Giacomo Puccini: » Tosca «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Tosca also; die uralte, mit einfachen Mitteln das Auslangen findende Ausstattung des Nicola Benois mit längst schon veränderten Kostümen. Doch mit Schauplätzen, in welchen Sänger spielen können — so sie sich beim Rollenstudium mit dem zu singenden Text auch der anderen Partien auseinandersetzten, die Regie-Anweisungen in der Partitur nicht ausließen. Günstige Voraussetzungen also für die Aufrechterhaltung der Illusion, bei der Wiener Staatsoper handle es sich um ein Repertoire-Haus (was sie, streng genommen, längst nicht mehr ist).
III.
Im Graben nichts Neues: Pier Giorgio Morandi leitet eine orchestrales Repertoire-Niveau selten verlassende Wiedergabe: mit zuviel Druck gespielt das Cello-Solo, wie es seit Jahren à la mode zu sein scheint, manche Unsauberkeit im Zusammenspiel. Doch ebenso einschmeichelnd die hervortretende Klarinette, ehe im Maler Mario Cavaradossi die Erinnerung an eine Liebesnacht mit einer gewissen Floria Tosca aufsteigt, an der er uns unbedingt teilhaben lassen will. Der Staatsopernchor läßt sich im Te Deum
nicht lumpen, und fordert den Bariton zu einem Nachweis seiner Gesangstechnik.
IV.
Auffällig: Wann immer der Maler Cavaradossi einen gesanglichen Beitrag zu leisten hat, nimmt Maestro Morandi Tempo und (auch ein wenig die Lautstärke) zurück; — als habe Freddie de Tommaso um Rücksicht auf nicht mehr zu leugnende Stimmprobleme gebeten.
Längst klingt de Tommasos Tenor zu breit, präsentiert sich die Stimme als zu schwerfällig, um die Repertoire-Wahl des Verismo entschuldigend ins Feld führen zu können. Längst stehen ihm nicht mehr jene gesangstechnischen Mittel zur Verfügung, um Recondita armonia
mit jener Vielfalt an Farben und dynamischen Schattierungen auszustatten, welche dem Komponisten vorgeschwebt sein mögen. (Ein Blick in den Klavierauszug beseitigt aufkeimende Zweifel.) Anstelle dessen setzt de Tommaso auf Kraft, singt vieles tenuto, ehe er sich von einem Ton zum nächsten schwingt. Legato klingt anders. De Tommasos stimmliche Verfassung scheint ihm wenig Wahl zu lassen. Doch die länger gehaltenen (bzw. zu haltenden) Töne offenbaren jenes langsame Vibrato, das wir als Zeichen steter stimmlicher Überforderung kennen. (Wer’s nicht glaubt, kann es auf einem Werbe-Clip der Metropolitan Opera für die eben abgespielte Serie nachhören.)
V.
Wie Freddie de Tommaso und Alexey Markov stellte sich auch Lise Davidsen dem Wiener Publikum mit diesen beiden Vorstellungen als Floria Tosca vor. Sie hatte vor kurzem erst — an der Seite ihres Wiener Mario Cavaradossi — ihr internationales Rollen-Debut gegeben. Angesichts dieser Tatsachen verwunderte das lieblose bis nicht vorhandene Spiel der beiden miteinander. Hinzu kommt bei Frau Davidsen, daß sie sich die Partie der Floria Tosca (noch?) nicht zu eigen gemacht hat. Die Anforderungen scheinen zu groß, als das über das nackte Überleben auf der Bühne hinaus Raum für eine gesanglich und schauspielerisch überzeugende Gestaltung bliebe.
Allem Zuckerguß entkleidet, bleibt das Resumée einer weiteren » verbrannten Stimme «: bereits in diesem Stadium der Karriere schwer beschädigt durch Zuviel, zu viele Stilrichtungen und zu wenig Zeit für eine kontinuierliche Entwicklung dieser Spinto-Stimme. Keine Phrase — auch nicht in Toscas Gebet — hört sich musikalisch durchgearbeitet oder im Wissen um die erzielbare dramaturgische Wirkung gestaltet an. Ich hörte eine sich mit der italienischen Kantilene den ganzen Abend hindurch abmühende und damit vor der Zeit ermüdende Stimme. Die Vokale klingen oftmals » nachgeschoben «, im Ansatz unkomprimiert. Die Stimme präsentiert sich breit, die Textdeutlichkeit bleibt auf der Strecke. Wie bei Toscas Geliebten verrät langsames Vibrato bei länger zu haltenden Tönen die muskulären Verspannungen im Hals. (Dank des Informationseifers der Metropolitan Opera kann man sich auch in Frau Davidsens Fall davon überzeugen, daß bei diesen Tönen durch falsche muskuläre Spannung das Unterkiefer vibriert.)
Das Liebesduett im ersten Akt erwies sich als Paarlauf: ohne jene Spannung, ohne jene Dramaturgie, die einem verstohlenen Wiedersehen zweier Liebender innewohnt. Einmal sangen die beiden sogar frontal ins Rund; — und so hörte es sich denn auch an.
VI.
Mit Alexey Markov als Barone Scarpia gab auch der dritte Sänger einer Hauptpartie in dieser Serie sein Rollen-Debut am Haus. Doch anders als seine Kollegen sorgte der russische Bariton für die Höhepunkte des Abends. Seine Stimme präsentiert sich gut geführt, in den Spitzentönen hell, aber nicht schrill, und mit der erforderlichen Kraft: in meiner Erinnerung der beste römische Polizeichef seit langem. Alexey Markov singt auf Linie, Mundstellung und Haltung verraten Wissen um und Anwendung von gesangstechnischer Ökonomie. Die Stimme dieses Barone Scarpia trägt, o Wunder, auch im piano. So erreicht Herr Markov in Spiel und Gesang eine dramatische Intensität, die allen anderen verschlossen bleibt.
Conclusio: Es benötigt kein Gebrüll, sondern Können für die Herrschaft über eine Bühne; einen Abend. Wenn die Hand dieses Polizeichefs im zweiten Akt Zentimeter vor Toscas Haar Halt macht, er die Finger in letzter Bemeisterung zur Faust ballt, drückt diese Geste alles aus, was wir über sexuelle Begierde wissen müssen.
Und in diesem Können liegt der ganze Unterschied.