»Maria Stuarda«, Finale des 1. Aktes: Elisabetta (Alexandra Deshorties) und Maria Stuarda (Marlis Petersen) beim erregten Aufeinandertreffen © Theater an der Wien/Monika Rittershaus

»Maria Stuarda«, Finale des 1. Aktes: Elisabetta (Alexandra Deshorties) und Maria Stuarda (Marlis Petersen) beim erregten Aufeinandertreffen

© Theater an der Wien/Monika Rittershaus

Gaetano Donizetti:
»Maria Stuarda«

Theater an der Wien

Von Thomas Prochazka

Die Bühne stellt ein raumhoch geschlossenes, hölzernes Rund vor, dessen Boden eine geneigt montierte, drehbare Holzscheibe bildet… (Man könnte so beginnen.) Oder: Katrin Lea Tag baute für Christof Loy ein Einheitsbühnenbild, darin die einzelnen Szenen sich mischen ohne Rücksicht auf die Anmerkungen in der Partitur. Oder aber: Am Theater an der Wien feiert das Regie-Theater fröhliche Urständ’. (Das ist es.)

II.
Katrin Lea Tag und Christof Loy stecken die Sänger im ersten Akt in historisierende Kostüme (ohne den Geist der Regierungszeit Elizabeth I. auch nur im Ansatz evozieren zu können). Im zweiten Akt tragen alle schwarze Anzüge, Kostüme und Kleider nach Schnitten unserer Tage, als befänden sich Führungskräfte eines Unternehmens auf ihrer alljährlichen Zusammenkunft…

Weshalb? Um zu zeigen, daß das Töten der Widersacher sich bis in die Spitzen unserer heutigen Gesellschaften, des Wirtschaftslebens, erhalten hat? (Wir wußten dies bereits.) Geht es darum in Donizettis Maria Stuarda?

»Cavalieri« und »dame d’honore« listet die Partitur. Bei Christof Loy gibt es nur einen männlichen Hofstaat. Mit teilweise lächerlich wirkenden, aufgemalten Schnurrbärten in den Gesichtern der Damen des — wie immer — hervorragend studierten Arnold Schoenberg Chores. (Die Leidens­fähigkleit der Chormitglieder in den diversen Produktionen ist jedes Mal auf’s Neue beein­druckend.) Dazu laufen alle nach dem Willen Loys hektisch hin und wider, lassen sich zu Boden fallen, verrenken ihre Gliedmaßen…
Das ist heute modern, daran erkennt das Publikum die führenden Spielvogte. Damit läßt sich das Feuilleton beeindrucken.

(Am Ende des Abends wird jeder Sänger einmal mit dem Rücken zum Publikum gesungen haben, ohne Sicht auf die Einsätze von Paolo Arrivabene am Pult des ORF Radio-Symphonie­orchester Wien. Weshalb?)

Des Librettisten Giuseppe Bardari Spielanweisungen ignoriert Loy konsequent: beispielsweise die Intimität fordernde Szene zwischen Leicester und Talbot (in welcher dieser Leicester Nachricht von Maria, seiner Geliebten, bringt). Bei Loy streifen Höflinge umher, während sich die schräge Bühnenebene — über zwei Stunden lang knarzend — dreht. Die Schranzen bemächtigen sich des Siegels und des Briefes, lassen beides wieder zu Boden fallen… Warum?

All diese Handlungen werden nicht weitergedacht. Können gar nicht weitergedacht, nicht weitergeführt werden, da die Hofschranzen Elisabetta nicht Gewißheit bringen dürfen über Leicesters Beziehung zu Maria. (Andernfalls würden Musik und Text der restlichen zwei Stunden sinnlos.) Wozu also?

Daß Elisabetta nicht, wie in der Partitur vermerkt, Maria im Reitkostüm gegenübertritt… Daß die englische Königin niemals offenes Haar getragen hätte, sondern alles getan, um in ihrer Erscheinung ihre Rivalin um die Gunst Leicesters aus dem Feld zu schlagen… Handwerkliches Unvermögen, verkleidet als »Freiheit der Kunst«?

Die Kostüme der Hauptfiguren: bühnentauglich für die Stagione, das gewiß. Nicht mehr. Die Berufsehre von an historisch richtiger Ausstattung — das Werk spielt im Jahr 1587 — interessierten Kostümbildnern: Sie wäre längst verloren.

»Maria Stuarda«, 1. Akt: Elisabetta (Alexandra Deshorties) trifft im Garten von Fotheringhay ein © Monika Rittershaus

»Maria Stuarda«, 1. Akt: Elisabetta (Alexandra Deshorties) trifft im Garten von Fotheringhay ein

© Monika Rittershaus

III.
Nun denn: — aber die Personenführung? Nicht weiter bemerkenswert. (Abgesehen von dem Umstand, daß die Sänger den ganzen Abend hindurch auf einer schiefen Ebene stehen und gehen mußten).

Die Elisabetta der Alexandra Deshorties lief wie ein aufgeschrecktes Huhn hin und wider. Oder stapfte einem altgedienten Dragoner gleich umher.

Maria ließ beim ersten Auftreten Plastikblumen zu Boden fallen. (Vielleicht, weil sie von der Zartheit und dem Duft der Wiesenblumen zu singen hatte?) Später werden ihr die die Bühne bevölkernden Höflinge an die Wäsche gehen. Höflinge, welche laut Partitureintragung Wächter in der Ferne sein sollten, beginnen, mit den aufgelesenen Blumen zu fechten… Warum?

Man merkt, worauf’s hinaus will: Loy opfert die Sichtbarmachung innerer Stimmungen irrelevanten Handlungen, entkleidet die Figuren des Werkes ihrer Würde. Der Spielvogt hat sich vermessen, daß er sie mache zu seinesgleichen…

IV.
Nun denn: — aber die Musik?

Paolo Arrivabene und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien musizierten aufregend. Mitreißend. Viele verschiedene Orchesterfarben stiegen aus dem Graben, nie geriet der musikalische Untergrund zu laut für die Sänger (oftmals ein Problem im Theater an der Wien). Ich wünsche mir Wiederbegegnungen mit ähnlichem Repertoire. (Denn mit Leistungen dieser Qualität werden wir im bel canto-Repertoire nicht so oft verwöhnt, hüben wie drüben.) Chor, Orchester und Dirigent — sie hinterließen gestern die günstigsten Eindrücke.

Die gesanglichen Leistungen dagegen, mit Ausnahme der Maria Marlis Petersens: eine Wüste…

»Maria Stuarda«, 1. Akt: Maria Stuarda (Marlis Petersen) im Garten von Fotheringhay © Monika Rittershaus

»Maria Stuarda«, 1. Akt: Maria Stuarda (Marlis Petersen) im Garten von Fotheringhay

© Monika Rittershaus

V.
Alexandra Deshorties’ Stimme klang den ganzen Abend hindurch trocken und angestrengt. Fokussiert, doch schlank. Diätisch. Da fehlte es am legato, gebrach es mancher Phrase an Gestal­tung. Deshorties setzte die Spitzentöne oftmals mit schriller Stimme, unwillkürliche Wechsel in der Stimmfarbe innerhalb von Phrasen waren nicht zu leugnen.
Großteils anämisch. (Das war es.)

VI.
Norman Reinhardt, Roberto, Conte di Leicester des Abends, wird im Programmheft als »einer der führenden Tenöre des Belcanto-Fachs« vorgestellt. Sollte dem so sein, das Fach befände sich in ernstlicher Gefahr. Reinhardts Tenor folgte willig bis zum passaggio. Darüber klang die Stimme substanzlos, mußte oftmals das Zusammenspiel aus Brust- und Kopfstimme dem Falsett weichen. Präsentierte sich bar jeder Farbe und Dynamik. (Franz Endler, unvergessen, hätte die Bezeichnung »Krawattltenor« gebraucht.)

Außerdem: Wenn man sich nach einer Aufführung von Maria Stuarda des Tenors entsinnt, stimmte etwas nicht.

VII.
Tobias Greenhalgh blieb als Lord Guglielmo Cecil unauffällig, während Stefan Cerny in der Partie des Giorgio Talbot einen noch jungen, aber kräftigen und schlank geführten Baß hören ließ. Auch in diesen Fällen wäre am legato zu arbeiten, waren für jene, die zuhören wollten, gesangstechnische Mängel zu bemerken.

»Maria Stuarda«, 2. Akt: In Christof Loys Regie-Ansatz fällt Maria Stuarda (Marlis Petersen) von Elisabettas (Alexandra Deshorties) eigener Hand © Monika Rittershaus

»Maria Stuarda«, 2. Akt: In Christof Loys Regie-Ansatz fällt Maria Stuarda (Marlis Petersen) von Elisabettas (Alexandra Deshorties) eigener Hand

© Monika Rittershaus

VIII.
Die Maria der Marlis Petersen: einziger sängerischer Lichtblick des Abends. Wenn sich Petersen in Loys Inszenierungskonzept unwohl fühlen mochte: Das Publikum ließ sie es kaum spüren.

Auch Petersens Stimme benötigte einige Zeit, um ihre »Betriebstemperatur« zu erreichen. Stellt man jedoch in Rechnung, daß Maria während ihrer Szene »O nube! che lieve per l’aria t’aggiri« unablässig von den Hofschranzen bedrängt wurde, kann man nicht anders als ihre Leistung bewundern. — Daß diese Höflinge erstens laut Partitur gar nichts auf der Bühne verloren hatten und sich zweitens im Jahr 1587 niemals in dieser Art einer Königin zu nähern gewagt hätten: wen kümmert’s?

Marlis Petersen in der Partie der Maria: eine Sängerin. (Unter den Blinden ist der Einäugige König.)

IX.
Man mag es wenden wie man will: Die Auswüchse des Regie-Theaters halten das Theater an der Wien fest umklammert. Wenn wenigstens von der musikalischen Seite dieser Produktion vor­wiegend Positives zu berichten wäre. So aber … ein Abend mit nur kleinem Gewinn.

Der Wiener Staatsoper und ihren Bemühungen um das bel canto-Repertoire: Ihnen leiste ich Abbitte.

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