Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker bei der Einspielung der 5. Symphonie von Anton Bruckner © Wiener Philharmoniker/Dieter Nagl

Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker bei der Einspielung der 5. Symphonie von Anton Bruckner

© Wiener Philharmoniker/Dieter Nagl

Christian Thielemann:
Bruckner mit den Wiener Philharmonikern (II)

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Angesichts dessen, wie Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker da am Sonntagvormittag im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins Anton Bruckners 5. Symphonie in Klang erstehen ließen, fällt es schwer, an den aktuellen Zeitenläuften nicht auch etwas Positives zu finden. Die (erzwungene) Reduktion der »Dienste« lenkt die Aufmerksamkeit auf die verbliebenen Projekte; — aus musikalischer Sicht ein Gewinn.

II.
Bruckners Symphonie Nr. 5 in B-Dur, WAB 105, zählt wie seine Erste nicht zu den meist­gespielten. 78 Aufführungen wurden bisher im philharmonischen Konzertarchiv festgehalten, zuletzt unter Christian Thielemann in Salzburg (Sommer 2103) und Herbert Blomstedt im Abonnement (Oktober 2013). Vielfach unter dem Namen »Pizzicato« bekannt, nannte Bruckner sein Werk öfter die »Phantastische«; — ohne allerdings diesen Namen offiziell zu vergeben. Drei der vier Sätze werden in dieser Streichspielart eröffnet. Überhaupt faszinieren Bruckners genaue Klangvorstellungen. »G Saite nach Möglichkeit« findet sich immer wieder für die Violinen. Andere Themen wollen, wiederkehrend, in ihrer Spielart variiert werden: »gezogen«, »kurz« und schließlich spiccato. (Trotzdem: Daniel Froschauer, Orchestervorstand und leidenschaftlicher Musiker, bleibt bei seinem Urteil: »Die Erste ist spieltechnisch viel schwieriger!«)

III.
Die »Phantastische« ist ein kapriziöses Werk: Sie widersetzt sich lange. Nimmt einen nicht sofort für sich ein wie die Erste oder die Siebente. Oder Zubin Mehtas Liebling, die Achte. Am leichtesten zugänglich, am kurzweiligsten scheint mir das in Sonatenhauptsatzform gehaltene Scherzo mit seinen unüblichen drei Themen. Und das lange, in einem über­wältigenden Choral endende Finale. Wer sich mit der »Phantastischen« vorsichtig vertraut machen will, mag damit beginnen.

Manche Ähnlichkeiten mit Beethovens 9. Symphonie sind nicht von der Hand zu weisen: der als »Fundament« dienende erste Satz, die Motivverknüpfungen des Adagio und des Scherzo, schließlich die Wiederverwendung des Eröffnungsthemas im Finale. Es zitiert in der Doppelfuge mit den zwei Expositionen auch thematisches Material aus den vorher­gegangenen Sätzen. (Daniel Froschauer erzählte, daß im philharmonischen Notenmaterial Striche bei der zweiten Exposition vermerkt sind, die uns heute absurd anmuten. Es waren eben andere Zeiten…)

IV.
Dem ursprünglichen Thema »Kathedralen« treu geblieben, präsentierte sich der Goldene Saal an diesem Sonntagvormittag wieder abgedunkelt und mit in orangem Licht erstrah­lenden Karyatiden. Wieder ward das Podium zum Zentrum für die Aufnahme der Firma UNITEL. Wieder verschwand die große Orgel im Dunkel; strahlten die Leuchter nur schwach. Konzentrierte sich alle Aufmerksamkeit auf das Werk.

V.
Thielemann macht aus der Not des leeren Saals eine Tugend. Nach dem eröffnenden pizzicato und dem im fortissimo aufrauschenden Bläserchoral verlängert er die Pause, kostet den Nachhall bis zur Neige aus. Kathedrale… Man fragt sich, wie da noch eine Steigerung zu erzielen wäre. Thielemann und die Wiener Philharmoniker, auf den ersten Holzbläserstellen durchwegs jung besetzt, fächern den Klang auf, legen letzte Verästelungen frei. Dennoch fällt nichts auseinander: Die Stimmen mischen sich wie von selbst; — ohne jene Kompaktheit, die beispielsweise Carl Schurichts Aufnahme aus dem Feber 1963 prägt.

Im Scherzo dann Anklänge an einen oberösterreichischen »G’strampft’n«, brucknerisch überhöht. Die letzten Takte mischen sich mit dem Mittagsläuten der nahen Karlskirche, als müßt’s so sein. Schließlich das Finale mit seinem großen Choral, dem Höhepunkt des Werkes: Das erklingt so akkurat gespielt, das rauscht so majestätisch auf im dreifachen forte: überwältigend.

VI.
Hier entsteht Schönes.

Nachzuhören bzw. -zusehen sind die Ergebnisse der letzten Aufnahmesitzungen nach letztem Stand zu folgenden Terminen:

  • 14. März 2021, 11:03 Uhr, Ö1: Symphonie Nr. 1 in c-moll
  • 21. März 2021, 20:15 Uhr, ORF III: Symphonie Nr. 3 in d-moll
  • 28. März 2021, 11:00 Uhr, fidelio: Symphonie Nr. 5 in B-Dur
  • 18. April 2021, 09:05 Uhr, ORF 2: Symphonie Nr. 5 in B-Dur

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