Giacomo Puccini: » Tosca «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Die Menge kam, sich zu unterhalten. Und es gefiel. (Auch dem Tenor, der aus Verzückung über den erhaltenen Zuspruch eine Arie zweimal zum besten gab.) Daran ist nichts verwerflich; — auch wenn sich intellektuell überlegen Dünkende fortgesetzt die Abstraktion und Überhöhung alles Formalen fordern: Faust im Paris zur Zeit des Algerien-Krieges beispielsweise, oder Violetta als Influencerin im Spannungsfeld zwischen Katholizismus und Islam. Doch das Politische in der Kunst, so Markus Hinterhäuser, manifestiert sich nicht in einfältigen Aktualisierungen.
III.
Es gefiel vielen. Doch des kritischen Beobachters Aufgabe ist es, das Gesehene und Gehörte zu analysieren. Es zu spiegeln an der Partitur. Vergleichend einzuordnen in jenes Tun, das man früher Handwerk nannte und von dem man als selbstverständlich voraussetzte, daß jemand, der eine Bühne betrat, es beherrschte. Das sind, nicht zu verwechseln, zwei verschiedene Aufgaben. Operngesang erfordert — das mag überraschen — zuerst einmal die Beherrschung des Handwerks. Danach beginnt die Kunst. Davor bleibt alles Kunsthandwerk.
So sind denn einige Einwände vorzubringen.
IV.
Betrand de Billy entschied sich für langsame Tempi. (Dagegen ist nichts zu sagen.) Doch geriet der Abend langatmig: Schon das erste Liebesduett kam nicht vom Fleck, zerfiel in » er sagt, sie sagt «. Es sind die kleinen Temporückungen, manche in der Partitur angezeigt, manche zu erspüren, die uns Toscas Liebe zu Cavaradossi erst nahebringen. Doch: nichts davon an diesem Abend. Es fehlte an der alles umschließenden Klammer.
Es fehlte auch an der dynamischen Vielfalt, an der Sorgfältigkeit, mit der gemeinsam mit den Sängern Phrasen vorzubereiten, zu exekutieren gewesen wären. An dessen Stelle trat ein großes » Ungefähr «. Doch damit läßt sich kein Staat machen. Was wunder, daß die Anhänger des Regisseurs-Theaters Einwendungen gegen solche » Nichtvorstellungen « erheben. » Nichtvorstellungen «: Alle geben ihr Bestes, doch aus den Teilen erwächst kein Ganzes. Es gibt solche Abende. Daß es deren zuviele sind, ist eine der Schwierigkeiten, mit welchen unsere Kunstform kämpft.
Es war, als wäre jeder Sänger zu sehr mit sich und der Bewältigung der gesanglichen Schwierigkeiten seiner Partie beschäftigt, um noch Kräfte für die notwendigen Interaktionen, für eine aus dem Gesang erwachsende Gestaltung zur Verfügung zu haben. Zu oberflächlich, zu gleichgültig geriet vieles. Der Höhepunkt von E lucevan le stelle
: das Klarinettensolo, behutsam geblasen wie eine Brise. (Man holt sich einen Schnupfen im Gemüte
, bekannte Cyrano.)
V.
Da wäre zum Beispiel Elena Stikhina in der Titelpartie. Die gebürtige Russin wußte — eine seltene Wohltat! — mit ihren Roben umzugehen; sich in ihnen zu bewegen. (Immerhin.) Floria Tosca — war sie keine. Dazu fehlte es Stikhinas lyrischer Sopranstimme (keine Spur vom behaupteten spinto) am Kaliber. Diese Tosca trachtete, ohne Einbeziehung des tiefen Registers das Auslangen zu finden. Einzig als Stikhina Scarpia Assassino! Voglio verderlo!
entgegenschleuderte, machte sie von ihrer Bruststimme Gebrauch. Es wäre auch den restlichen Abend über angezeigt gewesen. Doch da dominierten textundeutlicher Gesang (der geneigte Leser weiß: eine Folge stimmtechnischer Mängel) und eine beliebige Interpretation des Notentextes. Selbst Toscas Gebet mußte der musikalischen Gestaltung entbehren — ich hörte nichts, worüber zu berichten lohnte. (Man lausche der über hundert Jahre alten Aufnahme von Eugenia Burzio: welche Klarheit der Vokale, welch selbstverständlicher Gebrauch von tempo rubato, welcher Gestaltungswille.) Daß Stikhinas Tosca eine Verbesserung gegenüber dem Tun ihrer Rollenvorgängerin darstellte, tröstet da nicht.
Die unangenehme Wahrheit scheint mir zu sein, daß (auch) die Tosca außerhalb Stikhinas stimmlichen Möglichkeiten liegt (so man an eine Partie höhere Ansprüche als das pure » Überleben « auf einer Bühne stellt).
VI.
Erwin Schrott versuchte als Barone Scarpia erst gar nicht, stimmlich zu reüssieren. Schon seine erste Phrase Un tal baccano in chiesa!
mit dem Aufstieg auf das › e ‹ offenbarte, daß da ein Sänger auf den Resten seiner Stimme den Abend zu bestreiten gedachte. Immer wieder vernahm ich vokale Unsicherheiten, kollabierte Schrotts Stimme in piano-Passagen, flüchtete er sich in aktionistisches Flüstern, wo Gesang geboten gewesen wäre: zum Beispiel bei Tre sbirri … Una carozza …
(Puccini notierte cupo, nicht mezza voce.) Schrott präsentierte den Barone Scarpia im Gegensatz zu den Partiturvorgaben und dem Text als einen Mann tätlicher Übergriffe. Das nahm der Figur viel von ihrer Gefährlichkeit. Nimmt man die gesangliche Leistung zum Masstab, fällt es schwer zu glauben, daß sich selbst Nonnen im Rom des Jahres 1800 vor solchem Polizeichef gefürchtet hätten.
VII.
Einzig der Mario Cavaradossi des Piotr Beczała versöhnte. Des Polen Stimme besitzt in der tiefen Lage eine zwar kontrollierte, dennoch irritierende Rauhheit. Andererseits: Als einziger präsentierte Beczała eine ebenmäßige, wenngleich eher einförmige Gesangslinie. Zum passaggio hin nahm das Kaliber der Stimme zu, doch erwuchs daraus nicht die erhoffte, weite und freie Höhe. An ihre Stelle traten — zu notieren nicht erst bei dieser Gelegenheit — zwar kraftvolle, doch konzentrierte, dabei zu offene und abgesetzte, mitunter angestrengt klingende Spitzentöne. Ohne Fehler zwar, doch auch ohne jenen frei schwingenden Ton, der die Großen der Vergangenheit auszeichnete.
Keine Frage, daß der Pole zum Tenorbesten zählt, das derzeit durch unsere Opernhäuser tourt. Keine Frage, daß Beczała der epidemisch gewordenen Wiederholungssucht nach E lucevan le stelle
nachgab. Keine Frage aber auch, daß vor 40 Jahren die Großen nach solcher Leistung keine Wiederholung gewährt hätten. Auch in diesem Punkt ist die Argumentation jener, welche zum Zwecke der dramatischen Einheit ein Durchspielen fordern, schwer zu widerlegen.
Circus operani. Derzeit an Ihrer Wiener Staatsoper.