Außenansicht des Theaters an der Wien © Theater an der Wien/Peter M. Mayr

Außenansicht des Theaters an der Wien

© Theater an der Wien/Peter M. Mayr

Theater an der Wien:
Zur Spielzeit 2020/21

Theater an der Wien

Von Thomas Prochazka

Man lernt schnell an der Wienzeile: Wie im Haus am Ring ersetzte eine Spielplanpräsentation die Pressekonferenz. Hie wie da mit dem angenehmen Nebeneffekt, von Nachfragen der meist ohnehin viel zu zahmen Medienvertreter verschont zu bleiben.

II.
Also lud sich Roland Geyer, der Intendant des Theaters an der Wien, seinen Duzfreund Peter Jarolin, seines Zeichens Kulturjournalist beim »Kurier«, als Moderator. Erstaunlich, wie leichtfertig man in dieser Branche seine Glaubwürdigkeit auf‘s Spiel setzt… (Jarolin besprach zuletzt die TV-Übertragung des Fidelio (1806) im »Kurier«.)

III.
Professor Dr. Franz Patay, der Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien, verlor zu Beginn der Spielplanpräsentation in einem aufgezeichneten Interview mit Peter Jarolin ein paar Worte. Unter anderem sprach Patay von der »vielfach ausverkauften Première von Fidelio«, ohne freilich zu erläutern, wie man eine Vorstellung, eine Première »vielfach« ausverkaufen könne.

Peter Jarolin assistierte mit der Feststellung: »Die Auslastung ist weit über 90 %, trotz der Absagen«. Wie das mathematisch möglich ist — immerhin bleibt das Theater für mehr ein Drittel der Spielzeit 2019/20 geschlossen —, ließen die Herren offen. Von Pressevertretern, die sich nicht gemein machen, wäre da nachzufragen gewesen. Denn im Ende zählen die Einnahmen im Verhältnis zum maximal erzielbaren Ergebnis. Doch das scheidet den Impresario vom Intendanten.

IV.
Roland Geyer verkündete, daß es möglich gewesen sei, die Produktion von Sergei Prokofjews Der feurige Engel in die nächste Spielzeit zu verschieben. Die Première wird am 17. März 2021 stattfinden, Andrea Breth und Constantin Trinks am Pult des ORF Radio-Sym­pho­nie­orchester Wien sich die Verantwortung teilen. Aušrine Stundyte, kürzlich im Haus am Ring nicht mit zuviel Fortüne gesegnet, debutiert nun auch an der Wien, Bo Skovhus steht ihr zur Seite.

V.
Aus Roland Geyers witziger Idee, das Publikum zum Ende seiner Amtszeit drei Produktionen auswählen zu lassen, die es noch einmal sehen möchte, gingen Jean-Philippe Rameaus Platée, Georg Friedrich Händels Saul (Regie: Claus Guth), ab 16. April 2021, und, für des Intendanten letzte Spielzeit, Benjamin Brittens Peter Grimes (Regie: Christof Loy) hervor. Auch dies eine Neuerung hüben wie drüben: Wo man früher eifrig bestrebt war, nichts über die kommenden Spielzeiten zu verraten, wirft man jetzt mit den Plänen um sich, als müsse man sich für eine nicht vollständig gelungene bevorstehende Saison entschuldigen. (Vielleicht ist das ja so.)

Robert Carsen wird jedenfalls die Wiedereinstudierung von Platée am 14. De­zember 2020 leiten, Marcel Beekman wieder in der Titelpartie zu erleben sein. William Christie und sein Ensemble Les Arts Florissants werden im Graben wirken.

Das Schlimmste für mich am Musiktheater sind dumme Regieideen.

Alfred Dorfer

VI.
Mit der Verpflichtung Alfred Dorfers für die Regie von Mozarts Le nozze di Figaro gelang Roland Geyer ein coup de théâtre. Stefan Gottfried und der Concentus Musicus sind für die instrumentale Seite und den musikalischen Zusammenhalt des Abends verantwortlich. »Das Schlimmste für mich am Musiktheater sind dumme Regieideen«, antwortete Dorfer denn auch auf eine diesbezügliche Frage Peter Jarolins. Erzählte, daß er sich, des Klavierspiels mächtig, bereits seit einem Jahr mit dem Klavierauszug beschäftige.

Es steht zu fürchten, daß die szenische »Normalität« der Dorferschen Herangehensweise an Le nozze di Figaro einige enttäuschen wird. (Denn jeder erwartet sich ein Fest.) Geyer ergänzte, man habe »hier eine ganz außergewöhnliche Besetzung — Singschauspieler —«, angeführt von Florian Boesch in der Partie des Conte di Almaviva und Robert Gleadow als Figaro engagiert. Boesch wird übrigens in der nächsten Saison artist in residence im Theater an der Wien sein.

VII.
»Singschauspieler«: das Zauberwort unserer Tage. Und — hinter vorgehaltener Hand freilich — unter Sängern die Bezeichnung für Kollegen, welche ihren Partien gesanglich nicht gewachsen sind.

Roland Geyer sprach vor allem von den »Top-Regisseuren«, die an der Wien arbeiten werden, nannte Andrea Breth, Robert Carsen, Christof Loy und Claus Guth. Die Sänger und ausführenden Musiker scheinen ihn nicht sehr zu interessieren. Da erwähnte er nur William Christie, René Jacobs, Constantin Trinks und — neben Florian Boesch — Nicole Chevalier (welche zuletzt in der TV-Aufzeichnung des Fidelio (1806) die Partie der Leonore sang und von manchen Kritikern nicht eben mit Lob überschüttet wurde). Und Günther Groissböck selbstverständlich, den aktuell »Unbequemen«, der in der Kammeroper, aber nicht mit dem Jungen Ensemble des Theaters an der Wien, ab dem 26. Mai 2021 als Regisseur und König Marke das Tristan Experiment verwirklichen will.

Der Hausherr pries die »internationalen Top-Singschauspielerinnen und -schauspieler« an, denn im »Musiktheater« gehe es »nicht nur um phantastische Sänger, sondern klarerweise auch um‘s Schauspielern, um‘s Darstellen«. Die  Änderung des Namenszusatzes von »Das Opernhaus« in »Das Musiktheaterhaus« steht offenbar unmittelbar bevor.

Oper ist nicht elitär. […] Alles, was Sie tun müssen, ist, Ihre Augen schließen und zuhören.

Chris Addison

VIII.
Denn in der Kunstform Oper geht es zu allererst um die Musik. Um das Erzählen des vom Librettisten und Komponisten erdachten und ausgeführten Werkes durch das Orchester und mit den Stimmen der Sänger. Die Szene ist die Beigabe; nicht die Hauptsache. Aber die meisten im Publikum sehen besser, als sie (zu)hören können. Und so setzt man an der Wien konsequent den Weg des »Regie-Theaters« fort, während die Besetzungen und demgemäß die Gesangsleistungen zumeist unspektakulär bleiben.

IX.
»Oper ist nicht elitär. Oper ist ein Schuß Espresso reiner Menschlichkeit. Sie ist für jeden da. Alles, was Sie tun müssen, ist, Ihre Augen schließen und zuhören«1, zitiert Sabine Seisenbacher, die Pressesprecherin des Hauses, Chris Addison.

Nicht auszudenken, wenn dies auch dem Hausherr bekannt würde.

(Anmerkung: In einer früheren Fassung stand zu lesen, daß Günther Groissböck das Tristan Experiment mit dem Jungen Ensemble des Theaters an der Wien aufführen wird. Dies ist unrichtig. Das Tristan Experiment ist jene Produktion in der Kammeroper, die nicht vom Jungen Ensemble bestritten wird. An Groissböcks Seite sollen Norbert Ernst, Kristiane Kaiser, Juliette Mars und Kristjan Jóhannesson singen, Hartmut Keil wird das Wiener KammerOrchester leiten. Bitte um Entschuldigung für das Versehen.)

  1. »Opera isn’t elitist. […] It’s an espresso shot of pure humanity, opera. It’s there for everybody. All you have to do is close your eyes and listen.« Chris Addison in »Opera isn’t elitist. If I can learn to love it so can anybody«. »The Guardian«, 21. März 2018

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