Graben und Bühne. »Ungefähr«: die Beachtung der dynamischen und der Tempovorgaben des Komponisten. »Ungefähr«: die Trefferquote vieler gesungener Töne. Ungefähr die Entfernung von der Erde bis zum Mars: der Qualitätsunterschied zu den Les Troyens am Vorabend.

II.
Lächerlich. Einfach nur mehr lächerlich, wie Andreas Schager als Lohengrin dasteht, in der Krach­ledernen und mit hinuntergeschobenen Stutzen, und uns vom »fernen Land« singt.

Lächerlich auch, wenn der Chor beiseite tritt und den Blick freigibt auf einen unterarmgroßen Schwan, auf einen Wirtshaustisch gestellt. Und Schager wie ein Ausrufer im Wurstelprater da­hinter Aufstellung zu nehmen hat. »Mein lieber Schwan! Ach, diese letzte traur’ge Fahrt, wie gern hätt’ ich sie dir erspart!«, singt er. Dabei sind die einzigen Fahrten dieses Schwans jene zwischen dem Kulissendepot im Arsenal und der Staatsoper… Lächerlich auch, wie der Chor die Hände reckt, sich wiegend im Kreise dreht, um Lohengrins Erscheinen und seinen Abgang zu cachieren.

Andreas Homokis Produktion ist so schlecht, daß der Spielvogt für immer in Bann und Acht zu schlagen wäre. (Wer sein noch pflegte, sich zu ihm gesellt, derselben Acht verfalle.) … Die Nicht­verhandlung der zentralen Anliegen dieses Werkes ist selbst mit dem Totschlagargument von der »Frei­heit der Kunst« nicht zu rechtfertigen. Und auch nicht mit (angeblich) hoher Auslastung.

Was weiters ins Gewicht fällt, sind die baulichen technischen Unzulänglichkeiten dieser Pro­duktion. Sie stören die musikalische Wiedergabe in unentschuldbarer Weise. Der über­steuerte, künstliche Klang der zugespielten Trompeten zu Beginn der dritten Szene des zweiten Aktes: ein Sinnbild des Rückschritts. Das Lärmen des Chores: Zeugnis unzulänglicher Zu­sam­menarbeit der verschiedenen Abteilungen des Hauses…

»Lohengrin«, 1. Akt: Evgeny Nikitin als brabantischer Graf Friedrich von Telramund © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Lohengrin«, 1. Akt: Evgeny Nikitin als brabantischer Graf Friedrich von Telramund

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

III.
Chor und Extrachor der Wiener Staatsoper dröhnten, daß es keine Freude mehr war. (Hinter vorgehaltener Hand hört man, daß so manches Chormitglied Oropax trägt, weil die Lautstärke im Bühnenbild Wolfgang Gussmanns anders nicht auszuhalten ist.) Daß die Koordination mit dem Graben mehrfach zu wünschen übrig ließ, man auch untereinander auseinander war: Was spielte es für eine Rolle an diesem Abend, der das Elend des heutigen Opernbetriebes so scho­nungslos offenlegte?

IV.
Da wäre zum ersten Simone Young anzuführen, die schon im Vorspiel erahnen läßt, daß der Abend in eine Materialschlacht ausarten wird. Emphase wird durch Lärm ersetzt, von piano oder pianissimo keine Spur. (Doch deren Stellen gibt es viele in dieser Partitur.) Langsamere Teile zer­fallen unter der Dirigentin weit ausladenden Bewegungen, schnellere — wie das Vorspiel zum dritten Akt — klingen gehetzt. Die Koordination mit der Bühne: ein unbestimmtes »Ungefähr«.

V.
Die Rücksichtslosigkeit der Arbeiterin am Pult bleibt für die Sänger nicht ohne Folgen: Einige suchen ihr Heil im Forcieren, andere gehen in den Klangmassen unter.

Der Friedrich von Telramund des Evgeny Nikitin zählt zur zweiten Art: Kaum eine Phrase ent­wickelt sich ungestört. Seine hell timbrierte Stimme vermag sich nur schwer durchzusetzen. Am besten gelingt dies noch im Duett mit seinem Weib Ortrud im zweiten Akt.

»Lohengrin«, 1. Akt: Petra Lang als Ortrud © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Lohengrin«, 1. Akt: Petra Lang als Ortrud

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Dafür kann, wer will, die Leistung von Petra Lang als Ortrud mit hinreichenden Argumenten als Totalausfall bezeichnen. Langs Mittellage präsentiert sich mit schweren Ver­schleiß­erscheinungen. Die Höhen erklingen davon völlig entkoppelt, der Stimmsitz wechselt nach Phrase und Belieben. Das Brustregister erscheint kaum mehr aktivierbar, des öfteren nimmt Lang Zuflucht zum Sprechgesang. Kaum vorstellbar, daß man sich so weit vom Wagnerschen Stimmenideal entfernen kann. So waren die »entweihten Götter« vom Komponisten wohl nicht gedacht.

VII.
Ein wenig besser — aber was bedeutet das schon an einem Damaskus-Erlebnisabend wie dem gestrigen? — schlägt sich Elza van den Heever als Elsa von Brabant. Das reicht, trotz gleicher Schwä­che eines kaum entwickelten Brustregisters, immerhin für eine akzeptable Leistung. (Man lege durchschnittliches Repertoire-Niveau als Maßstab an.) Doch auch van den Heevers Stimme klingt verspannt, nicht frei. Ich will ihr zugutehalten, daß sie versucht, sich des Forcierens zu begeben, das eine oder andere piano zu placieren.

VIII.
Pianissimo und piano — sind Andreas Schagers Sache nicht. Sein Lohengrin besticht viele durch rohe Stimmkraft. Von Wagners formulierten Anforderungen an die Fähigkeiten zu portamento und legato ist jedoch wenig zu hören. Auch einige Distonierungen sind zu verzeichnen. Auffällig: Wann immer Töne im passaggio oder darüber zu singen sind, erhöht Schager die Lautstärke, »zieht« das Brustregister so hoch wie möglich. Dies läßt die Gesangslinie ungleichmäßig erscheinen.

Besonders augenfällig wird diese Art in der Gralserzählung: Von Wagner pianissimo notiert, von Schager zwischen piano und mezzoforte gesungen, führt der Komponist die Singstimme in der Phrase »alljährlich naht vom Himmel eine Taube« bei »eine Taube« im pianissimo vom ›cis1‹ auf das ›f1‹, also in das passaggio. Schager wechselt dabei ins Falsett, begibt sich des Brustregisters. Da­durch erklingt das ›f1‹ »ausgestellt« anstatt in die Phrase eingebettet: weil viel heller als alle vorhergehenden und nachfolgenden Töne.
Lokale Weltklasse.

»Lohengrin«, 2. Akt: Elza van den Heever (Elsa) und Andreas Schager (Lohengrin) in der Deutung von Andreas Homoki © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Lohengrin«, 2. Akt: Elza van den Heever (Elsa) und Andreas Schager (Lohengrin) in der Deutung von Andreas Homoki

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IX.
Kwangchul Youn war — kein Zoll von einem König Heinrich: dies vor allem eine Folge der sze­nischen Mediokrität des Abends. Man schlage die Zeitungen auf, man surfe im World Wide Web, man sehe die Platzsperren in der Salzburger und der Wiener Innenstadt: Selbst in dem, was wir heute (noch) Demokratie heißen, umgeben sich die Mächtigen mit einer Entourage. Wollen sich mit jenen, welchen sie doch eigentlich Rechenschaft schuldig sind, nicht gemein machen. Heinrich der Vogler aber begnügt sich nur mit einem Heerrufer? (Und, bitteschön: Wo bleibt sein Heer?)

Youns König Heinrich also: Auch er ist — vor allem stimmlich — in die Jahre gekommen. Das tiefe wie das hohe ›f‹ klingen nicht mehr. Vor allem zu Beginn des Abends macht sich ein be­un­ruhigendes Tremolo bemerkbar, hält die Stimme nur mehr durch erhöhte Kraftanstrengung.

X.
Clemens Unterreiner bot in der Partie des Heerrufers die beste sängerische Leistung. Dies gibt erschöpfender Auskunft über diesen Abend, als man gemeinhin zugeben möchte. Es sagt aber auch einiges über Unterreiner aus: Über sein stetes Bestreben, legato zu singen, nicht zu for­cieren. (Daß er sich trotzdem immer ein wenig dazu hinreißen läßt, zuviel Kraft in die Stimme zu legen: schade.) Noch dazu liegt auch der Heerrufer für Unterreiner zu tief. Wagner führt ihn im Personenverzeichnis als Baß, doch Unterreiner ist Bariton. (Diesen Unterschied zu be­rück­sichtigen wär’ lohnende Beschäftigung für ein Besetzungsbüro.) Umso erstaunlicher daher, wie gut es dem Sänger gelingt, die ihm gestellte Aufgabe zu bewältigen. 

XI.
Es ist an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Also denn: Die gestrige Vorstellung war die bisher schlechteste der Saison. Doch tragen daran nicht allein die Sänger schuld.

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