» Carmen «, 2. Akt: Gezim Berisha (Zuniga), Loes Cools (Frasquita), Natalia Ushakova (Carmen), Domenica Radlmaier (Mercédès), dahinter Thomas Weinhappel (Escamillo) sowie Ballett und Chor der Bühne Baden © Bühne Baden/Lalo Jodlbauer

» Carmen «, 2. Akt: Gezim Berisha (Zuniga), Loes Cools (Frasquita), Natalia Ushakova (Carmen), Domenica Radlmaier (Mercédès), dahinter Thomas Weinhappel (Escamillo) sowie Ballett und Chor der Bühne Baden

© Bühne Baden/Lalo Jodlbauer

Georges Bizet: » Carmen «

Bühne Baden

Von Thomas Prochazka

Am Jubiläums-Stadt-Theater in Baden wagt man das Unmögliche: Man gibt Carmen ohne das Zentralgestirn des Abends. Daß es dennoch kein verlorener Abend wurde, lag am unbedingten Einsatz aller sonstigen Beteiligten: den anderen Sängern, Chor, Ballett, Orchester — und einem milde gestimmten Publikum.

II.
Ethos des Kritikers. Er sei vor allem ein Wahrheitssager.

Nun denn: Wer immer den Versuchungen nicht widerstehen wollte, Natalia Ushakova als Carmen zu besetzen, erwies der Bühne Baden einen schlechten Dienst. Nicht nur, daß Ushakovas Stimme in der Tiefe gänzlich versiegte, sie des öfteren an diesem Abend in eine Art Sprechgesang wechseln mußte, um überhaupt hörbar zu bleiben, fehlte es an jeder gesanglichen Gestaltung der Partie. Kaum einmal wollte sich das erforderliche Volumen einstellen. So darf eine Carmen auch an einem regionalen Haus, das auf sich hält, nicht klingen.

Dazu gesellte sich eine unglückliche Wahl des Kostüms im ersten Akt (verantwortlich: Mareile von Stritzky). Diese Carmen erinnerte — auch von ihren Bewegungen her — mehr an das billige Rotlicht-Milieu einer Großstadt denn eine Tabakfabrikarbeiterin in der Mittagshitze Sevillas. Es scheint schwer vorstellbar, in Wien und Umgebung nicht mindestens drei Mezzo­soprani­stinnen zu finden, die diese Partie besser, viel besser zu singen vermögen (und wenn’s denn auf Französisch sein sollte).

» Carmen «, 1. Akt: Vincent Schirrmacher als Don José und Natalia Ushakova in unvorteilhaftem Kostüm als Carmen © Bühne Baden/Lalo Jodlbauer

» Carmen «, 1. Akt: Vincent Schirrmacher als Don José und Natalia Ushakova in unvorteilhaftem Kostüm als Carmen

© Bühne Baden/Lalo Jodlbauer

III.
Das ist schade, denn die von Michael Lakner bearbeitete deutsche Fassung mit Rezitativen (da winken ja immer ein paar Tantiemen) erzählt, obwohl sie sich einiger Szenen begibt (so fehlt z. B. der Kinder-Soldaten-Chor im ersten Akt), die Geschichte nachvollziehbar. Die von Lakner und Gerhard Nemec entworfene Szene zeigt uns (anders als der übermächtige Bruder am Opernring) Spanien. Anna Vita (Choreographie) und Christa Ertl weben das Ballett der Bühne Baden geschickt in die Handlung, sorgen immer wieder für Treiben auf der Bühne. In Lillas Pastias Schenke tanzt man ordentlichen Flamenco, die Schmuggler lagern — ist solches die Möglichkeit? — mercedes-los in den Bergen. Auf dem Platz und den Stufen vor der Stierkampfarena tummelt sich (ein wenig zu offensichtlich choreographiert) das Volk — in schwarz-weißen Kostümen. Nur Carmen erscheint in bodenlangem roten Kleid, Don José in bäuerlichem Hemd und Hose. Es gibt Mantillas, Picadore und Matadore treten prächtig und farbenfroh gewandet auf. Die Schauplätze sind erkennbar. Niemand vermißt im Vorspiel zum dritten Akt nackte Männer im Halbdunkel, niemand verlangt danach, versuchte Kinderprostitution gezeigt zu bekommen … Gekonnter Einsatz der Beleuchtung (Leitung: Stefan Kreienbühl) zaubert Atmosphäre — sieht eines von den Verirrungen ab, bei Don Josés Arie Rosenblätter und bei Carmens Arie Spielkarten auf den nur zu diesem Zweck herabgelassenen, semi-transparenten Zwischenvorhang zu projizieren. (Wir hätten’s auch so verstanden. Aber solche Unfälle passieren.)

IV.
Chor und Orchester der Bühne Baden bewältigen in kleiner Besetzung die ihnen gestellten Aufgaben über alle Maßen gut, die Holzbläser klingen sauber (weil engagierter als an so manchem Abend in der großen Stadt?), Michael Zehetner hält vom Pult aus alles in bewährter Manier zusammen.

Domenica Radlmaier und Loes Cools sind als Mercédès und Frasquita adäquat besetzt, das klang zuletzt andernorts nicht um das besser, als die Karten teurer sind. Thomas Zisterer (als Dancaïro bzw. Moralès) und Beppo Binder (Remendado) versuchen alles, als Schmuggler-Quartett ohne Carmen den zweiten und dritten Akt zu retten. Ebenso wie Gezim Berisha als Zuniga gereichen sie mit ihren Leistungen dem möglichen und erwartbaren Niveau des Hauses zur Ehre.

» Carmen «, 3. Akt: Ivana Zdravkova als Micaëla © Bühne Baden/Lalo Jodlbauer

» Carmen «, 3. Akt: Ivana Zdravkova als Micaëla

© Bühne Baden/Lalo Jodlbauer

V.
Vom Escamillo des Thomas Weinhappel hatte ich mir mehr Sonorität, mehr Klarheit in der Stimme und, vor allem, eine bessere Linienführung erwartet, als der Sänger an diesem Abend zu zeigen gesonnen war. Vor allem des Toreros Auftrittslied im zweiten Akt könnte, nein, müßte viel mehr mitreißen. Da fehlte es zu sehr am aktivierbaren Stimmvolumen, um Carmens Abkehr von Don José — noch dazu diesem Don José — glaubhaft zu machen.

Dafür überraschte Ivana Zdravkova als Micaëla mit durchwegs gut geführter Stimme und schön klingender Mittellage und Höhe. Zdravkova ließ eine gute Verbindung der beiden Stimmfamilien hören, um die sie manche, andernorts engagierte Kollegin beneiden müßte. Zdravkovas Micaëla bestätigte an diesem Abend den im vergangenen Sommer als Joséphine Beauharnais in Emmerich Kálmáns Operette Kaiserin Joséphine gewonnenen, vorteilhaften Eindruck.

Der Trumpf der Badener Aufführung war zweifelsohne Vincent Schirrmacher in der Partie des Don José. (Schirrmacher hatte an Zdravkovas Seite als Napoleon Bonaparte die Kaiserin Joséphine zumindest zu einem künstlerischen Erfolg geführt.) Seine Stimme trägt in allen Registern, die Wechsel durch das passaggio erfolgen mühelos, der Aufstieg bis zum hohen Tenor-› b ‹ gelingt ohne Bruch. Hin und wieder notierte ich ein paar Unsauberkeiten, doch alles in allem hinterließ mir Schirrmacher einen besseren technischen Eindruck als vieles, was man in den letzten Jahren im Haus am Ring dem dortigen Publikum als Alfredo oder in anderen lyrischen Tenorpartien vorzusetzen gesonnen war.

VI.
Könnte sich Intendant Michael Lakner nun noch zum Engagement einer der Bühne Baden und den anderen Kollegen würdigen Carmen entschließen: Es wäre ein Grund, hinauszupilgern aus der großen Stadt und Bizets Meisterwerk so zu erleben, wie es vom Komponisten erdacht war. Und es illustrierte die unbedingte Notwendigkeit für die Existenz regionaler Bühnen wie dieser auf’s Beste.

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