Frühstück.

Von Thomas Prochazka

(Ein Dramolett.)

Dienstagmorgen in einem Altwiener Kaffeehaus. Ein gedeckter Tisch, darauf Butter, Marmelade, zwei Eier, Orangensaft, Milch, Zucker, Kaffee. Matthias Hartmann liest den »Kurier«, Alexandra Liedtke blättert im Klavierauszug von Saint-Saëns’ »Samson et Dalila«. Neben ihrer Kaffeetasse liegt eine CD-Box mit einer Aufnahme der Oper.

Alexandra Liedtke (überrascht vom Klavierauszug aufblickend):
Das ist ja französisch!
Matthias Hartmann (hinter der Zeitung hervor):
Und?
Liedtke:
Ich kann aber kein Französisch.
Hartmann (wie vordem):
Dann lies halt den Text vom CD-Begleitheft.
Liedtke:
Wie sieht denn das aus, wenn ich ohne Klavierauszug auf den Proben auftauche? (Seufzend.) Jetzt muß ich mir auch noch den deutschen Text dazuschreiben! Mann, ist das öd! (Liest. Stutzt.) Das spielt in Griechenland...!?
Hartmann:
Wieso?
Liedtke:
Da steht immer »Hélas!«…
Hartmann (seufzend):
Das heißt »Ach!«. Oder »Leider!«. In »Samson et Dalila« geht’s doch um den Kampf zwischen den Juden und den Philistern. (Nimmt einen Schluck Kaffee. Danach verschwindet er wieder hinter der Zeitung. Träumerisch.) Steine…
Liedtke:
Was?
Hartmann:
Steine. Du brauchst Steine. (Läßt die Zeitung sinken.) Wann immer auf einer Bühne Juden auftauchen, brauchst Du Steine. Die läßt Du die Komparserie oder den Chor dann irgendwo ablegen. Oder wegräumen… so etwas halt...
Liedtke (notiert auf einem kleinen Notizblock):
»Steine.« Sonst noch was?
Hartmann:
Bücher. Bücher sind auch immer gut. Die kann man dann auf offener Bühne verbrennen.
Liedtke (schreibt weiter, ernsthaft):
»Bücher.« — Genial! Die lasse ich die Juden verbrennen. Oder doch lieber zerreißen…?
Hartmann:
Nicht von den Juden! Von den anderen. Und im übrigen heißt das »das Volk Israel«.
Liedtke (fast trotzig):
Bei mir werden die Juden die Bücher zerreißen! Schon allein wegen der Abwechslung! Ich will mein Publikum fordern! Und im Hintergrund werde ich einen großen Hanukkah-Leuchter plazieren…
Hartmann:
Menorah...
Liedtke:
Was?
Hartmann:
Der siebenarmige Leuchter der Juden heißt »Menorah«.
Liedtke:
Ach so… Na, ist ja auch egal. Also, ich werde…
Hartmann:
Wie soll das funktionieren? Das Volk Israel wird ja unterdrückt. Glaubst Du, die Philister lassen die Juden eine große Menorah aufstellen?
Liedtke:
Unterdrückt? Cool. Das wußte ich nicht. (Blättert im Klavierauszug.) Und wo steht das?
Hartmann (seufzt.):
Was?
Liedtke:
Na das mit dem Menorah-Dingsbums… — Nein, das mit der Unterdrückung, meine ich.
Hartmann:
Na, im Text.
Liedtke:
Aha. Naja, das werde ich ja dann lesen. Bis jetzt kenne ich nur die Bibelvariante. (Zuckt die Achseln.) Hauptsache, der Meyer hat mein Konzept angenommen. Ob er mir böse sein wird, wenn ich das Konzept ändere? (Kaut am Kugelschreiber.) Aber Kerzen gehen schon, oder? Wenn der Abimoloch…
Hartmann:
Abimélech…
Liedtke:
Na schön, Abimélech… Ist doch egal, wie der heißt! (Enthusiastisch.) Also: Nachdem der Samson den Abimélech erstochen hat, stellen alle gemeinsam zum Zeichen der Trauer Kerzen auf. Das sieht man im Fernsehen auch immer! Und… Ich habe gehört, der Sellars will das auch machen in Salzburg, bei der »Così fan tutte«…
Hartmann:
… »La clemenza di Tito«. Der Hinterhäuser hätte ja wollen, daß ich das mach’, nach meiner tollen Wiener »Lady Macbeth von Mzensk«. Aber ich find’ die Felsenreitschule irgendwie öd, so als »Location«. Da ist man als Regisseur immer so eingeengt mit dem Bühnenbild…
Liedtke (träumerisch):
Alle trauern gemeinsam: die Juden und die Philister… Das kann die heutigen Zuseher sehr interessieren! Außerdem wird man so zum Trendsetter!
Hartmann:
Hast Du Dir schon überlegt, wie Du die beiden Ballette gestalten willst?
Liedtke:
Ballette gibt’s da auch? (Zieht zweifelnd die Nase kraus.) Ui! Davon habe ich aber gar keine Ahnung. — Weißt was? Ich streiche die Ballette! Oder sind die wichtig in dieser Oper? Dann lasse ich den Meyer die Kibbutz Contemporary Dance Company dafür engagieren.
Hartmann (läßt die Zeitung sinken):
Du kannst doch nicht die Tänze der Philister von einer jüdischen Kompanie tanzen lassen!
Liedtke:
Nicht? Das ist aber blöd. — Kann ich die Ballette vielleicht de… dele… abgeben?
Hartmann:
Sicher! Der Meyer soll Dir einen Tanzneger geben, der macht das schon.
Liedtke:
Einen »Tanzneger«?
Hartmann:
Na, einen Choreographen halt. Dem sagst, er soll da seine Leut’ sich ein bisserl deppert bewegen lassen, und gut ist’s. So à la modernes Tanztheater…
Liedtke:
Ah… ja. (Blättert ratlos im CD-Begleitheft.) Gibt’s in der Oper eigentlich auch eine Liebesszene?
Hartmann:
Nicht wirklich. Ich mein’, irgendwie muß die Dalila…
Liedtke:
Delilah!
Hartmann (blickt sie über die Zeitung hinweg an):
Dalila. »Delilah« ist ein Lied von Tom Jones.
Liedtke (konsterniert):
Delilah, Dalila … mein Gott, ist Du heute wieder pingelig! Hauptsache, eine Liebesszene! (Triumphierend.) Und die werde ich im Badezimmer spielen lassen! Mit gefüllter Badewanne!
Hartmann:
Was? Samson und Dalila ist eine 3000 Jahre alte, biblische Geschichte, die in Gaza spielt!
Liedtke (trotzig):
Bei mir nicht! Dieses biblische Zeugs reizt mich gar nicht. In meiner Inszenierung wird es auch keine Säulen geben! Maximal Feuersäulen am Schluß. Ich will eine schließlich grundsätzliche Geschichte im heutigen Ambiente erzählen. Außerdem: Badewannen hatte noch niemand. Das ist modern! Das kommt beim Feuilleton sicher hervorragend an! Und wenn die Delilah…
Hartmann (nachsichtig):
Dalila…
Liedtke:
Ja, eh. Also, wenn die Delilah den Samson herumgekriegt hat, dann geht die Badewanne über und setzt die Bühne unter Wasser…
Hartmann (belustigt):
Und dann nimmt die Dalila den Brausekopf ab und ruft den Inspizienten an und sagt ihm, daß es einen Wasserschaden auf der Bühne gibt…
Liedtke (beleidigt):
Du nimmst mich nicht ernst! Nein, ich werde das als das Urteil Gottes interpretieren lassen. In dieser Gegend ist es ohnehin immer so trocken…
Hartmann (mit leuchtenden Augen):
Tolle Idee! … Es geht ja um Macht, um Machterhalt…
Liedtke (eifrig):
Quatsch! Es geht um Verantwortung und Liebe — zwischen der frigiden Philisterin und Samson, diesem triebgesteuerten Trottel von einem Held! Der Rest ist mir schnuppe. (Unterbricht sich.) Ich habe eine bessere Idee: Nachdem Dalila Samson sein Geheimnis entlockt hat, lass’ ich es aus der Decke regnen…
Hartmann (kichernd):
Hi, hi, der Samson als begossener Pudel… Genial!
Liedtke:
Dann haben wir Gott in Gestalt von Feuer und Wasser auf der Bühne — wie in der »Zauberflöte«!
Hartmann:
Das nenn’ ich klassisch! (Grinsend.) Ob das Feuilleton das mitbekommt?
Liedtke:
Mir doch egal. Aber wenn, dann krieg’ ich tolle Kritiken. (Trinkt ihren Kaffee aus.) Weißt: Wenn sich die Unterdrückten befreien und an die Macht kommen, dann vernichten sie mehr oder weniger die ehemaligen Machthaber!
Hartmann (hinter seiner Zeitung verschwindend):
Du bist genial!
(Vorhang.)
 

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