»Elektra«: Nina Stemme bei ihrem Rollen-Debut als Elektra © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Elektra«: Nina Stemme bei ihrem Rollen-Debut als Elektra

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Elektra«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Welch’ ein Glück, daß heutzutage jeder Première eine entsprechende Berichterstattung vorauseilt, sodass alle Mitwirkenden einander in den diversen Blättern sich ihres gegenseitigen Wohlwollens versichern und ihre Ideen publik machen können! Als interessierter Opernbesucher wüßte man sonst gar nicht, worauf man in den Vorstellungen zu achten haben werde.

II.
Auch im Falle der Elektra wurde dies so gehandhabt, und so äußerte sich Uwe Eric Laufenberg zur Vorgängerproduktion: »Auch die Harry Kupfer-Inszenierung wurde bei der Première ausgepfiffen! Ich weiß das ganz genau, weil sie damals im Fernsehen übertragen wurde und ich ganz gespannt vor dem Bildschirm saß, weil ich ein so großer Kupfer-Fan war – und bin. […] Seine Wiener Elektra hat mich allerdings enttäuscht – nicht zuletzt, weil ich erwartet habe, dass die fragmentarische Agamemnon-Statue am Ende zusammen kracht… und nicht verstanden habe, warum das nicht geschieht

III.
Ältere Opernfreunde erinnern sich: 1989 war Claudio Abbados Verhältnis mit dem Staatsopernorchester nicht mehr das beste und, so eine damals oft gehörte Meinung, niemand konnte nach Herrn Dr. Böhm die Elektra wirklich dirigieren – zumindest nicht als Neuproduktion in Wien. Dazu kam Maestro Abbados analytische, »italienisch« rationale Lesart der Partitur mit Cheryl Studer als Chrysotemis und Eva Marton in der Titelpartie – unerhört!

Wer Harry Kupfers Idee des Zerschellens aller an Agamemnon weiterdenkt, für den kann es jedoch keinen Zweifel geben, daß dessen Prinzip weiterbesteht und die Unberührbarkeit der Statue daher nur konsequent ist. Könnte man nicht nur »in der Partitur« (Herr Laufenberg im Interview mit Renate Wagner) lesen, das wiederholte Erklingen des Agamemnon-Motives, gefolgt von den finalen Akkorden – es-moll für Elektras Tod und danach C-Dur – hätten beredt Auskunft gegeben darüber, daß Orests Rache von den Göttern gebilligt wurde. Orest wird später auch vom Areopag mit Hilfe Pallas Athenes freigesprochen werden, wie ein Blick in die Atridensage gezeigt hätte…

IV.
Der saloppe Umgang mit dem, was hinter den Noten steht, ist auch das große Problem dieser Regiearbeit. Herr Laufenberg mißtraut der Musik. Inkongruente Auf- und Abgänge könnte man ja übersehen, passierten da nicht psychologische Fehler, die nicht nur den Regieanweisungen in der Partitur, sondern auch Strauss’ Musik zuwiderlaufen (z.B. Elektras Tänze). Anstatt Strauss die erforderlichen Bühnenaktionen abzulauschen, fügt Herr Laufenberg da nackte Frauen hinzu, dort einen Rollstuhl für Klytämnestra, und zum Schluß gibt’s eine Balgerei unter Buben, die nicht einmal mit den Abend für Abend am Stehplatz ausgetragenen Reibereien mithalten kann…

V.
Den Sängerinnen macht das ihre Aufgaben nicht einfacher. Umso mehr darf man ihre Leistungen bewundern: Nina Stemme meistert die Partie der Elektra mit einem stimmlichen Einsatz, der jede Götterdämmerungs-Brünnhilde als Spaziergang erscheinen läßt. Ihre Technik erlaubt ihr, sich auf die Gestaltung der Partie zu konzentrieren. »Die Hauptpartie muß nun aber von der aller hochdramatischten Sängerin gegeben werden […]«, ließ Richard Strauss den Uraufführungs­dirigenten Ernst von Schuch 1908 wissen. Wer sonst sollte heute diese Partie singen?

VI.
Eventuell Ricarda Merbeth? Diese war gestern wieder als Ersatz für Anne Schwanewilms in der Partie der Chrysothemis zu erleben: Frau Merbeth war Elektra eine ebenbürtige Schwester mit fast schon zu dramatischer Stimme, worunter die Textdeutlichkeit in einigen Passagen litt. Ich ertappte mich dabei, ihr zur Erholung ein Engagement als Senta zu wünschen. Aber Frau Merbeths Stimme sprach gleichmäßig vom b bis zum h2 an und wurde eng geführt, ohne sich die Fährnisse der Partie anmerken zu lassen. Schön, daß sie Zeit und Lust hatte einzuspringen!

VII.
Anna Larsson sang die Klytämnestra mit allen ihr vom Regisseur zugedachten Erschwernissen. Die Stimme wurde erst im Laufe der Auseinandersetzung mit Elektra freier, klang dann entspannter, konzentrierter. Dafür wurde Frau Larsson von Richard Strauss und Mikko Franck am Pult am meisten geschont: Ihre Partie enthält kaum fortissimo-Ausbrüche, was ihre Aufgabe hörbar erleichterte. Über ein paar Ungenauigkeiten hier oder da mag man diskutieren, muß man aber nicht.

VIII.
Mikko Franck dirigierte nach den Balletten Verklungene Feste und Josephs Legende im Feber seine zweite, selbst einstudierte Produktion im Haus am Ring. Man war neugierig, ob sich auch das Feine, Leise, Zärtliche der Partitur den Weg würde bahnen können. Leider machte seine Lesart es den Sängen nicht immer einfach: Dann und wann ging’s ungeschlacht zu im Orchestergraben, organisiert zwar, aber ohne jene letzte Konsequenz in der Rücksichtnahme auf die Stimmen, die heute so selten geworden ist unter den Maestri und doch die letzte Elektra-Interpretation eines Dr. Karl Böhm (allerdings im Studio aufgenommen) auszeichnete. Ein wenig mehr Zutrauen in die Macht der zu gestaltenden Phrasen und Szenen, der Mut zur noch größeren Zurücknahme der Klangmassen hätte jenen Zugewinn bedeutet, welcher wenige exzellente Maestri von den sehr guten Kapellmeistern scheidet. Darf man auf die Zukunft hoffen?

IX.
Nach der ersten Phrase war klar, daß Falk Struckmanns Orest einiges mehr an Lenzen zählen mußte als seine Schwestern. Die feine Klinge ist seine an unzähligen Jochanaans und Hans Sachsen gestählte Stimme nicht, aber er klang kraftvoll, ausgeruht und hatte mit den Höhen – die Partie geht bis zum fis – keine Probleme.

Auch Norbert Ernst als Aegisth entledigte sich seiner Aufgabe ohne Fehl und Tadel. Diese Partie sowie jene des jungen Dieners Thomas Ebensteins kann man ohne weiteres aus dem Ensemble besetzen. Darf man trotzdem anmerken, daß man ersteren lieber als Spieltenor erleben möchte, weil man sich sonst Sorge um seine weitere stimmliche Entwicklung machte? Ähnliches gilt auch für Thomas Ebenstein, dessen kurze Passage an diesem Abend sehr mit Kraft gesungen schien, gepreßt und mit breit geführter Stimme.

X.
Was die Mägde und Dienerinnen betrifft, möchte man einigen Damen auf den Weg geben, an ihrer Wortdeutlichkeit zu arbeiten. Gewiss, Richard Strauss macht es einem nicht immer leicht, aber für die Karriere wär’s wohl förderlich. Ob man da bei Korrepetitorproben stärker darauf achten könnte, als Gewinn für zukünftige Abende?

XI.
Die von manchen Premièren-Beobachtern beobachtete Fadesse wollte sich nicht einstellen, im Gegenteil gab es musikalisch und motivtechnisch einiges zu entdecken. Beckmesserei auf einem Niveau also, welches viele Opernhäuser gerne einmal pro Saison erreichten. Szenisch wird leider nur Staatstheater-Niveau erreicht. Aber auch das ist schließlich stimmig.

141 ms