»Lohengrin«, 3. Akt: Anna Netrebko (Elsa) und Piotr Beczała (Lohengrin) © Semperoper Dresden/Daniel Koch

»Lohengrin«, 3. Akt: Anna Netrebko (Elsa) und Piotr Beczała (Lohengrin)

© Semperoper Dresden/Daniel Koch

Richard Wagner: »Lohengrin«

Semperoper Dresden

Von Thomas Prochazka

Christine Mielitz siedelte ihre Lohengrin-Inszenierung 1983 zur Zeit der Uraufführung des Werkes in Deutschland an. Mit schmucken Uniformen, langen, zum Teil an niederländische Trachten Johan Vermeers gemahnenden Kleidern und in Erdfarben gehaltenem Leinen für das Volk (Bühnenbild und Kostüme: Peter Heilein). Degen anstelle von Schwertern (ausgenommen Heinrich der Vogler, Friedrich von Telramund und Lohengrin). Standarten und ein Schild.

Hohe, von schmalen Gläsern umfaßte Stahltüren umgrenzen den bespielten Bereich, dienen als Fassade des Schlosses ebenso wie für das Münster. Dessen Hochaltar: der Schwan, darüber die Taube. Das Brautgemach: purpurroter Samt für die Bettstatt, ebensolcher Gobelin für den Baldachin, mit goldgesticktem Doppeladler (oder -schwan).

Konventionen allerorten. Großer Pomp und Gloria.

II.
Georg Zeppenfeld sang Heinrich der Vogler. Sächsischer Kammersänger seit Oktober 2015. Er tat dies in gewohnt sympathischer, unaufgeregter Weise und mit kräftigem, sonoren Baß. Man bedauert, daß er den Weg nach Wien so selten findet. Aber vielleicht will er als Heinrich der Vogler auch lieber König sein denn gamsbarttragender, bayerischer Bürgermeister? Man wollte es ihm nicht verübeln.

Derek Welton durfte in Christine Mielietz‘ Inszenierung der Heerrufer sein, so wie Richard Wagner ihn erdacht hatte. Damit war der junge Australier mit seinem gut geführten Baßbariton gegenüber seinem Wiener Pendant deutlich im Vorteil.

Gleichviel: Kaum in Brabant angekommen, muß Heinrich sich um Erbstreitigkeiten kümmern, anstatt für seinen Feldzug gegen die Ungarn zu werben. Friedrich von Telramund führt Klage wider die Hohe Frau Elsa von Brabant

»Lohengrin«, 1. Akt: Anna Netrebko (Elsa) und Georg Zeppenfeld (Heinrich der Vogler) © Semperoper Dresden/Daniel Koch

»Lohengrin«, 1. Akt: Anna Netrebko (Elsa) und Georg Zeppenfeld (Heinrich der Vogler)

© Semperoper Dresden/Daniel Koch

III.
Anna Netrebko — war Elsa von Brabant. Erstmals. Ein Ereignis. Wortdeutlich und mit (bis auf ganz wenige Ausnahmen) richtiger Artikulation eroberte sie sich das auch aus Wien zahlreich angereiste Publikum. Tosender Applaus und Getrampel bereits nach dem ersten Aufzug.

Daß die Netrebko spielen kann, wußten wir. Daß sie nicht so lernfaul ist wie oftmals behauptet: Gestern haben wir es erfahren. Jede Sekunde eine Elsa, erfreute sie mit dynamisch fein abgestufter Tongebung: Sphärisch träumend im ersten Akt, gewaltig in der großen Szene mit Ortrud im zweiten, bestimmend und dabei doch zaudernd im Brautgemach. Dabei opferte sie den samtigen, vollen Klang ihrer Stimme niemals. Ein großer persönlicher Triumph.

IV.
Evelyn Herlitzius gab Elsas Gegenspielerin Ortrud. Und wie! Auch sie eine Singschauspielerin, die immer wieder Töne dem Ausdruck opfert. Gestern bewies sie auf’s Neue, das weniger oft mehr ist: Die Szene mit Tomasz Konieczny als Friedrich von Telramund zählte ebenso wie das nachfolgende Duett mit Elsa zu den größten Momenten dieses an großen Momenten gewiß nicht armen Abends. Tragfähige, fein abgestufte piani wechselten mit machtvollen forte-Ausbrüchen, welche auch die groß aufspielende Staatskapelle mühelos übertönten. Die erwartete große Leistung.

V.
Glaubt man dem Rollenverzeichnis auf der Website von Tomasz Konieczny, dann gab auch der polnische Baßbariton gestern sein Rollen-Debut als Friedrich von Telramund. Für seine kräftige, markige Art zu singen gilt dasselbe wie für Evelyn Herlitzius: Man mag sie oder mag sie nicht. Die feine Klinge führt dieser Telramund nicht: Seine Stimme klingt immer ein wenig guttural. Selbst in den Momenten tiefster Verzweiflung schwingt der Göttervater mit. Trotzdem: ein schöner Erfolg für den »Wiener Wotan vom Dienst«.

»Lohengrin«, 2. Akt: Evelyn Herlitzius (Ortrud) und Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund) © Semperoper Dresden/Daniel Koch

»Lohengrin«, 2. Akt: Evelyn Herlitzius (Ortrud) und Tomasz Konieczny (Friedrich von Telramund)

© Semperoper Dresden/Daniel Koch

VI.
Piotr Beczała sang erstmals die Partie des Lohengrin. Ein Ereignis auch er. (Manchmal ist Repetition erforderlich.) Schon sein Auftritt im ersten Akt, im piano von der Hinterbühne gesungen, steigerte die Vorfreude auf das Kommende. Ebenso beeindruckend sein Abschied vier Spielstunden später: Da bewies ein Tenor Christian Thielemanns These, »daß gerade der Wagner-Gesang seine Wurzeln im italienischen Belcanto hat […].« Niemals verlor Piotr Beczałas Stimme ihren Fokus, blieb auch in den fortissimo-Passagen klangschön. Die gefürchtete Tessitura dieser Partie? Kein Problem. Das andauernde Singen im Passagio? Kein Problem. Auch hier: ein großer persönlicher Triumph.

VII.
Christian Thielemann heißt derjenige, der all dies möglich macht. Da zaubert er am Pult seiner sich auf’s Glänzendste präsentierenden Staatskapelle ein Vorspiel zum ersten Akt hin, welches sich alle Zeit der Welt zu nehmen scheint. Im Vorspiel zum dritten Akt wiederum läßt er kraftvoll aufspielen, das Orchester jubeln, zieht das Tempo an. Gleichzeitig weiß der Dirigent den Sängern einen Klangteppich zu bereiten, der seinesgleichen anderswo nicht hat. Da geht ein Meister zu Werke. Die Folge ist, daß sich die Sänger ihm anvertrauen. Und das zeitigte gestern abend die schönsten Resultate.

»Es gibt ein Glück…«

VIII.
Einen schwerwiegenden Nachteil besitzen solche Aufführungen allerdings: Sie verderben jene, die dabeisein duften, auf Jahre hinaus. Wer gestern in der Semperoper war, wird sich fortan mit den landauf, landab gängigen Interpretationen nicht mehr bescheiden.

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