»Salome«: Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Salome«: Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Salome«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Es hätte, nicht zuletzt auf Grund Yannick Nézet-Séguins Verpflichtung, ein großer Abend werden können. Seine Absage beraubte die Vorstellung des Außergewöhnlichen: Es wurde ein mittelmäßiger Abend.
Repertoire eben — mit seinen Segnungen und Flüchen.

II.
Diese Vorgänge nicht zu kommentieren, sondern berichten, was war: des Kritikers erste Pflicht. Nun denn: Laut war’s.

Simone Young hatte den Abend von ihrem kanadischen Kollegen übernommen und ließ — wie immer, bin ich versucht zu schreiben — (viel) zu laut spielen. Nun kann man, wie Richard Strauss launig feststellte, ja nicht im Orchestergraben Kammermusik spielen lassen, wenn auf der Bühne Mord und Totschlag passieren.

Wenn allerdings Sänger wie Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes oder Željko Lučić als Jochanaan den Kampf gegen die aus dem Graben strömenden Orchesterfluten verlieren: Darf man dann dem Dirigat gegenüber Vorbehalte anmelden? Wenn die Lautstärkedynamik über weite Strecken eindimensional bleibt und den Sängern das Leben erschwert: Darf man dann dem Dirigat gegenüber Vorbehalte anmelden?

III.
Hinzu kam, daß sich Gun-Brit Barkmin als Salome ansagen ließ. Allein dieser Umstand hätte für Young Grund sein müssen, ihre Lautstärkedramaturgie zu überdenken. So aber kämpfte die Deutsche tapfer, flüchtete sich des öfteren in einen gut artikulierten Sprechgesang und rettete mit ihrer unter diesen Umständen bewundernswerten Leistung den Abend. Daß ihre Salome anders klingen kann — wir wissen es.

IV.
Die Herodias der Iris Vermillion klang bei früheren Begebenheiten nicht nur durch­schlagskräftiger, sondern auch wortdeutlicher. Da fehlte es an Prägnanz in der stimmlichen Gestaltung; nicht leicht allerdings unter den gegebenen Umständen. Als Herodes durfte das Wiener Publikum einmal mehr Wolfgang Ablinger-Sperrhacke begrüßen. Ablinger-Sperrhacke weiß seine Partie nicht nur wortdeutlich zu singen, sondern auch aus dem Notentext zu entwickeln. Daß sein Spieltenor das eine oder andere Mal Mühe hatte, sich verständlich zu machen: — war der von Young entfesselten Lautstärke anzulasten.

»Salome«: Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Salome«: Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Letzterer Umstand war auch der Entfaltung der von Strauss karikierend gedachten Juden-Scene hinderlich. Strauss schonte in dieser Scene bekanntlich die Tenöre nicht. Aber mit Young am Pult war kaum eine Textstelle auch nur eines der verdienten Ensemble-Mitglieder verständlich. Daß dies die Scene eines Großteiles des Strauss’schen Witzes beraubte — wen wunderte es?

Carlos Osuna lieferte brav die Stichworte des Narraboth, Ulrike Helzel als Page bemühte sich, am Abend zuvor noch als Marcellina in Le nozze di Figaro auf der Bühne gestanden, nach Kräften um eine saubere gesangliche Umsetzung. Darstellerisch fiel mir auf, daß Helzel sich zurücknahm, »männlicher« — und damit rollengerechter — agierte.

VI.
Der Abend bot auch die Wiener Erstbegegnung mit Željko Lučić in der Partie des Jochanaan. Wie alle seine Kollegen wehrte er sich gegen die Orchesterfluten, ehe er in ihnen unterging. Lučićs gesangliche Gestaltung der Partie war nicht zuletzt deshalb interessant, da er den Jochanaan mit italienischer Technik — lies: legato — zu singen versuchte. Dies gelang nur teil­weise, doch eignete jenen Passagen ein besonderer Zauber. Was wäre da unter einem rücksichtsvolleren Dirigenten möglich?

VII.
Die Segnung: Jürgen Roses an den Jugendstil angelehnte Ausstattung und die Reste von Boleslaw Barlogs Inszenierung: — beides anläßlich der Première im Dezember 1972 übrigens viel gescholten.

Der Fluch: das Staatsopernorchester, angeführt von Volkhard Steude und Albena Danailova, in williger Erfüllung der unrealistischen Klangvorstellungen der »diensthabenden« Maestra.

Repertoire-Alltag eben.

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