» Giulio Cesare in Egitto «, 2. Akt: Cecilia Bartoli (Cleopatra), Carlo Vistoli (Giulio Cesare) und das Ensemble beim » Captain’s Dinner « in Davide Livermores Inszenierung © OMC — Marco Borelli

» Giulio Cesare in Egitto «, 2. Akt: Cecilia Bartoli (Cleopatra), Carlo Vistoli (Giulio Cesare) und das Ensemble beim » Captain’s Dinner « in Davide Livermores Inszenierung

© OMC — Marco Borelli

Georg Friedrich Händel:
» Giulio Cesare in Egitto «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Ich fürchte, daß dieses Werk uns heute nichts mehr zu sagen hat. Die Gründe sind vielfältiger Art: Einer mag unsere Unkenntnis sein betreffend die Allegorien, Sitten und Gebräuche, zu Händels Zeit für die Mehrzahl der Besucher leicht zu identifizieren. Ein weiterer, daß danach der Reformer Gluck, Mozart und die Großen des 19. Jahrhunderts folgten, eine Abfolge von recitativo und Arie unsere Aufmerksamkeit nicht mehr zu fesseln vermag.

Ein dritter, daß uns die Stars aus Händels Tagen, die Kastraten, abhanden gekommen sind. So grausam uns die Praktiken, die zu deren Hervorbringung vonnöten waren, dünken: Zwischen dem Gesang dieser bewunderten Männer und dem zumeist kraftlosen Ton, den wir heute von den Falsettisten zu hören bekommen, liegen Welten.

II.
Die drei Aufführungen von Giulio Cesare in Egitto bilden das Hauptstück des Gastspiels der Opéra de Monte Carlo, in dessen Mittelpunkt wiederum Cecilia Bartoli, deren künstlerische Leiterin, steht. Alles steht und fällt mit ihr, und wer darin einen Widerspruch zu Bogdan Roščićs einstigem Diktum erkennt, wonach sich die Qualität eines Hauses nicht an den engagierten » Stars « bemißt, der verfiel den Lockungen der Logik, Widersprüche aufzuspüren. Wenn der » Star « dann erkrankt, muß er entweder die Vorstellung retten oder diese wird abgesagt; — mit freilich unerfreulichen Folgen für die eine oder andere Kassa. Also trat der Hausherr vor den Vorhang und verkündete, daß Cecilia Bartoli nach einer COVID-Infektion rekonvaleszent sei, aber dennoch auftreten werde. Damit sei zu Cecilia Bartoli als Cleopatra alles Wissensnotwendige gesagt.

III.
Davide Livermore ließ sich von Giò Forma einen Bühnenraum mit seitlichen Spiegelflächen und Versatzstücken bauen. Im Zusammenspiel mit den permanent im Hintergrund laufenden Video-Sequenzen von DWOK — man bekam die Pyramiden zu sehen, aufgepeitschtes Meer, ein gestrandetes Schiff, Angriffe fliegende Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg — wirkte der für das Spiel reservierte Raum weiter, großzügiger. Die Versatzstücke imaginieren auch Cleopatras Gemach und das Deck eines Nil-Kreuzfahrtsschiffes. Oder auch, nachdem Cornelia und Sesto von Cleopatras Bruder Tolomeo gefangengenommen wurden, zu ebener Erd’ einen Harem und im ersten Stock einen Kerker. Die durchaus geschmackvollen Kostüme von Marianna Fracasso und das Bühnenbild siedeln die Handlung in den 1920-er Jahren an. Da gab’s Ägypten auch noch, und ein paar Römer waren sicher auch zu Gast. Das muß genügen.

Der Regisseur inszenierte den Abend als Spektakel, mit allerlei netten Lichteffekten (dafür zuständig: Antonio Castro), raschen, vom Ensemble selbst durchgeführten Szenenwechseln und den heutzutage unvermeidlichen Video-Sequenzen. Hin und wieder zogen die Monumente des alten Ägypten, wie vom Nil aus gesehen, vorüber. Kurzum, es war immer etwas los, das Auge beschäftigt, das Ohr ruhiggestellt und die Existenz der bis zum Überdruß wiederkehrenden Koffer, aus dem im Regisseurs-Theater-Zeitalter Rachesuchende blutbefleckte Hemden, Tücher, Beile oder Pistolen hervorkramen, mit welchen sie dann bedeutungsvoll herumfuchteln, durchaus erträglich.

In Abänderung des Programmes wurde Pompeo von Achilla erschossen. Man sieht, die Römer waren schon zu Giulio Cesares Zeiten in der Wahl der Mittel sehr fortschrittlich und, keine Spur von Enthauptung, in der Tötungsart durchaus human. Leider hatte der kleine, immerzu Cassis schlürfende und seinen Schnurrbart zwirbelnde Belgier keine Zeit, diesen Tod auf dem Nil zu analysieren. Höchstwahrscheinlich war er gerade mit einem anderen verzwickten Fall in einem Eisenbahnwaggon beschäftigt.

» Giulio Cesare in Egitto «, 3. Akt: Max Emanuel Cenčič als Tolomeo, König von Ägypten und Cleopatras Bruder © OMC — Marco Borelli

» Giulio Cesare in Egitto «, 3. Akt: Max Emanuel Cenčič als Tolomeo, König von Ägypten und Cleopatras Bruder

© OMC — Marco Borelli

Dafür erfreute Cecilia Bartoli als Cleopatra Giulio Cesare mit einer Gesangseinlage. Auf diese antwortete der als Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff verkleidete, römische Feldherr mit einer Elvis Presley-Parodie. Einige Besucher waren sich gewiß, es habe sich — der lakonischen, auf Englisch eingestreuten Kommentare wegen — um eine Hommage an Falco gehandelt. (Andere widersprachen energisch: keine Sonnenbrille, kein Falco.) Das Trio an Violine (solistisch beeindruckend Thibault Noally), Baß und Klavier und die Club-Atmosphäre nahmen das Happy-End vorweg: I’m looking at you, Elsa!

Man soll nicht unbescheiden sein: Mehr kann man von der Aufführung einer Barockoper nicht verlangen.

IV.
Gianluca Capuana leitete Les Musiciens du Prince – Monaco und, in den wenigen Chorpassagen, den Chor des monegassischen Opernhauses. Man stimmt tiefer am Mittelmeer als diesseits der Alpen, was den beschäftigten Falsettisten und Sopranen gefällt; — den Trägern von Alt- und Baßstimmen nicht so sehr. Generell festigte sich den Abend über bei allen der Eindruck begrenzten stimmlichen Kalibers.

Peter Kálmán sang einen ordentlichen General Achilla. Die Blutrünstigkeit hatte in Livermores Spektakel zugunsten eines manchmal teddybärhaften Gebarens zurückzustehen. Doch umgeben von drei Falsettisten und zwei Sopranen ertappte ich mich auf der Sehnsucht nach tiefliegenden Noten, wenn schon nicht Phrasen. Sara Mingardo war als Cornelia die fast unlösbare Aufgabe anvertraut, sich den ganzen Abend hindurch von einer Schmerzensarie zur nächsten zu singen. Gegen derartiges, fortgesetztes Lamento hilft auch kein immerwährendes Bühnenspektakel. Für den Sesto des Kangmin Justin Kim und den Giulio Cesare des Carlo Vistoli gilt, daß mir ihre Stimmen immer ein wenig gequetscht und unfrei klangen, sie zu oft mit der Phrasierung auf Kriegsfuß befanden. Einzig der Tolomeo des Max Emanuel Cenčič erfreute mit legato und rundem Ton. Cenčič schien auch an den von Livermore erdachten Scherzchen seinen Spaß zu haben, etwa, wenn er sich beim Treffen mit Cesare an den gereichten Bananen bediente.

V.
Ich fürchte, daß dieses Werk uns heute nichts mehr zu sagen hat.

Die Epoche stimmlichen Prunks um des Prunkes willen ist, will mir scheinen, hinabgesunken in das Reich der ewigen Nacht. Stundenlange Konzentration auf Koloraturarien füllt keine Häuser mehr; — schon gar nicht ohne jene ersten Sänger, welche Händel zur Hand hatte. Gesellen sich dann auch noch der eine oder andere Bruch des musikalischen Flusses hinzu wie an diesem Abend, lauert die Langeweile unter dem Sperrsitz.
Doch welch ein Glück, daß es damals in Ägypten bereits Luftballons gab.

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