»Elektra« in der Regie von Krzysztof Warlikowski und den Bühnenbildern und Kostümen seiner Frau, Małgorzata Szczęśniak © Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

»Elektra« in der Regie von Krzysztof Warlikowski und den Bühnenbildern und Kostümen seiner Frau, Małgorzata Szczęśniak

© Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

Richard Strauss: »Elektra«

Salzburger Festspiele

Von Thomas Prochazka

Als Gerard Mortier Festspielaufführungen an den Nachmittagen ansetzte, schlug ihm Widerstand entgegen. Man liege noch an den Seen, man befinde sich beim Mittagsmahle. Und überhaupt. Seine Entgegnung war so offenherzig wie provokativ: Die Aufführung solle das Zentrum des Tages bilden. Nicht die Stunden am See davor oder das Souper danach.

Mortier zielte ab auf die Beschäftigung mit dem Gegenstande: die Vorbereitung, die Aufführung, die Reflexion. Einerseits. Und öffnete doch mit der Installation der Über­titel­anlagen die Schleusen der Beliebigkeit. Andererseits.

II.
Krzysztof Warlikowski tut es Mortier gleich (mit der Beliebigkeit). Er stellt der Elektra einen Prolog voran: Klytämnestras Rede an die Mykener aus Aischylos’ Orestie; ihre Rechtfertigung des Hinschlachtens Agamemnons. Verfügt nicht jeder anständige Haushalt über eine Ausgabe von Gustav Schwabs Sagen des griechischen Altertums? In ihr wäre vorbereitend nachzulesen gewesen. Vorbereitend zu erkennen, daß die griechische Mythologie ihr Personal ganz selten nur makellos ausstaffierte.

So trat Kytämnestra vor uns hin und hinter ein Mikrophon — ein Mikrophon! —; im schwarzen Kleid mit blutbefleckten Armen. In ihren Worten wandelte sich Mord zur Vergeltung der Opferung ihrer Erstgeborenen, Iphigenie. Für, wir entsinnen uns, günstigen Wind der Flotte des Gemahls auf seinem Weg nach Troja. Es wär’ noch angegangen. Was aber nicht anging, war die Grundverschiedenheit der Sprache: hier jene gerade der Orestie, dort die Hofmannsthalsche. Was sich nicht mischt, das soll der Mensch nicht einen.

III.
Małgorzata Szczęśniak, bei Warlikowski immer für Bühne und Kostüme zuständig, siedelte den Abend in einem aus der Zeit gefallenen Mykene an. (Die Partner-Engagements gibt’s nicht nur bei Sängern.) Wie Romeo Castellucci mißtrauten auch Szczęśniak und ihr Mann dem steinernen Raum. Wie Castellucci wurden sie dafür gefeiert. Warum? (Ich weiß es nicht.)

Es war zuviel. Von allem. Elektra im 50er Jahre-Petticoat. Chrysothemis im knappen 80er Jahre-Lackkostümchen, Bustier und high heels. Rotlichtbezirk. Klytämnestra im knielangen, blutroten Abendkleid; Festspielgarderobe der 90er Jahre. Die Schleppenträgerin (Verity Wingate), diesfalls ohne Aufgabe, und Die Vertraute (Valeriia Savinskaya) schlank in dunkelchangierenden Kostümen aus den Fünfzigern. Orest, frei nach H&M, im Wollpullover mit Norwegermuster.

Torheiten.

»Elektra«: Aušrinė Stundytė (Elektra) und Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra) © Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

»Elektra«: Aušrinė Stundytė (Elektra) und Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra)

© Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

Die Bühne der Felsenreitschule: zugebaut mit einer edelstahlglänzenden Wand und um­laufender Bank. Unterbrochen nur von acht Duschen mit den einschlägig bekannten Brause­köpfen. Wir wissen um diese Fotos. Aber das Publikum muß man bei Strauss eben immer an die NS-Zeit erinnern. Automatische Duschen übrigens. Elektra wird drei von ihnen aufdrehen, in der Szene mit Klytämnestra. Die Bühnentechnik wird sie, nachdem das Rauschen des Wassers den Sängern über Minuten ihre Arbeit erschwerte, wie von Geisterhand abdrehen.

Torheiten eben.

Torheiten allüberall. Agamemnon als stille Rolle. Sichtbar hingemetzelt in einem als Palast verkleideten Glas-Container, erscheint er Elektra in ihrer ersten Szene. Durchwatet ein knietiefes Wasserbecken. Auch die Mägde kühlten vordem ihre Füße darin. (Heiße Salzburger Festspielsommer.) Rauchten währenddessen, halbnackt. Im Königspalast zu Mykene. Vor den Augen Klytämnestras.

Parallel zum Operngeschehen ablaufende Handlungen erschwerten die Konzentration. Wozu Zeit, Energie und Ressourcen darauf verwenden, Klytämnestra und ihren Hofstaat bei Opferhandlungen zu zeigen? Zu welchem Zweck Aušrinė Stundytė ihre Aufgabe erschweren, indem man von ihrem Tun ablenkt? Warum sie schon zur Unzeit ausstellen, wo Elektras Abend noch lang genug werden wird?

Stete »Übervisualisierung« in Form von Video-Projektionen und Nebenhandlungen: Spiegel­fechtereien. Ablenkung vom Gegenstande. Keine Kontraktion, Keine Konzentration. Ich sage nur: Prolog.

Bei den Morden färben sich die überspannten(?) Arkaden der Felsenreitschule blutrot. Darauf hin und wider eilende Fliegen. Sie werden später noch in Massen im Kreis eilen. Szczęśniaks und Warlikowskis Idee eines Freudentanzes. Toll, was heutzutage mit Computern alles möglich ist. Doch ohne Sinn.

Torheiten.

»Elektra«: Asmik Grigorian (Chrysothemis) und Aušrinė Stundytė (Elektra) © Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

»Elektra«: Asmik Grigorian (Chrysothemis) und Aušrinė Stundytė (Elektra)

© Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

IV.
Ich will den Streich gleich zu Beginn führen: Dieser Elektra mangelt es in den zentralen Partien an zureichenden Stimmen. (Das ist es.)

Wenn der Junge Diener (Matthäus Schmidlechner) seinen Weg durch die Felsenreitschule nimmt; mit geschwellter Brust das hohe ›b‹ fast erklimmt; Elektra ansingt anstelle des Alten Dieners: Darf man dann ein szenisches Mißverständnis anmerken?

Michael Laurenz assistiert als Aegisth mit dünnem Tenor: rollendeckend. Daß er auf gut ausgeleuchteter Bühne »He, Lichter! Lichter!« zu rufen hat, dafür kann er nichts. Daß Szczęśniak ihn in einen dunklen Anzug aus den 1930er Jahren steckt: auch nicht. Und daß man Laurenz für eine (wenngleich winzige) Helden­tenor­partie engagierte, deren zufrieden­stellende Bewältigung außerhalb seiner stimmlichen Möglichkeiten liegt: ebenfalls nicht. So sind die Zeiten.

Wenn die Szene der Klytämnestra von Tanja Ariane Baumgartner die stärkste des Abends ist: Stimmt dann die Balance innerhalb des Werkes noch? Baumgartner: ein genuiner Mezzosopran. Mit gut klingender, tiefer Stimmfamilie. Klarer Diktion. (Wir erlebten zuletzt zuviele alternde Soprane. Die Zeiten, Sie wissen schon.) Eine verzweifelte, Verletzlichkeit zeigende Klytämnestra. Im Widerspruch zur Zeichnung in der Orestie… Kontraktion! Beschränkung auf das Wesentliche!

Ich weiß mich einer Minderheit zugehörig. Dennoch stehe ich zu meiner Erkenntnis: Die Partie der Chrysothemis liegt außerhalb von Asmik Grigorians Möglichkeiten. Grigorian wird selbst den lyrischen Momenten nicht gerecht. Die Stimme »singt« in keiner Phrase. Die Spitzentöne klingen schrill, verbinden sich nicht recht mit der Mittellage. Zeichen mangelnder Technik und daraus resultierender Überanstrengung der Stimme. (Daß Grigorian zwischen den Salzburger Vorstellungen an der Wiener Staatsoper Madama Butterfly probiert, mag damit zu tun haben.) Es sind die Orchesterklänge, die uns wohlige Schauer über den Rücken jagen, nicht Grigorians Tun.

Ähnliches gilt für Aušrinė Stundytė. Wer immer die Idee hatte, die Litauerin als Elektra zu besetzen: Es war keine gute. Stundytė kämpft von der ersten Phrase an mit der Partie. Verliert diesen Krieg weit vor ihrem Bühnentod. Daß, die notwendige Technik vorausgesetzt, »Allein! Weh, ganz allein« legato zu singen wäre: Es scheint nicht mehr zu interessieren. (Strauss unterscheidet sich darin nicht von Wagner noch von den Italienern.) Mangelndes Stimmvolumen in der Tiefe, Brüche in den Übergängen. Die Partie der Elektra zählt zu den schwierigsten, war niemals leicht zu besetzen. Doch darf uns das nicht als Ausrede gelten.

Überzeugend: Der Orest des Derek Welton. Die Last seiner Aufgabe versteht er auch stimmlich begreiflich zu machen. (Als einziger.) Neben dem Orchester Anker der Aufführung. Selbst bei diesen verordneten szenischen Dummheiten. Gute Phrasierung; Wissen um legato. (Ich kann’s nun einmal nicht ändern.) 

»Elektra«: Aušrinė Stundytė in der Titelpartie © Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

»Elektra«: Aušrinė Stundytė in der Titelpartie

© Salzburger Festspiele/Bernd Uhlig

V.
Auch an diesem Abend also: wenig Festspielwürdiges…

Wenig Festspielwürdiges — gäbe es nicht das Orchester: Die Wiener Philharmoniker verleihen dem Abend sämtlichen Glanz. Und Franz Welser-Möst setzt beim ersten Elektra-Dirigat auf seine Stärken: die analytische Durchdringung der Partitur, das Auffächern der Stimmen und Themen, und, endlich, das Wiederzusammensetzen. Sein »Biest« im Orchestergraben liegt im Dämmer. Hin und wieder reckt es züngelnd das Haupt. Noch rast es nicht wie seinerzeit die Böhmsche Bestie. Welser-Möst nimmt Rücksicht auf seine Sänger, dämpft immer wieder. Kein Überschwang. (Das ist es.)

Die Hervorbringung des Emotionalen, wir wissen es, ist Welser-Mösts Stärke nicht. Doch die lyrischen Chrysothemis-Szenen zaubern auch an diesem Abend Gänsehaut. Und wenn Welser-Möst sich einmal loslassen trauen wird, dann wird nicht nur der lyrische Ausbruch nach der Erkennungsszene vollends überzeugen. — Mehr Gänsehaut, bitte. (Vielleicht schon bald, vielleicht schon im September?)

VI.
Daß die einen bislang nichts Besseres hörten, die anderen die Ausgabe von bis zu 445 EUR pro Karte durch Jubel zu rechtfertigen glauben mußten: Man heißt solches »kognitive Dissonanz«.
Aber das ändert halt nichts an den Sachen.

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