Großes Festspielhaus, Salzburg (Detail). © Thomas Prochazka

Großes Festspielhaus, Salzburg (Detail).

© Thomas Prochazka

Immortal Performances:
»Un ballo in maschera« (Metropolitan Opera, 1940)

Von Thomas Prochazka

Aus Anlaß des 200. Geburtstages von Giuseppe Verdi veröffentlichte das Label Immortal Performances den Mitschnitt der Neuproduktion von Un ballo in maschera vom 14. Dezember 1940 aus der Metropolitan Opera in New York.

Unter Ettore Panizza, damals erster Dirigent des Hauses für das italienische Fach, versammelte sich ein illustres internationales Ensemble: die Kroatin Zinka Milanov als Amelia, der Schwede Jussi Björling als Riccardo, der Ungar Alexander (Sándor) Svéd als Renato und, kurzfristig für Kerstin Thorborg eingesprungen, die Italienierin Bruna Castagna als Ulrica.

II.
Wie bei allen Veröffentlichungen der Immortal Performances Recorded Music Society war es Toningenieur Richard Caniell ein Anliegen, den originalen Klang dieses Dezember­nachmittages so weit wie möglich wiederherzustellen. Mit Hilfe von Irwin Elkins gelangte Caniell in den Besitz der Übertragungsplatten der NBC. Dies ermöglichte die weitgehende klangliche Restaurierung inklusive eines größeren dynamischen Umfangs zwischen piano und forte. Das Ergebnis (IPCD 1033-2) ist eine Aufnahme von für diese Zeit erstaunlicher Klarheit und Akkuratesse und nur wenigen Störgeräuschen. (Einzig ein paar Chorstellen zeigen die technischen Grenzen der damaligen Aufnahmetechnik auf.) Der Qualität des Transfers von Immortal Performances wird von keiner anderen Pressung am Markt erreicht.

III.
Ein Höhepunkt dieser Aufnahme ist die Ulrica der Bruna Castagna. Mit welcher technischen Meisterschaft die Italienerin die beiden Stimmfamilien miteinander verwebt, ihre Stimme mit scheinbarer Mühelosigkeit vom tiefen ›a‹ zum für einen Alt hoch liegenden ›a2‹ auf- und absteigen läßt: Das findet so schnell nicht ihres­gleichen. Nicht im Studio, und noch weniger live. Castagnas Maß an gesangs­technischer Beherrschung des Gegenstandes, an musikalischer Durchdringung der Partie: eigentlich ein verpflichtendes Lehrstück für jeden Alt.

IV.
Selbstverständlich war auch in früheren Tagen nicht alles besser, die Vorstellungen nicht fehlerfrei. Als Beispiel mag die Leistung von Stella Andreva als Oscar gelten: wenig mehr als zufriedenstellend. Zwar spricht die Stimme der geborenen Londonerin rasch an, doch die Brillanz, die für diese Partie erforderliche Spritzigkeit in der Attacke will sich nicht einstellen. (Und dies, obwohl Verdi die Partie des Oscar in einer durchaus bequemen Lage — zumeist um das hohe Sopran-›a‹ oszillierend — geschrieben hat.)

V.
Ähnliche Vorbehalte gelten für den Renato des Alexander Svéd. Zwar erhält er als einziger Auftrittsapplaus, und sein »Eri tu« wird vom Publikum — wie so oft in Vorstellungen dieser Oper — mit dem größten Applaus bedacht. Doch ich frage mich: warum? Gewiß, Svéds Organ war groß, beschallte sicher auch das neue Haus problemlos. Gewiß, der Ungar ließ das hohe ›g‹ am Schluß von »Alla vita che t’arrride« glänzen. Und ja, wir schätzten uns heute glücklich, gäbe es einen Verdi-Bariton von Svéds Format. Doch darf das darüber hinwegtäuschen, daß vor und nach ihm Sänger diese Partie besser, viel besser, mit sängerischem Leben erfüllten? Daß Svéds Stimme einförmig klingt, die Textverständlichkeit über weite Strecken zu wünschen übrig läßt? Denn zumindest an jenem Nachmittag fehlte es entschieden an jener stimmlichen nobilità, die wir mit der Partie des Renato in Verbindung bringen.

Giuseppe Verdi · »Un ballo in maschera« · Zinka Milanov · Jussi Björling · Alexander Svéd · Bruna Castagna · Nicola Moscona · Stella Andreva · Norman Cordon<br />Chor und Orchester der Metropolitan Opera · Ettore Panizza

Giuseppe Verdi
»Un ballo in maschera«
Zinka Milanov · Jussi Björling · Alexander Svéd · Bruna Castagna · Nicola Moscona · Stella Andreva · Norman Cordon
Chor und Orchester der Metropolitan Opera
Ettore Panizza
Immortal Performances IPCD 1033-2
Erhältlich via www.immortalperformances.org

VI.
Als Amelia hatte die Metropolitan Opera die damals 34-jährige Zinka Milanov aufgeboten. Ganz Diva, »schleppt« sie in »Ecco l’orrido campo« ebenso wie im anschließenden, zentralen Duett mit Riccardo. Verlangt Ettore Panizza am Pult einiges an Geschick ab in der Koordination zwischen Bühne und Graben…

Aber: Wie »die« Milanov schleppt! Ihre Amelia kostet jede Phrase aus. Die Stimme klingt niemals scharf; — und runder, weicher, als beispielsweise jene von Maria Callas bei der inaugurazione des Teatro alla Scala 1957. Mühelos erreicht Milanovs dramatischer Sopran die Höhen und Tiefen der Partie, sei es das tiefe Sopran-›a‹ oder das hohe ›c‹. Sie ist freigiebig mit dem legato und sparsam im Gebrauch des portamento. Einige stimmliche Unsauberkeiten hie und da fallen nicht ins Gewicht. Man höre sich an, wie Milanov beim abschließenden »me difendi dal mio cor« die Stimme zurücknimmt, das finale ›e2‹ der Phrase trotz des notierten pppp seinen Kern behält! (Verdi wollte kein morendo. Sonst hätte er es notiert.) Die gebürtige Kroatin ist — nicht nur an diesem Nachmittag — eine der großen Vertreterinnen des dramatischen Sopranfachs. (Eines Fachs, zu dessen Aussterben die Sänger­ausbildungs­industrie in den letzten Jahrzehnten das Ihre beigetragen hat: in der irrigen Annahme, die Kunst des Operngesanges könne man studieren wie Sprachen oder Medizin.)

VII.
In der Partie des Riccardo gab der erst 29 Jahre alte Jussi Björling in der Saisoneröffnung am 2. Dezember 19401 sein New Yorker Rollen-Debut. Björling singt — alles andere wäre eine Untertreibung — einen hervorragenden Riccardo. Mit aller Kraft der Jugend und mit einer Gesangstechnik, welche einen auch 80 Jahre später noch staunen macht. Wie die prima donna des Abends weiß auch er die Stimme legato zu führen. Die Spitzentöne erklingen — welch hohe Kunst! — ausnahmslos coperto. Die hohen ›a‹ im Liebesduett — »Teco io sto« — bei »quante volte del cielo implorai la pietà che tu chiedi da me« beispielsweise, gemäß der Partitur tenuto zu singen, blühen richtig auf. (Es waren dies jene glücklichen Zeiten, als Dirigenten ihren Sängern wissende und verständnisvolle Begleiter waren und tempo rubato noch nichts Unanständiges an sich hatte.) Björlings Stimme klingt brillant. Dabei bleibt er so genau am Notentext dieser längsten und, nach Meinung Jürgen Kestings, schwierigsten Tenorpartie Verdis, daß es eine Freude ist. Ein weiteres Lehrbeispiel.

VIII.
Ettore Panizza leitete das Orchester und den Chor der Metropolitan Opera mit kapellmeisterlichem Sinn für Agogik und Dynamik. Eine fast ausgestorbene Kunst… Es ist faszinierend, Panizza zuzuhören, wie er mit dem Orchester bereits dem Vorspiel Leben einhaucht; hier ein wenig verzögert, dort das Tempo anzieht; in den Chorszenen zügig vorwärts strebt. Allerdings gewährt er den Sängern manchmal mehr Zeit, als einem durchgehenden Spannungsbogen zuträglich scheint. Vor allem in den Szenen mit Milanov (im ersten Bild des zweiten Aktes und bei Amelias »Morrò, ma prima in grazia«) wäre ein rascheres Tempo von Gewinn gewesen.

Die Aufführung hält sich an die damals geübte Praxis kleinerer Striche in den Chor­passagen (z.B. am Ball im dritten Akt). Schade, daß diesen Strichen auch Riccardos zweite Aria »Ma se m’è forza perderti« zum Opfer fiel. Glaubt man den Quellen, zum Teil auch auf Betreiben Jussi Björlings, der diese Arie der hohen tessitura wegen nicht singen wollte.

IX.
Dieser Nachmittag an der Metropolitan Opera: eine wertvolle Ergänzung jeder Un ballo in maschera-Diskographie.

  1. Jürgen Kesting verlegt das Datum des Met-Mitschnittes in seinem Buch »Die großen Sänger« übrigens einmal auf den 12. Dezember 1940 (bei Zinka Milanov, S. 1390), ein anderes Mal (im Kapitel über Jussi Börling) gibt er den 14. Oktober 1940 an (S. 1442). Die Metropolitan Opera begann ihre Spielzeit am 2. Dezember 1940, der Mitschnitt stammt von der zweiten Vorstellung am 14. Dezember.

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