Deckengemälde von Marc Chagall im Pariser Palais Garnier (Ausschnitt) © Thomas Prochazka

Deckengemälde von Marc Chagall im Pariser Palais Garnier (Ausschnitt)

© Thomas Prochazka

Direktor Roščić allein zu Haus?

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Anderntags erschien im Kurier ein Interview mit Philippe Jordan. In diesem nahm der Musikdirektor der Wiener Staatsoper in bemerkenswerter Offenheit zu einigen Fehlentwicklungen in der Oper im allgemeinen und speziellen Stellung, doch schwieg er bedeutungsvoll von noch viel mehr. Allen relativierenden Wortgirlanden zum Trotz fällt jede von (innerer) Kündigung abstehende Interpretation schwer.

II.
Kurz gefaßt, kritisierte Jordan die oftmalige ästhetische Zumutung für das Publikum und sechs Wochen handwerklichen Dilettantismus für die Mitwirkenden. Der Musikdirektor der Wiener Staatsoper wollte allerdings festgehalten wissen, daß er seinen Vertrag bis 2025 zu erfüllen gedenke und er sich auf die Begegnung mit Cyril Teste als Regisseur der kommenden Salome-Produktion freue. Gleichzeitig räumte er ein, daß er quasi einspringe, da man für diese Produktion trotz größter Bemühungen[,] leider keinen entsprechenden Dirigenten gefunden habe. Dies läßt vermuten, daß sich alle Angefragten vor einer möglichen Zusage über Testes Sichtweise auf Fidelio an der Pariser Opéra comique informierten: Manchmal beunruhigen eben auch Möglichkeiten.

In dasselbe Bild fügen sich Informationen aus dem Haus, wonach Direktor Roščić Lorenzo Viotti zur Übernahme der von der Presse gemeinhin abgelehnten Produktion des Mahler-Projekts Von der Liebe Tod überreden mußte.

III.
Pikant an Philippe Jordans Äußerungen sind Ort und Zeitpunkt, denn der Kurier galt in der Nachfolge der Presse zu Dominique Meyers Amtszeit als jenes Medium, dem zufolge die Direktion alles richtig machte. Interpretiert man des Direktors Reaktion gegenüber der APA, hatte er von den Aussagen seines Musikdirektors vorab keine Kenntnis. Denn letztere zeugen — bar aller Draperien — von kaum verhohlenem Widerspruch betreffend die szenische Ausrichtung des Hauses, fordern nicht mehr und nicht weniger öffentlich die Abkehr von der absoluten Vorherrschaft der Regisseure, zentrale Mission dieser Direktion.

IV.
Direktor Roščić replizierte via APA-Aussendung, daß es ihm aus anderen Gründen nicht möglich gewesen sei, Philippe Jordans Vertrag über 2025 hinaus zu verlängern. Und daß er deshalb Maestro Jordans Aussagen in dessen und in des Institutes Interessen nicht weiter kommentieren wolle.

Angesichts dieser Entwicklungen und der emotionalen Erfordernis an jede künstlerische Tätigkeit scheint die Annahme naiv, der Musikdirektor der Wiener Staatsoper werde noch drei lange Saisonen ohne innere Anteilnahme Neuproduktionen betreuen oder Repertoire-Abende leiten. Der Desillusionierung und der bereits erfolgten inneren Emigration des von vielen als gescheit, intelligent und arbeitsam beschriebenen Maestro wird wohl in allernächster Zeit dessen Demission folgen.

V.
An der Staatsoper scheint der Haussegen ziemlich schief zu hängen. Menschliche Größe und persönliche Wertschätzung selbst bei unterschiedlichen Ansichten lesen sich jedenfalls anders.

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