Dmitri Schostakowitsch:
»Lady Macbeth von Mzensk«
Salzburger Festspiele
Von Thomas Prochazka
II.
Spielleiter Andreas Kriegenburg hatte sich von seinem Bühnenbildner Harald B. Thor eine leicht wandelbare Scene erbauen lassen: eine heruntergekommene Arbeiterwohnsiedlung mit zum Teil kaputten weißen Schindeln auf den Balkonen, blinden Fenstern, Schutt, Staub und alten, übriggebliebenen Baumaterialien, zum Bühnenportal sich öffnend und mit unzähligen Treppen und Durchgängen die zahllosen Auftritte und Abgänge erleichternd.
Des Sinowi Borissowitsch Ismailow Haus: Es fuhr links aus dem Erdgeschoß wie ein Quader hervor, freundlich gestaltet und möbliert, ein krasser Gegensatz zur Trostlosigkeit vor der Tür. Des SinowiArbeitszimmer: ein kleinerer, auf Mannshöhe angesiedelter Quader, der aus dem rechten Plattenbau ausgefahren wurde. Was ich zu sehen bekam, war kein zaristisches Rußland, sondern ein modernes, mit Computern ausgestattetes. Trotzdem darf in Sinowis und Katerinas Schlafzimmer der kleine Hausaltar mit Ikone nicht fehlen. (Katerina wird ihn beim ersten, fast gewalttätig präsentierten Liebesspiel mit Sergej zerstören.)
Vollständig ausgefahren überdeckten einander die beiden Spielflächen so weit, daß der als Trunkenbold gezeichnete Sinowi Borissowitsch Ismailow (hervorragend auch im Spiel Maxim Paster) in sein Schlafzimmer gelangen konnte. Für den dritten und vierten Akt wurden diese Spielflächen neu bestückt, zeigten eine Polizeistube, den Schlafplatz der verurteilten Männer auf ihrem Marsch nach Sibirien und von oben beleuchtete Käfige, darin die Frauen eingesperrt waren.
Kriegenburg gelang es, mit interessanten Lichteffekten (Stefan Bollinger, Kostüme: Tanja Hofmann) immer wieder neue Räume, neue Stimmungen zu evozieren, die Hundertschaften des Chors zu arrangieren und trotzdem seinen Hauptpersonen jene Bühne zu bieten, welche ihnen gebührte. Die Arbeit an Details war durchgehend zu beobachten: Etwa wenn der Spielleiter Boris sich immer wieder mit kühlendem Wasser einsprayen ließ und Sergej diese Manier noch vor seiner Hochzeit mit Katerina übernahm…
Da die einzelnen Bilder ansatzlos ineinander übergingen, kam es allerdings vereinzelt zu vermeintlich falschen Positionen der Sänger: So im fünften Bild, wo Kriegenburg Katerina im Schlafzimmer-Duett mit Sergej noch auf der großen Spielfläche agieren ließ, dieser jedoch bereits die Federn des Bettes seiner Gutsherrin hütete. Oder wenn, diesfalls vom Text ohrfeigenhaft konterkariert, Katerinagemeinsam mit Sonetka in den Fluten ertrinken soll, der Spielleiter jedoch anstelle dessen zwei Puppen, durch einen Strick um deren Hälse verbunden, vom ersten Stock der Arbeiterwohnsiedlung werfen läßt.
III.
Die Hauptpartien waren durchwegs sehr, sehr gut besetzt: Nina Stemme gab eine kämpfende, gewitzte, selbstbewußte, dabei von ihrem Schwiegervater Boris grausam gedemütigte Katerina. Die Schwedin sang ihre Partie mit vollem, runden Sopran und zeigte eine derartige Spielfreude und Bühnenpräsenz, daß ich ihr den einen oder anderen scharfen Ton in der Höhe gerne nachsehen will. Die Intensität von Stemmes Spiel: beeindruckend.
Brandon Jovanovich war, wie auch schon in der intimeren Wiener Inszenierung von Matthias Hartmann, ein zupackender, spielfreudiger Sergej mit kräftigem, niemals ermüdendem Tenor und der Stemme ein ebenbürtiger Partner. Daß seine Stimme immer etwas rauh klingt: In dieser Partie wandelt sich der Makel zum Vorzug. Auch ließ Jovanovich, seiner Partnerin gleich, eine Intensität in der Gestaltung sehen, welche wesentlichen Anteil am Erfolg des Abends hatte.
IV.
Im selben Atemzug muß Dmitry Ulyanov als um seinen Erben bangender Boris Timofejewitsch Ismailow genannt werden. Der aus Jekaterinenburg stammende Baß ließ alle, die gestern gekommen waren, einen grausamen, präpotenten und dabei stimmlich potenten Boris hören. Wie Ulyanov in Erscheinung und Stimme klarstellte, wer der eigentliche Herr im Hause ist: ein Erlebnis. … Detail am Rande: Als Ulyanov im vierten Bild einem ihm von Kriegenburg beigegebenen Jungen gegenüber mit seinen früheren Eroberungen und Affairen prahlte, konnte ich nicht anders als an einen U.S.-Präsidenten denken, der glaubte, 45.000 Boy Scouts über die sexuellen Ausschweifungen eines »sehr, sehr reichen Mannes« auf einer »großen, einer sehr großen Yacht« erzählen zu müssen. … Kann Oper aktueller sein?
Ausnehmend gut im Spiel auch Stanislav Trofimov als ewig besoffener Pope und Andrei Popov als Der Schäbige, dessen Einbruch in Katarinas Keller ihr weiteres Schicksal besiegelt.
V.
Markus Hinterhäuser, dies offenbar sein Geheimnis, ist ein »Ermöglicher«: Mariss Jansons kehrte nach seinem 1996 während einer Vorstellung von La bohème erlittenen Herzinfarkt und darauffolgender, fast völliger Abstinenz wieder an das Pult einer szenischen Opernaufführung zurück. Daß er es gemeinsam mit den glänzend disponierten Wiener Philharmonikern und der sich in bestechender Form präsentierenden Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) tat: welch ein Glück für diese Institutionen! Deren Hingabe an des Letten Wünsche war denn auch eine fast vollkommene: Wie es da im Orchester flirrte, summte, brummte, lachte, sich gleich darauf die Schostakowitsch’schen Klangmassen ballten, bekommen auch vielbeschäftigte Opernfreunde nicht alle Tage zu hören.
Jansons war so weit wie möglich zur Urfassung des Werkes zurückgekehrt, hatte sich wohl ebenso akribisch auf diese Produktion vorbereitet, wie er es für seine Auftritte beim Neujahrskonzert getan hatte. Lady Macbeth von Mzensk, wir wissen es, zählt zu Jansons Lieblingsopern: — nein, ist seine Lieblingsoper. Dennoch war es überwältigend zu hören, welch breite Palette musikalischer Empfindungen er dem Orchester zu entlocken verstand.
VI.
Daß der gestrige, erste Abend nicht ausverkauft war, gibt mehr über das Salzburger Festspielpublikum preis als diesem lieb sein kann. Denn diese Produktion der Lady Macbeth von Mzensk ist »Festspiel« im besten Sinn des Wortes.