»Die Weiden«: Rachel Frenkel als Lea, eine junge Philosophin © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Die Weiden«: Rachel Frenkel als Lea, eine junge Philosophin

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Johannes Maria Staud: »Die Weiden«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Keine Oper. Was auch immer man ins Programmheft druckt: Johannes Maria Stauds und Durs Grünbeins opus ist keine Oper. Sondern ein Schauspiel. Mit musikalischer Untermalung. Komplexer musikalischer Untermalung, geschuldet dem Überfluß unserer Zeit.
Dies der erste Eindruck.

II.
Was war das doch für ein Gedöns in den letzten Tagen: Der Komponist wurde nicht müde, in den Medien landauf, landab zu erläutern, warum sein Werk hier und heute so wichtig sei. Daß Staud und Grünbein ihre Geschichte in Ereignissen von vor 70 Jahren verankern (zu glauben müssen), wird aufmerksamen Beobachtern unserer Tage nur ein mildes Lächeln entlocken. Daß Grünbein die Handlung im leicht zu identifizierbaren Österreich spielen läßt, Originalzitate von in der Öffentlichkeit stehenden Personen verwendet, wird ihm von manchen als Nest­be­schmutzung ausgelegt werden. Ob sich Librettist und Komponist Karl Kraus verbunden fühlen? Der bemerkte ja einmal: »Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt.«

Daß dieselben Strömungen, allerdings mitunter viel stärker, in anderen, nicht nur europäischen Ländern ebenso sichtbar sind, bleibt ausgeblendet. Daß jene, welche sich betroffen fühlen sollten, weder anwesend waren noch sein werden, erinnert ein wenig an den Hund und den Baum: — es ist der falsche. Mit einer weiten Verbreitung ihres Werkes scheinen dessen Schöpfer also nicht zu rechnen…

III.
Der Kern der Geschichte ist rasch erzählt: Lea (angesagt, aber ebenso gut wie sonst: Rachel Frenkel), die Tochter jüdischer Emigranten, verliebt sich in Peter (Tomasz Konieczny), einen »Hiesigen«. Auf einer Kanufahrt am »Großen Strom« vom »Schwarzen Wald« in Richtung des »Grauen Meeres« treffen sie auf Peters besten Schulfreund Edgar (Thomas Ebenstein) und dessen Braut Kitty (Andrea Carroll), den Komponisten Krachmeyer (Udo Samel in einer Sprechrolle) und auf Peters Familie (Donna Ellen und Alexandru Moisiuc als seine Eltern, Katrina Galka und Jeni Houser als die Schwestern Fritzi und Frantzi). Die Unterschiede in Herkunft und Lebensart entzweien die beiden. Peter vermag sich nicht von seinen Wurzeln zu lösen…

»Die Weiden«: Auf Edgars (Thomas Ebenstein) und Kittys (Andrea Carroll) Hochzeit © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Die Weiden«: Auf Edgars (Thomas Ebenstein) und Kittys (Andrea Carroll) Hochzeit

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Keine Oper? — Aber die Musik…?

Welche Musik? Staud wird dort am einprägsamsten, wo er banal wird. Sich in eingängigen Melodien verliert, wie in der jazzigen »Legende von den Karpfenmenschen«, vorgetragen von Leas Eltern (mitreißend sowohl in der musikalischen als auch szenischen Darbietung Monika Bohinec und Herbert Lippert). Hinter der Jazz-Combo im teuer eingerichteten Apartment der Aus­blick über die Dächer von Manhattan. »Die Neue Freie Presse« und eine Menora inklusive. (Clichées sind dazu da, bedient zu werden.)

Oder in der Chor-Szene sowie beim »Sing along« auf Edgars und Kittys »Hochzeit im Strom­bad«, mit Holzsägen und Anschneiden der Hochzeitstorte. (Grünbein und Staud scheinen wenig von Traditionen zu halten.) In dieser Szene vermißt sich Staud, musikalische Zitate aus Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg und Die Walküre einzuflechten. … Keine gute Idee: Der Vergleich macht sicher. Und geht — wie denn auch anders — zu Ungunsten Stauds aus.

Sonst herrschen flächige Klänge vor. Die lärmen zwar nicht, doch entwickeln sich keine Melo­dien. Laut Giuseppe Verdi grundlegende Bedingung für jede Oper. (Aber wer war schon Verdi?) Staud führt die Gesangsstimmen harmonisch, nicht melodisch. Auch geraten die Szenen zu lang, mögen da Kitty und Edgar noch so emsig auf ihrer Insel inmitten des großen Stromes hin und wider laufen.

Wenn im Schlußbild der »Chor der Deportierten« (man vermag — oder will — sich nicht aus den ehemals finsteren Zeiten befreien) die Bühne betritt, skandiert er manche Textzeile. Wie im Sportstück der Elfriede Jelinek. (Wie arm wären wir doch ohne das griechische Drama!)

»Die Weiden«: Tomasz Konieczny (Peter), Rachel Frenkel (Lea), Edgar (Thomas Ebenstein) und Kitty (Andrea Carroll) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Die Weiden«: Tomasz Konieczny (Peter), Rachel Frenkel (Lea), Edgar (Thomas Ebenstein) und Kitty (Andrea Carroll)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Andrea Moses setzt extensiv Videoprojektionen ein. Nicht nur für die Zwischenspiele, sondern auch in den einzelnen Szenen mischen sich Rückprojektionen und Live-Aufnahmen vom Büh­nen­geschehen immer wieder (Bühne: Jan Pappelbaum, Licht: Bernd Pukrabek). Auch die Dreh­bühne kommt den ganzen Abend über zum Einsatz. (Sie ist aber auch ein tolles Spielzeug!) Einmal fahren Lea und Peter mit ihrem Kanu an jenem Steg vorbei, darauf Edgar und Kitty es sich gemütlich gemacht haben, im Bild »Die verlassene Schenke im Wald« wird die dauernde Rotation zum Ausdruck der Trunkenheit der Akteure und ermöglicht schnelle Szenenwechsel. Die Kostüme von Kathrin Plath scheint man in jedem Kaufhaus erwerben zu können.

VI.
Enttäuschend die Leistungen der schauspielenden Gäste: Sylvie Rohrer spielt eine Schauspielerin als Fernsehreporterin (anstatt diese selbst), mit viel zu großer, unnatürlicher Diktion. Nicht ein­mal die Parodie einer Reporterin. (Sieht diese Frau Nachrichtensendungen?) Udo Samel nuschelt als Krachmeyer auch ohne elektronische Verfremdung: zu rasch, zu undeutlich erklingen seine Verse vor der Pause.

Wie’s geht, zeigt Wolfgang Bankl in zwei kleinen Rollen als Oberförster und De­ma­goge: Da spielt der Sänger seine Kollegen vom Fach an die Wand. (Köstlich, wie Bankl sei­nen Heimat-Monolog gestaltet.)

»Die Weiden«: Udo Samel als Krachmeyer, ein Komponist und Freund von Peters Familie © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Die Weiden«: Udo Samel als Krachmeyer, ein Komponist und Freund von Peters Familie

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VII.
Mit Ingo Metzmacher bat die Staatsoper wohl einen der weltweit besten Dirigenten für zeit­genössische Musik ans Pult. Umsichtig und mit klarer Zeichengebung lenkte der aus Hannover Gebürtige nicht nur das Chor und Orchester der Wiener Staatsoper im Graben, sondern auch die Sänger. Sowie das Bühnenorchester auf offener Szene und im entfernten Saal, wo das Schlag­werk operierte und verzerrungsfrei über Lautsprecher zugespielt wurde.

VIII.
Die Weiden mögen, gestrafft und überarbeitet, als Schauspiel mit Musik überlebensfähig sein. Als Oper: kaum. — Und daran wird auch die Absicht nichts ändern, das Werk im November 2019 er­neut zur Diskussion zu stellen.

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