»Peer Gynt«, 1. Akt: Der Tod (Andrey Kaydanovskiy), Peer Gynt (Jakob Feyferlik), Aslak, der Schmied (Vladimir Shishov) und dahinter die Hochzeitsgesellschaft (corps de ballet) © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Peer Gynt«, 1. Akt: Der Tod (Andrey Kaydanovskiy), Peer Gynt (Jakob Feyferlik), Aslak, der Schmied (Vladimir Shishov) und dahinter die Hochzeitsgesellschaft (corps de ballet)

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Edward Clug/ Edvard Grieg: »Peer Gynt«

Wiener Staatsballett

Von Ulrike Klein

Norwegen — das Land der Feen und Trolle, der Fjorde und rauhen Landschaften. Dies die Assoziationen, die sicher viele mit dem Land im Norden verbinden.

Edward Clug nimmt uns in seinem Handlungsballett, 2015 in Maribor uraufgeführt, mit auf die Reise Peer Gynts. Basierend auf dem Stück Henrik Ibsens erarbeitete er zur Musik Edvard Griegs das Libretto, verwendet neben der Schauspielmusik auch andere Werke des norwegischen Komponisten. Über die Entstehung des Abends war einiges vorab in Interviews zu lesen. Auch das Programmheft gibt hinreichend Auskunft darüber.

Wie war nun die Première? Geht man nach dem Applaus im Haus am Ring, war es ein geglückter Abend.

Das mag daran gelegen sein, daß ein Gutteil des Publikums erleichtert war, daß die Tanzsprache Edward Clugs, zwar dem zeitgenössischen Tanztheater zugewandt, als sehr wohltuend empfunden wurde. Dazu die überaus geschickte Musikauswahl aus Werken Edvard Griegs, die unter der Leitung von Simon Hewett mit Rainer Honeck am Konzertmeisterpult und einer sehr gut disponierten Pianistin, Shino Takizawa, einen musikalischen Genuß darstellte.

Ansprechende Bühnendekorationen (Marko Japelj), stimmungsvoll ausgeleuchtet (Tomaž Premzl), und phantasievolle Kostüme (Leo Kulaš), besonders in der Welt der Trolle, rundeten den positiven Eindruck ab.

Eingebettet in den mythischen Ring, wie wir in von Günther Schneider-Siemssen kennen (man denke an die Karajansche Walküre), mit Sennerinnen, die an die Nornen der Götterdämmerung gemahnen, entwickelt Clug die Szenen, die in Norwegen spielen. Nur für die Sequenzen in Marokko bzw. Kairo verzichtet er auf Bühnenaufbauten. Hier gibt es einzig Teppiche; — und einen Rollstuhl für die Beduinen und das Irrenhaus.

Man könnte glauben, der Ring engte den Tanz ein und die freie Fläche brächte Entfaltung. Dem ist nicht so… Die stärksten Szenen gelangen Clug im verkleinerten Rund. Wieviel mehr wäre möglich gewesen, die Exotik Marokkos oder die Verirrung in Kairo darzustellen…

Clugs Choreographie ist organisch mit der Musik verbunden, durchdacht gearbeitet. Clug betonte in Interviews immer, daß er über längere Zeit mit den Tänzern gearbeitet hat. Die Szenen Peers mit seiner Mutter Åse legten Zeugnis davon ab. Allerdings stand Clug mit Franziska Wallner-Hollinek auch eine erfahrene Tänzerin zur Verfügung. Jakob Feyferlik brachte als Titelheld die fast noch knabenhafte Jugendlichkeit mit, die Peer zu Beginn benötigt. Die Darstellung des Alters machte ihm eher zu schaffen.

»Peer Gynt«, 1. Akt: Peer (Jakob Feyferlik) im Land der Trolle mit der Frau in Grün (Rebecca Horner) © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Peer Gynt«, 1. Akt: Peer (Jakob Feyferlik) im Land der Trolle mit der Frau in Grün (Rebecca Horner)

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Die Besetzung wurde insgesamt mit Bedacht gewählt. Obwohl mir während des Abends auch Alternativbesetzungen durch den Kopf geisterten: Was wäre, übernähme Géraud Wielick den Peer und besetzte man die junge Madison Young als seine Solveig? Die beiden fielen sehr positiv unter den Dorfbewohnern auf.

Den größten Eindruck hinterließen Zsolt Török als Hirsch (kurzfristig für Roman Lazik eingesprungen) und Vladimir Shishov als Aslak. Den ersten Solisten in dieser kleinen Rolle zu besetzen: Luxus. Allerdings ist für den Schmied auch ein Darsteller vonnöten, der seinen Mann steht. … Die Idee der vierbeinigen Choreographie für den Hirschen: großartig!

Auch Rebecca Horner als Frau in Grün bot eine darstellerische Glanzleistung. Wie sie als Trollfrau mit den zwei Gesichtern den jungen Peer verführte, das war hervorragend. Horners Vorzüge sind diese Charakterrollen; — sie ist keine zarte Sylphide, sie ist eine starke Frau. Auch Andrey Kaydanovskiys Stärke liegt in den von Ausdruck und Schauspiel dominierten Partien. Seine Darstellung des Todes: ein Gustostückerl…

Ioanna Avraam und Igor Milos als Brautpaar… Ich hätte ihnen einen pas de deux anläßlich der Hochzeit gegönnt. Oder besser noch einen pas de trois mit Peer, der die Frau hin-und hergerissen zwischen der Leidenschaft und der Vernunftehe zeigt. So kam das tänzerische Vermögen Avraams leider zu kurz. Und die Partie des Mads Moen wurde zur Statistenrolle degradiert.

Anitra, die Verführerin, der es gelingt, Peer sein Vermögen abzunehmen, sollte ein entsprechend herausragendes Solo bekommen. Das hätte man gerne von Nikisha Fogo gesehen. Schade, daß sie nach wenigen Takten alleine schon Gesellschaft einer jungen Beduinin bekam: Madison Young übertrumpfte mit ihrer Präsenz die Tochter des Häuptlings…
Die Rolle des Arztes, András Lukács, wurde auf reine Pantomime reduziert: eine Freud-Kopie in Kairo… Da fehlte nur die berühmte Couch. Dafür gab es einen Rollstuhl. Auch zeitgemäß.

»Peer Gynt«, 2. Akt: Die Apotheose von Solveig (Alice Firenze)  und Peer (Jakob Feyferlik) © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Peer Gynt«, 2. Akt: Die Apotheose von Solveig (Alice Firenze) und Peer (Jakob Feyferlik)

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Und Alice Firenze als Solveig; — eine der bekanntesten Figuren der nordischen Literatur? Choreographisch hätte man ihr viel mehr zugestehen können, nein müssen. Im ersten Akt gab es den zarten Ansatz eines pas de deux, im zweiten Akt lebte diese kurze Sequenz nochmals auf. Wie in einer Erinnerung wiederholten sich die Schritte — aber es fand keine Weiterentwicklung statt. Das wenige, was Firenze zu tanzen hat, ist wunderbar, da sie über eine hervorragende Ausdruckskraft und sehr gute Technik verfügt. Dafür, daß die Partie so klein ist, kann sie nichts. … Warum tauchte ihr Traumbild nicht im Kairoer Irrenhaus auf, wo doch sogar der Hirsch, der Anführer der Trolle (Kamil Pavelka) und Klein Helga (Isabella Lucia Severi) zur Schar der Irren gehörten? Hier hätten Solveig und Peer in seinem Wahn zueinander finden müssen, bevor er, altersgebeugt, zum Sterben zu ihr zurückkehrt.

War es eine gelungene Première? Ja und nein. Es wurde sauber getanzt und sehr einfühlsam musiziert. Mit viel Liebe zum Detail gab sich die Compagnie der Tanzsprache Clugs hin. Aber: Reicht das aus, um ein Werk über längere Zeit auf den internationalen Bühnen am Leben zu erhalten? Wahrscheinlich nicht, da die Akzente, die Höhepunkte fehlen.

Was bleibt beim Betrachter hängen? Stimmungsbilder — ja. Aber sind diese alles, was der Peer Gynt von Ibsen/Clug zu bieten hat? Das Stück gewänne, überarbeitete Clug den Beginn des zweiten Aktes: Da gibt es zu viel Leerlauf (niedlich das Schaukelflugzeug, aber zu lange eingesetzt). Zu oft werden Teppiche hin- und hergezogen. Schade, daß der positive Eindruck des ersten Aktes fast zunichte gemacht wird und gerade noch durch die Rückkehr Peers nach Norwegen aufgefangen wird…

Folgevorstellungen in wechselnden Besetzungen am 24., 27., 30. Jänner und am 1. Feber 2018.

47 ms