»Pagliacci«: Der Einzug der Komödianten. Aldo di Toro (Canio) und das Ensemble am Thespiskarren in der Sichtweise von Lorenzo Fioroni © Oper Graz/Werner Kmetitsch

»Pagliacci«: Der Einzug der Komödianten. Aldo di Toro (Canio) und das Ensemble am Thespiskarren in der Sichtweise von Lorenzo Fioroni

© Oper Graz/Werner Kmetitsch

Ruggero Leoncavallo: »Pagliacci«

Oper Graz

Von Thomas Prochazka

Auf Cavalleria rusticana folgt Pagliacci. Lorenzo Fioroni schließt dort an, wo er vor der Pause aufhörte: Allerdings zeigt er nun nicht einmal mehr das Kollektiv: Der Chor wird in Rang-Logen und das Parkett verbannt. Und jene Szenen, welche sich dem Konzept des Spielvogts widersetzen, werden als Videos eingespielt.
Eine szenische Bankrotterklärung.

II.
Diesmal hebt sich der Vorhang erst knapp vor Tonios Prolog. Was wir vorgestellt bekommen, ist — Alfio. Mit blutbefleckten Händen und dem Messer in der Hand, als wäre er eben erst vom Duell mit Turridu zurückgekehrt. (Welch ein genialer Einfall, die beiden Opern miteinander zu verschränken!)

Der Bühnenraum wird wiederum von dem Holzlattenzaun umgrenzt. Allerdings gibt es links und rechts je zwei Tore für Auf- und Abgänge. Der Boden ist bedeckt mit hellblauen Plastiksäcken und anderem Müll. Auf einem Sarg liegt Tonios Taddeo-Kostüm, davor stehen seine Stiefel.

Nein, Audun Iversen ist nicht zu beneiden: Während er den Prolog singt, muß er sich um­kleiden. Steht vor dem Publikum in Unterhose und Socken. (Man hat wenig Mitleid in Graz mit den Sängern.) Unter diesen Bedingungen gelingt Iversen der Prolog sehr gut: Die Stimme wird schlank geführt, spricht mühelos bis zum hohen ›f‹ an. Einer der (raren) Höhepunkte des Abends. Im weitern Verlauf wird sich dann Müdigkeit einstellen, Iversens Stimme nicht mehr so gut klingen. Jene technische Schwächen zeigen, welche alle Stimmen des Abends eint: man­gelndes legato und unsteter Stimmsitz.

»Pagliacci«: Martin Fournier (Beppo), Audun Iversen (Tonio), Aldo di Toro (Canio) und Aurelia Florian (Nedda) in ihrer Aufführung © Oper Graz/Werner Kmetitsch

»Pagliacci«: Martin Fournier (Beppo), Audun Iversen (Tonio), Aldo di Toro (Canio) und Aurelia Florian (Nedda) in ihrer Aufführung

© Oper Graz/Werner Kmetitsch

III.
Fioronis Konzept für Pagliacci: Wirklichkeit wird Spiel, Spiel wird Wirklichkeit. Der Einzug der Komödianten: ein Thespiskarren mit Wolken, Canio als Clown, der Gottvater-gleich alle segnet. Die anderen Komödianten sowie die Statisten treten als Figuren des barocken Totentanzes auf. Daß dies Leoncavallos Intentionen zuwiderläuft: Wen kümmert’s?

Dafür findet die Aufführung der Komödianten in (ärmlicher) Straßenkleidung statt. (Martin Fournier ist der sich in das Ensemble einfügende Beppo.) Auf der hochgefahrenen Unterbühne wird in einem Guckkastenausschnitt eine einfach möblierte Wohnung dargestellt, mit Kochzeile, Eßtisch und einem Kasten, in welchem sich Tonio/Taddeo versteckt. Auch Kinderspielzeug ist zu sehen. (Warum?) Der Rest der Bühne ist abgedeckt. Und weil sich alles zu ebener Erd’ begibt, sehen die auf der Galerie Sitzenden weder den Vogelkäfig auf den oberen Küchenkästchen noch den in Regenbogenfarben gehaltenen Staubwedel. Kleinigkeiten? Vielleicht. Doch verraten sie mehr über des Spielvogt Qualitäten, als diesem lieb sein kann. (»Opernwelt«-Nominierungen hin oder her.)

Nachdem Canio Nedda ans Bühnenportal gezerrt und dort erstochen hat, kommt Silvio von der Seite hereingerannt, um sich ebenfalls erstechen zu lassen. In diesem Punkt kennt selbst Fioroni kein Pardon: Hier muß der Partitur Genüge getan werden! Daß im selben Moment der Guck­kasten nach unten fährt... Daß die Bühne eingenebelt und in orangerotes Licht getaucht wird, darein ein umgeknickter Strommast sowie links und rechts angeordnete Wohnblöcke um die Aufmerksamkeit eines schon längst verstörten Publikums wetteifern, während Canio (gleich Lucky Luke) in die Apokalypse schlendert: Schlußpunkt einer handwerklich schlechten Arbeit.

»Pagliacci«: Audun Iversen (Tonio) und Aurelia Florian (Nedda) © Oper Graz/Werner Kmetitsch

»Pagliacci«: Audun Iversen (Tonio) und Aurelia Florian (Nedda)

© Oper Graz/Werner Kmetitsch

IV.
Davor versuchte sich Aurelia Florian als Nedda. Mit viel zu grober Stimme. Florian gebricht es an jener Leichtigkeit und Mühelosigkeit, welche eine gelungene Interpretation des Vogelliedes erst möglich machen. Die Stimme scheint zu schwer, zu unbeweglich. Auch läßt sie die heute so verbreitete Schwäche bei der Aktivierung der Bruststimme hören. Einzig im Duett mit Silvio (rollendeckend: Neven Crnić) kommt ein wenig Stimmung auf.

V.
Aldo Di Toro gibt nach dem Turridu auch den Canio. Gleich seinem berühmten Kollegen bei den Salzburger Osterfestspielen kommt Di Toro mit der Partie des Canio besser zurecht, weiß ihr mehr Zwischentöne abzugewinnen. »Recitar —Vesti la giubba« gelingt leidlich, doch mit gestemmten Höhen. (Dies war auch schon zuvor beim hohen ›g‹ in »a ventitre ore« zu hören gewesen.)

VI.
Oksana Lyniv und das Grazer Philharmonische Orchester sorgen auch in Pagliacci dafür, daß der Abend nicht vollends in die Belanglosigkeit abgleitet. Manchmal ein wenig zu laut und zu wenig flexibel, gelingt doch viel Schönes. Tun sich die Solisten im Orchester mit makellosen Soli hervor. Das Intermezzo bewegt, ebenso die Bemühungen um die Chorstellen. Die Entscheidung, den Chor nicht sichtbar auf der Bühne singen zu lassen, rächt sich allerdings: Ein um’s andere Mal mißlingen Einsätze, ist man nicht so zusammen, wie es wünschenswert wäre. 

VII.
Die Oper Graz verkauft sich unter ihrem Wert. Opfert die musikalisch mögliche Qualität einer Première am Altar des Regietheaters. Ein verlorener Abend.

Anmerkung des Herausgebers: In einer früheren Fassung stand zu lesen, Lorenzo Fioroni habe den Chor auf die Hinter- oder Seitenbühne verbannt. Diese Annahme war unrichtig und der Sitz­platz­position auf der Galerie geschuldet. Die entsprechenden Textstellen wurden nach Rückfrage bei der Oper Graz korrigiert.

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