»La traviata«, 1. Akt: Albina Shagimuratova (Violetta Valéry) und Pavol Breslik (Alfredo Germont) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»La traviata«, 1. Akt: Albina Shagimuratova (Violetta Valéry) und Pavol Breslik (Alfredo Germont)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi: »La traviata«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Das Haus am Ring erfreut mit einer gut besetzten Aufführung eines der erfolgreichsten Werke des Opern-Repertoires. Bietet mit Albina Shagimuratova in der Titelpartie eine Sängerin auf, die den Vorstellungsbesuch lohnt.

II.
Der Schwachpunkt dieser Aufführung: Evelino Pidó am Pult des Staatsopernorchesters. Gewiß wäre der eine oder andere Holzbläsereinsatz verhaltener denkbar, das Solo-Cello weicher. Jedoch: Jede vom Orchester verlangte Flexibilität findet irgendwo ihr Ende.

Manch gehetzte Passage wechselte mit geschleppten. Simon Keenlyside hatte in »No, non udrai rimproveri« Mühe, Pidós und seine Tempovorstellungen in Einklang zu bringen. (Ja, man streicht die Cabaletta des Giorgio Germont nicht, wenn anstelle eines »Weltstars« ein Bariton auf der Bühne steht, der die gesamte Partie zu singen weiß.)

Auch der Chor der Wiener Staatsoper fiel durch einige verwackelte Einsätze schon gleich zu Beginn auf. Fast militärisch strammes Absingen der Zigeunerchöre auf Floras Fest und des Ensemble-Satzes im Finale des zweiten Aktes vermögen dies nicht zu kompensieren. (Dabei zeigte sich Pidó durchaus um die Beachtung der Dynamikzeichen bemüht.) Vielleicht die Schlüsselstelle des Abends: — ihrer Äußerlichkeit wegen. Pomp anstelle berührender Innigkeit. Und: Faszinierend, wie einem solches passieren kann, wenn man Albina Shagimuratova »Alfredo, di questo core non puoi comprendere tutto l’amore« intonieren hört…

III.
Die Partie des Giorgio Germont war Simon Keenlyside anvertraut. Der Klang seiner Stimme büßte in den letzten Jahren einiges an Vibrato ein, wurde strukturierter, kerniger. Manche be­schrieben den Klang auch mit »trocken«. In der Arie, den großen Szenen, vermag Keenlyside immer noch zu fesseln. (Und dies nicht nur durch sein prononciertes Spiel.) Zeichnet das Psychogramm eines in den Zwängen des Bürgertums gefangenen Familienoberhaupts. Und wünsch­te sich vermutlich, er dürfte dies in einer Umgebung tun, welche seine Bemühungen nicht in jeder Minute seines Bühnenlebens konterkariert.

»La traviata«, 2. Akt: Simon Keenlyside als Giorgio Germont © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»La traviata«, 2. Akt: Simon Keenlyside als Giorgio Germont

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Pavol Breslik zeigte sich als Alfredo Germont stark verbessert gegenüber seinem letzten Wiener Auftreten in dieser Partie. Paßt als ein bißchen tollpatschig agierender Sohn aus gutem Haus in Habitus und Spiel sehr gut zu Keenlysides Psychogramm. Breslik gelingt stimmliche Glaub­würdigkeit im »Brindisi« ebenso wie in »Parigi, o cara«, beim finalen Wiedersehen mit Violetta. Stimmlich schwächelt er ein wenig in seiner großen Szene: Da klingt die Stimme in der Höhe das eine oder andere Mal angestrengt. Insgesamt läßt Bresliks Tenor — auch dies in Analogie zum »Vater« — leider jenen Schmelz missen, um dessentwillen wir Verdis Tenorpartien doch so lieben. Ansonsten jedoch: eine tadellose Leistung.

V.
Albina Shagimuratova als Violetta Valéry: eine Sängerin, keine Singschauspielerin. Endlich! (Sie sind selten geworden, die Sänger auf unseren Opernbühnen.) Ich vermag mich keiner besseren Interpretin der Violetta in dieser Inszenierung zu entsinnen.

Bereits im »Brindisi« ließ Shagimuratova mit technisch sicher geführter Stimme aufhorchen. Ob ihr legato, die Bindung der Register, die Aktivierung der Bruststimme, die unangenehme zu sin­gende — weil um das passaggio oszillierende — Szene mit Giorgio Germont: Shagimuratova bleibt immer Herrin ihres Instruments. Forciert niemals, deckt die Spitzentöne ab, vermag in ihrem Abschied von Alfredo zu berühren.

Wann begab sich in einer La traviata solches zuletzt?

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