Giacomo Puccini: »Tosca«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
In alten Zeiten hätten die Wiener Opernfreunde Ludovic Tézier wohl als verläßliche Hausbesetzung für den Barone Scarpia bezeichnet. Seine tragfähige Stimme gelobt; sein Vermögen, zumeist auf Linie zu singen und auch in den großen Ausbrüchen auf der Galerie gehört — und verstanden! — zu werden, ebenso anerkannt wie die Tatsache, den römischen Polizei-Chef in Stimme (und Spiel) vorzustellen.
In unseren Zeiten zählt Tézier zu den weltweit als führend gehandelten Rollenvertretern, mit angeheftetem »Star«-Emblem. Nur wenige nahmen wohl Anstoß an so manchem falsetto angesteuerten hohen Ton, an mancher Unterbrechung des musikalischen Flusses. Denn der Wiener Rollen-Debutant und Einspringer (Barone Scarpias sind viel gesucht in den letzten Wochen) bot die beste sängerische Leistung der Hauptpartien.
III.
In alten Zeiten hätten die Wiener Opernfreunde zustimmend genickt bei Clemens Unterreiners gesanglichem Tun als Cesare Angelotti, bei Wolfgang Bankls das Haus füllendem Sagrestano. In unseren Zeiten merkt kaum jemand die Qualität an im Vergleich zum schwer vernehmbaren Spoletta des Robert Bartneck. Der Unterschied zwischen der »Alten Garde« und den »Neuen Jungen«: Er könnte augenfälliger nicht sein.
IV.
In alten Zeiten hätte ein kenntnisreiches Wiener Publikum Fabio Sartori in der Partie des Mario Cavaradossi als Einspringer für einen großen Kollegen dankbar akzeptiert. Über seine »Sprungbretter« beim Erklimmen tenoraler Höhen hinweggelächelt: Es wäre ja nur für einen Abend gewesen. Daß Sartori, im Gegensatz zu anderen, gefeierten Kollegen, »nach der italienischen Manier« agiert, ihm bruchlose Übergänge zu den Spitzentönen gelingen; er sich mit kräftiger Stimme Gehör zu verschaffen, im ewigen Wettkampf der Wälse-Rufe der italienischen Oper eindrucksvolle Figur zu machen weiß: Man hätte es als selbstverständlich erachtet.
In unseren Zeiten gilt Sartori als einer der ersten seiner Zunft. Darf »Recondita armonia« ohne allzu große musikalische Gestaltung erklingen; sich »La vita mia costasse« stimmprotzend ausgestellt präsentieren. Mag Sartoris Tenor erst im dritten Akt jenen gepreßten Eindruck oberhalb des passaggio verlieren, der Sänger jene offene Stimme hören lassen, welche doch für die Textverständlichkeit unabdingbar ist.
V.
In alten Zeiten hätten Sänger, auch wenn sie in einer Inszenierung noch nie miteinander auf der Bühne gestanden wären, nach den Eintragungen von Librettist und Komponist in den Klavierauszügen agiert. Sich zusammengerauft. In unseren Zeiten autorieller Vorherrschaft der Spielvögte finden der Maler und seine Floria Tosca offensichtlich auch in einer traditionellen Inszenierung nicht mehr zueinander. Als sei es so unerwartet, was in der Partitur beschrieben steht, auf einer Bühne wiederzufinden. So geraten, des fehlenden Spiels mit der Stimme wegen, die großen Liebesduette im ersten und dritten Akt zum Paarlauf. Konzert in Kostümen. (Es ist nicht die Inszenierung. Es sind die fehlenden Proben.)
VI.
In alten Zeiten hätten Verantwortliche eines großen Hauses Carmen Giannattasio, nehme ich ihre gestrige gesangliche Leistung zum Maßstab, schwerlich als Floria Tosca engagiert (zumal für die Saisoneröffnung). Die Wissenden hätten binnen kurzer Frist das Ungleichgewicht in Giannattasios Stimme erkannt: die fehlende Verbindung von Bruststimme und Mittellage; die daraus resultierende schrille, unfokussierte Höhe; die geringe Textverständlichkeit; die häufigen Vokalverfärbungen. An Vergleichen geschulte Ohren von Opernliebhabern wäre die offensichtlich seit Jahren betriebene Überforderung aufgefallen, unmittelbar zu hören im viel zu großen, langsamen Vibrato gehaltener Töne.
In unseren Zeiten notiert eines, daß diese Tosca (nicht nur, aber da wurd’s offensichtlich) im Palazzo Farnese damit kämpft, sich wie eine stattbekannte, gefeierte Künstlerin zu bewegen, ihre Abendrobe mit der großen Schleppe zu präsentieren. In alten Zeiten wäre keine ernsthafte Rollenvertreterin über die Bühne gelaufen, um die Kerzen zu beiden Seiten von Scarpias Kopf zu plazieren. Geeilt — das ja; doch immer mit der Dignität einer Dame der Gesellschaft.
Daß diese Tosca auch beim zweiten Besuch in Sant’Andrea Della Valle ihren Schleier trägt, nimmt für sie ein. Entschädigt jedoch nicht für eine immer wieder brechende Gesangslinie, kaum praktiziertes legato. In unseren Zeiten wird solches Tun akklamiert. In alten Zeiten ...
VII.
In alten Zeiten hätte so mancher Stehplatzbesucher wohl Einspruch erhoben in bezug auf die musikalische Leitung des Abends. In unseren Zeiten scheint Axel Kobers langsame, oberflächliche und mitunter spannungsarme Wiedergabe der Partitur kaum jemand zu stören. Kleineren Höhepunkten nachzuspüren, Akzente durch tempi rubati zu setzen: Es ist Kobers Sache nicht. Wenn im Te Deum des ersten Aktes der Chor der Wiener Staatsoper und der Sänger des Barone Scarpia auseinander sind: In wessen Verantwortungsbereich fällt solches? Licht und Schatten auch im Orchestergraben: Auf eine gefühllose, geschrubbte Cello-Einleitung zu »E lucevan le stelle« folgte ein weich geblasenes, singendes Klarinetten-Solo.
VIII.
Eine, nehmt nur alles in allem, durchschnittliche Aufführung.
Neue Zeiten?