»Ariodante«, 3. Akt: Ariodante (Dame Sarah Connolly) nach seiner glücklichen Landung am Ufer © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Ariodante«, 3. Akt: Ariodante (Dame Sarah Connolly) nach seiner glücklichen Landung am Ufer

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Georg Friedrich Händel: »Ariodante«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Die Wiener Staatsoper feierte mit der Neuproduktion der Ariodante einen Publikumserfolg. Optisch und scenisch gut gelungen, begeisterten vor allem Sarah Connolly, Christophe Dumaux und William Christie mit seinen Les Arts Florissants das Publikum.
(So waren, in Kürze, die Begebenheiten.)

II.
David McVicar gleicht dem »reichsten Mann von Wien«: Um möglicher Langweile eines Teils des Publikums vorzubeugen, verfiel er auf den sublimen Gedanken, das Stück durch die Comparserie anständig ausstaffieren zu lassen. Wie’s neue Sitt’ (und schlechter Brauch), (über)inszeniert McVicar bereits die Ouverture, läßt Polinesso einen Hirsch erjagen und diesen bei Il Re di Scozia abliefern. … Der Kadaver wird uns später wieder­kehren: als Sitzgelegenheit für Ariodante und Polinesso im ersten Akt, vom Schnürboden baumelnd im dritten, ehe er schließlich seinen Kopf verlieren wird. Wie überaus stimmig, daß der Kopf dann in der Duell-Scene an der Rampe abgelegt wird, während Polinesso, dessen Schild einen Hirsch ziert, im Kampf mit Lurcanio fällt! (Danke, ganz lieb. Wir hätten’s auch so begriffen.)

Die Idee, den schottischen König in seiner Bibliothek, mithin als belesenen Mann, darzustellen: — Sie weicht der auf unseren Bühnen schon heimisch gewordenen Bücherverbrennung im dritten Akt. Und wäre in ihrer Schwarz-Weiß-Zeichnung nicht vollständig, zerisse nicht Polinesso ein Buch und schleuderte die Teile über die Bühne. Und wieder fragte ich mich nach dem Warum…

Auch sonst tummelte sich viel Personal ohne Beleg im Personenverzeichnis: Während an der Rampe Arien gesungen wurden, deckte die Comparserie der Wiener Staatsoper (bewun­dernswert in ihrer Präzision!) im Hintergrund zum raschen Rhythmus der Musik die Tafel. Auch sonst waren die Herren oftmals im Einsatz, trugen Tische und Stühle, arrangierten Scenen mit fahrbaren Spiegeln, stellten Wappenträger vor.

III.
All dies begab sich in der von Vicki Mortimer ersonnenen Scene: Die britische Designerin hatte für die Produktion fahrbare, romanischen Mauern nachempfundene Versatzstücke (bzw. Bücherregale) geschaffen, welche rasche Wechsel der Scene ermöglichten und gemeinsam mit dem einen Kiesstrand und verschiedene Wolkenstimmungen vorstellenden Rundhorizont die Weite des Meeres evocirten. Im Zusammenspiel mit der klugen Licht-Regie Paule Constables ergab dies immer wieder stimmungsvolle Bilder, unterstützte die Sänger auf beste Weise.

Die von Mortimer designten Kostüme sind keiner Epoche zuzuordnen. In ihrer bunten Schrillheit (z.B. für die Tänzer des Wiener Staatsballetts) waren Anklänge an das österreichische Rokoko ebenso zu sehen wie an die Londoner Mode zu Zeiten Händels. Polinessos Schergen traten in schwarzen Lederhosen und -wämsern auf. (Wann endlich werden Kostümbildner die Tatsache berücksichtigen, daß sich der Kostspieligkeit des Färbens wegen nur Reiche schwarze Kleidung leisten konnten?)

IV.
Mit William Christie und den Les Arts Florissants lud man Spezialisten für dieses Fach ein. Und tat das einzig Sinnvolle: Man gab Ariodante in seiner Gesamtheit, mit allen Chören und Balletten; — auch wenn letztere eher Tanzpantomimen glichen denn den traditionellen Choreo­graphien alter französischer Tänze (Allemand, Gavotte, Gigue, Sarabande, etc.). Händel — ein weiteres Argument für die vollständige Aufführung der Partitur — hatte alle die Tänze der Französischen Suite in seiner Musik verwoben.

Christie und Les Arts Florissants machten ihrem Namen alle Ehre. Was da aus dem Graben klang an ungewohnten Orchesterfarben (so setzte man für den basso continuo neben den traditionellen Instrumenten Cello und Cembalo auch Contrabaß und Theorbe ein), machte Lust auf mehr. Wunderbar auch die pianissimo-Einwürfe der Fagotte in Ariodantes »Scherza infida«, mit warmem Ton!

Dabei nahm Christie eher gemächliche Tempi, zumindest im Vergleich zu Harry Bicket und The English Consort, welche im Mai 2017 für eine konzertante Aufführung im Theater an der Wien zu Gast gewesen waren. Allerdings: Christie ist viel zu erfahren, als daß er darob den Bogen über das Ganze verlöre. Die wenigen Chöre wurden, wie auch schon in der Alceste, vom Gustav Mahler Chor gesungen: aus dem Orchestergraben und in feiner Abstimmung mit dem Orchester. Diese Leistungen allein rechtfertigen den Besuch einer Aufführung.

»Ariodante«, 1. Akt: Polinesso (Christophe Dumaux) heuchelt Dalinda (Hila Fahima) Zuneigung vor, um diese für seinen Plan der Vernichtung Ariodantes zu gewinnen © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Ariodante«, 1. Akt: Polinesso (Christophe Dumaux) heuchelt Dalinda (Hila Fahima) Zuneigung vor, um diese für seinen Plan der Vernichtung Ariodantes zu gewinnen

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Der Counter-Tenor Christophe Dumaux war für mich die Überraschung des Abends: Erstens braucht es eine Weile, sich daran zu gewöhnen, daß der Bösewicht des Abends nicht einer tiefen, sondern einer hohen Singstimme anvertraut ward. Und zweitens stellte Dumaux bei seinem Haus-Debut den Polinesso stimmlich sehr überzeugend dar. Der 1979 geborene Franzose verfügt über jene Stimme, welche man gemeinhin mit Barockgesang assoziiert: eng geführt, aber nicht scharf, und mit genügend Kraft für die forte-Passagen. Die Tongebung war klar und sauber, die musikalische Gestaltung seiner Partie nach anfänglicher Nervosität beispielgebend.

VI.
Leider läßt sich nämliches nicht von Wilhelm Schwinghammer, Il Re di Scozia, behaupten: Die Stimme des aus Bayern gebürtigen Basses klang anläßlich seines Haus-Debuts den ganzen Abend breit geführt und unsauber, entbehrte jeder für diese Art von Musik so notwendigen Beweglichkeit. Schwer vorstellbar, daß mit der gestern gebotenen Leistung die zufriedenstellende Bewältigung eines Fsasolt oder Fafner bei den Bayreuther Festspielen möglich sein soll… Und daß man, nimmt man Schwinghammers Leistung als Maßstab, nicht im Wiener Ensemble fündig wurde.

VII.
Besser ging es da schon mit dem Lurcanio des Rainer Trost. Auch er bewegte sich auf ungewohntem Terrain, auch seine Stimme erschien — eigentlich! — zu schwerfällig für die Partie. Doch Trost brachte es fertig, vor allem im zweiten und dritten Akt mit Attacke zu reüssieren, zog sich mit Anstand aus der Affaire.

VIII.
Mit Chen Reiss in der Partie der Ginevra und Hila Fahima als Dalinda waren zwei Ensemble-Mitglieder der Staatsoper in führenden Rollen aufgeboten. (Es war das Haus selbst, welches diese Tatsache in seinen Presseaussendungen hervorhob.) — Es war keine gute Idee.

Barock-Oper erfordert mit ihren langen da capo-Arien, der Innenschau der handelnden Personen, noch viel mehr als das »klassische« Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts die Kunst der musikalischen Durchdringung und Gestaltung. Ebendiese zählt allerdings — neben zu breit geführten und zu unbeweglichen Stimmen — nicht zu den Stärken der beiden Hausmitglieder.

Hila Fahimas Dalinda klang den ganzen Abend über »soubrettig«, die Tongebung war oftmals unstetig. Beim Abstieg ins tiefe Register verlor die Stimme des öfteren an Volumen, Spitzentöne erklangen »ausgestellt«, d.h., laut gesungen, als müsse die Sängerin zusätzliche Anstrengungen unternehmen.

Chen Reiss traf es da besser (vor allem im dritten Akt gelang dann einiges). Die Duette mit dem Ariodante der Dame Sarah Connolly offenbarten jedoch hörbar den Klassenunterschied der beiden Sängerinnen. Auch will ich die Lebenden nicht mit den Toten erschlagen: Aber Christiane Karg agierte da im Mai 2017 im Theater an der Wien in einer anderen Liga.

Die Barock-Oper erfordert gut geführte Stimmen, welche in den Arien-Wiederholungen die Stimmfarbe zu verändern wissen. Das Publikum mit musikalischer Gestaltung zu fesseln verstehen. Andernfalls stellte sich nämlich die Frage nach dem Sinn der Wiederholungen. Langeweile machte sich breit. Und da gab es gestern durchaus Momente, in welchen es war, um stehend einzuschlafen. (Fast.)

»Ariodante«, 3. Akt: Ariodante (Dame Sarah Connolly) vereint mit Ginevra (Chen Reiss) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Ariodante«, 3. Akt: Ariodante (Dame Sarah Connolly) vereint mit Ginevra (Chen Reiss)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IX.
Bewundernswert: die Leistung von Dame Sarah Patricia Connolly DBE in der Titelpartie. Neben Dumaux bot sie als einzige barocken Operngesang. Besonderes Gustostückerl: »Scherza infida«. Ein Lehrbeispiel für die musikalische Durchdringung einer Arie, der vielfältigen Möglichkeiten stimmlicher Gestaltung (wenn man sich denn darauf versteht). Wollte man Negatives anmerken, dann vielleicht, daß Connolly zu Beginn des dritten Aktes ein wenig schwächelte, ein paar Spitzentöne schärfer gerieten, die Stimme bei forte-Ausbrüchen an Focus einbüßte. Alles in allem jedoch: eine sehr, sehr gute Leistung in einer über alle Maßen langen Partie.

X.
Die Wiener Staatsoper leistet sich den Luxus, Händels Ariodante für fünf scenische Abende ins Repertorie aufzunehmen. (Denn schenkt man Gerüchten aus dem Haus Glauben, wird die Produktion bis zum Amtsantritt der neuen Direktion nicht wiederkehren.) Die Leistungen von Sarah Connolly, Christophe Dumaux und William Christie am Pult der Les Arts Florissants rechtfertigen jedenfalls einen Besuch.

Es schadete ja noch nie, seinen Horizont zu erweitern.

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