»<em>Offen</em>« — eine Installation des Österreichers Alexander Kada. »<em>Offen</em>«, eine temporäre Lichtinstallation auf der Fassade der Wiener Staatsoper, war ursprünglich als visuelles Zeichen zum Beginn der neuen Saison gedacht. Eine Einladung an die Stadt; eine Einladung an alle. Durch <abbr>COVID-19</abbr> wuchs ihm eine neue und grundlegende Bedeutung zu: Im Haus am Ring werden seit 19. Mai 2021 wieder Oper und Ballett gespielt. © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Offen« — eine Installation des Österreichers Alexander Kada. »Offen«, eine temporäre Lichtinstallation auf der Fassade der Wiener Staatsoper, war ursprünglich als visuelles Zeichen zum Beginn der neuen Saison gedacht. Eine Einladung an die Stadt; eine Einladung an alle. Durch COVID-19 wuchs ihm eine neue und grundlegende Bedeutung zu: Im Haus am Ring werden seit 19. Mai 2021 wieder Oper und Ballett gespielt.

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Die bittere Wahrheit

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Erinnern Sie sich noch an die Ankündigung des »Offiziellen Freundeskreises der Wiener Staatsoper« zu Beginn der Direktionszeit von Bogdan Roščić? Und daran, daß der über zwei Jahrzehnte als private Kulturinitiative geführte Ballettclub plötzlich unter den Fittichen des Wiener Staatsballetts verschwand?

Haben Sie in den vergangenen Monaten, in den vergangenen Wochen irgendetwas von diesen Institutionen gehört oder gelesen? Deren Aufgabe es doch wäre, dem Institut über die Direktion hinaus mediale Öffentlichkeit zu sichern?
Stattdessen: die Stille eines Kirchhofs.

II.
Dabei gäbe es für beide Unterstützungsgruppen jede Menge zu tun.

Denn die bittere Wahrheit lautet: Die Wiener Staatsoper scheint derzeit außerstande, außerhalb des Abonnements Abend für Abend die erlaubten 940 Karten — anstelle der in Pre-COVID-19-Zeiten verfügbaren 1709 Sitz- und der 567 Stehplätze — zu verkaufen. Auch, wenn Alexander Kadas gelungene Installation die Botschaft der Wiedereröffnung des Hauses in die Stadt sendet. (Diese temporäre Installation in eine permanente zu verwandeln: Es erschien mir das Schlechteste nicht.)

Gewiß, es gibt ein paar Ausnahmen: Die Publikums-Première von Gounods Faust war »aus­verkauft«, ebenso die beiden, nach den heutigen Maßstäben der Opernwelt erstklassig besetzten Tosca-Vorstellungen. Und, selbstverständlich, die Vorstellungsserie von Verdis Macbeth, mit einem Alter von fünf Jahren quasi neu und aus Zürich frisch importiert, mit Anna Netrebko bei ihrem Wiener Rollen-Debut. Doch sonst?

III.
Also gab die Wiener Staatsoper bekannt, daß sie für ein nicht näher bezeichnetes, doch limitiertes Online-Kartenkontingent der drei teuersten Kategorien für die Vorstellungen von L’incoronazione di Poppea, A Suite of Dances, Carmen und Die Entführung aus dem Serail eine Ermäßigung von 30 % bietet. Für die Ballettvorstellungen von A Suite of Dances wurde das Angebot mittlerweile auf alle Preiskategorien ausgedehnt. Und wen interessiert, wie schlecht es um den Verkauf dieser Vorstellungen wirklich bestellt ist, findet die Antwort in einer Aussendung der Ballettdirektion an alle Mitarbeiter der Bundestheater: Man bietet Karten zum Preis von 15 EUR an.

IV.
Und das in einer Stadt, die über Jahrhunderte für ihre Theater- und Musikleidenschaft berühmt war? Was ist da passiert? — Und nein, die Notwendigkeit eines negativen Antigen-Tests, einer erfolgten COVID-19-Impfung oder eines Genesungsnachweises erklärt die Situation ebensowenig zufriedenstellend wie die Beginnzeit um 18:30 Uhr. Wer die Genußsucht der Ostösterreicher kennt, weiß, daß sie sich nicht davon abhalten lassen: »Gibt’s in Wien a Hetz’, a Draherei, da bin i dabei…« Siehe Macbeth.

V.
Sieht das Verhalten des Publikums nicht eher danach aus, als wolle sich der Großteil nicht für den von der neuen Staatsoperndirektion eingeschlagenen Weg erwärmen?

Sollten in Wien im Ende die Sänger und Dirigenten in der Oper für wichtiger erachtet werden als von einem selbst schon in die Jahre gekommenen Feuilleton hochgeschriebene Regisseure? Geht es bei Carmen doch um Bizets und bei der Entführung aus dem Serail um Mozarts Musik? Und nicht um die sich Autorenschaft anmaßenden Interpretationen und Bearbeitungen von Calixto Bieito und Hans Neuenfels? Erwarten die Wiener Opernfreunde bei Kartenpreisen bis über 200 EUR im Repertoire gar (zumindest nach heutigem Verständnis) erstklassige Besetzungen; — die ihnen diese Direktion nicht zu bieten gesonnen scheint?

VI.
Nochmals: Was ist da passiert? Sollte im Ende jene inhomogene Masse, die wir Publikum nennen, die Chuzpe besitzen, mit den Geldbeuteln über die ihr angebotenen Produktionen abzustimmen?
Es wäre, auch andernorts, die bittere Wahrheit für einige Intendanten. Und so manchen, freien Eintritt beanspruchenden Kritiker.

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