» Il trittico « — » Il tabarro «: Das Ufer der Seine zur Zeit Giacomo Puccinis in der Sichtweise von Etienne Pluss (Bühne) und Christof Loy (Regie) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

» Il trittico « — » Il tabarro «: Das Ufer der Seine zur Zeit Giacomo Puccinis in der Sichtweise von Etienne Pluss (Bühne) und Christof Loy (Regie)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Giacomo Puccini:
» Il trittico «

Salzburger Festspiele

Von Thomas Prochazka

Ein Abend der Mißverständnisse. Puccinis Triptychon als Personale für eine Sängerin. Musikalisch Unfertiges paart sich mit vokaler Ärmlichkeit; szenische Aktualisierungen führen entscheidende Momente ad absurdum.
Künstlerische, vor allem musikalische Höchstleistungen, für die die Salzburger Festspiele einst standen, sind nicht in Sicht.

II.
Christof Loy bürgt für — allerdings sich selbst schon überholt habendes — Regisseurstheater: ewig die gleichen leeren, grauen bis schmutzig-beigen Zimmeransichten, die krampfhafte Aktualisierung der Schauplätze auf Kosten der Libretti, die Beschäftigung zusätzlichen, für die Handlung irrelevanten Bühnenpersonals. Diesfalls, obschon zur Rehabilitierung Puccinis angetreten, unter Mißachtung der vom Komponisten und seinem Verleger festgelegten Reihenfolge mit dem Satyrspiel zu Beginn ... Als hätte das Theater der Antike nie existiert; als hätten die Griechen nicht gewußt, daß ein lächelnd entlassenes Publikum wahrscheinlicher wiederkehrt als ein betroffenes, trauriges.

III.
Gianni Schicchi zu Beginn: auf einer bis auf ein paar Stühle, einen Lehnstuhl, des verstorbenen Buoso Donati Bett und einem Eiskasten aus den 1980-er Jahren leeren Bühne. Eine seitliche Tür führt auf die unsichtbare Terrasse, im Hintergrunde eine weitere in angrenzende Zimmer. Ein Eiskasten im Schlafzimmer. Es ist kein Zweifel möglich: Wir befinden uns in einem Florentiner Haus des Jahres 1299.

Für die Suche der Familie nach des Verstorbenen Testament — er liegt indes im Bett, aufgebahrt, mit je einem Leuchter zu seinen Seiten — müssen erst Kisten auf die Bühne geschleppt werden, anstatt daß, wie in der Partitur vermerkt, die Familie hektisch die Kästen und Kommoden durchstöbert. Buoso Donatis Bett besitzt bei Loy und seinem Bühnenbildner Étienne Pluss keine Vorhänge (wie seinerzeit üblich). Doch wie wahrscheinlich ist es, daß der Notar einen so reichen Bürger der Stadt — immerhin nannte der Verblichene mehrere Häuser, Mühlen in Signa und einen Maulesel sein eigen — nicht vom Sehen kennt? Details, lästige Details …

Niemand scheint es anzufechten, daß in der Partitur von Gulden die Rede geht, obwohl diese in gezeigter Zeit schon lange nicht mehr Münze waren. Niemand scheint sich an der Tatsache zu stoßen, daß man im Stadtstaat Florenz im ausgehenden Mittelalter für Testamentsfälschung mit dem Verlust einer Hand und Verbannung bestraft wurde, die Einigung Italiens in der transformierten Zeit jedoch bereits ein Jahrhundert zurücklag. Es scheint weder den Intendanten noch den musikalischen Leiter des Abends zu interessieren. Doch solches Tun — und darin liegt das Problem der meisten Aktualisierungen auf unseren Opernbühnen — entfremdet das Publikum den Beweggründen, den Handelnden. Läßt uns als Beobachter zurück, wo wir Mitwirkende, weil emotional Berührte, sein wollen.

» Il trittico « — » Gianni Schicchi «: Alexey Neklyudov (Rinuccio), Manel Esteve Madrid (Betto di Signa), Caterina Piva (La Ciesca), Iurii Samoilov (Marco), Enkelejda Shkosa (Zita), Lavinia Bini (Nella) und Scott Wilde (Simone) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

» Il trittico « — » Gianni Schicchi «: Alexey Neklyudov (Rinuccio), Manel Esteve Madrid (Betto di Signa), Caterina Piva (La Ciesca), Iurii Samoilov (Marco), Enkelejda Shkosa (Zita), Lavinia Bini (Nella) und Scott Wilde (Simone)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

IV.
Puccini packte unglaublich viel musikalischen Witz in Gianni Schicchi. Gleich Verdi in seinem Falstaff folgen die Motive dicht aufeinander. Da gibt es beispielsweise eine Anspielung an Wagners Meistersinger von Nürnberg, wenn Zita das glücklich gefundene Testament eröffnet. Puccini setzt das Motiv der vorgetäuschten Seufzer vom Beginn immer wieder ein: erklärend ebenso wie karikierend. Und wo Verdi sein Wirken mit Tutto nel mondo è burla beschloß, nehmen Puccini und sein Librettist Giovacchino Forzano Anleihe bei Dante und seiner divina comedia, den Griechen und Mozart, wenn Gianni Schicchi am Ende aus seiner Rolle heraus- und vor das Publikum tritt.

Doch die musikalische Seite vermag von den Umständen nicht abzulocken: Keiner der aufgebotenen Sänger agiert auf festspielwürdigem Niveau. Asmik Grigorian ist eine stimmlich wenig mehr als durchschnittliche Lauretta, auch und selbst in der technisch nicht besonders anspruchsvollen Nummer O mio babbino, caro. Es wird dennoch Grigorians beste Leistung bleiben an diesem Abend. Alexey Neklyudov als Rinuccio fehlt es an vokaler Meisterschaft, uns Florenz als blühende Stadt, als Sehnsuchtsort, vorzustellen; seine Liebe zu Lauretta fühlbar zu machen. Eng klingt seine Stimme, niemals frei oberhalb des passaggio, mit unschönen Tönen zuhauf. Misha Kiria gefällt als Gianni Schicchi vor allem seiner Bühnenpräsenz wegen, trägt mit dieser das Stück. Er singt passabel, während die Stimmen der übrigen Familienmitglieder von den ersten Tönen an jede Menge Wünsche offenlassen.

Franz Welser-Möst dirigiert wieder mit großen Bewegungen, die Wiener Philharmoniker folgen willig. Das Ergebnis ist italianità, wie man sie sich nördlich der Alpen vorstellt: Es gibt durchaus schöne Momente, manch Delikates, manch groß Aufrauschendes. Doch alles in allem fehlt es der Wiedergabe an Agogik und Spielfreude.

V.
Für Il tabarro ließ sich Loy von seinem Bühnenbildner ein surreales Paris unserer Tage auf die Bühne stellen: mit einer Barke, mehreren Bogenlampen, einer aus einer Stahlkonstruktion gefertigten Treppe und dazwischen — quasi am Kai — Möbelstücken. Selbstredend wird es auf dieser Bühne niemals so dunkel, als daß Luigi für uns glaubhaft Michele mit Giorgetta verwechseln könnte, wenn das entzündete Streichholz als Erkennungszeichen aufflammt. Dafür gibt es zusätzliches Personal, das sich akrobatisch betätigt. Auf der Stahltreppe wird geturnt, Mimìs Hinscheiden wird pantomimisch dargestellt. Überflüssiges, weil nur vom zu verhandelnden Thema ablockend.

» Il trittico « — » Il tabarro «: Asmik Grigorian (Giorgetta) und Roman Burdenko (Michele) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

» Il trittico « — » Il tabarro «: Asmik Grigorian (Giorgetta) und Roman Burdenko (Michele)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Nichts ist es also mit dem Paris zur Zeit Puccinis. Nichts mit seinem Wunsch, die zentralen Aktionen gänzlich auf der Barke spielen zu lassen. (Einzig die Episoden sollten im Hintergrund, am Kai, stattfinden.) Nichts ist es mit dem wechselnden Licht der untergehenden Septembersonne am Ufer der Seine. Und selbstverständlich spielt der Fluß, La Signora Senna, nicht die ihm vom Komponisten zugedachte Hauptrolle.

Wie in Gianni Schicchi fasziniert jedoch Puccinis Genie, den Fluß mit seinem Wellenschlag zum alles grundierenden Thema zu machen. Hübsch das Eigenzitat aus La bohème ebenso wie jene bekannter Pariser Vorstadtlieder, musikalisch mitreißend Luigis Ansprache, die Duette zwischen den Liebenden ebenso wie das zwischen Michele und Giorgetta. Und immer wieder das Motiv der ans Ufer schlagenden Wellen …

VI.
Allerdings bleibt auch hier die instrumentale Wiedergabe zu steif, zu hölzern. Schlagen die Wellen zu akkurat an die imaginäre Kaimauer, die Schiffsrümpfe. Klingt einiges zu grob, manches zu laut.

Joshua Guerrero singt einen für das Repertoire eines kleineren Hauses anständigen Luigi, auch wenn ihm die Kunst des legato fernsteht. Asmik Grigorian spielt die Giorgetta. Ihre Stimme kündet schon bald von beängstigender stimmlicher Überforderung. Der Text ist kaum verständlich, die Stimme scharf, die Töne eng. (Bei der Uraufführung sangen übrigens Claudia Muzio die Giorgetta und Geraldine Farrar die Suor Angelica. Untrüglicher Hinweis, daß die Anforderungen an diese Partien zu unterschiedlich sind, als daß sie von einer Sängerin zufriedenstellend bewältigt werden könnten.)

Einzig der Michele des Roman Burdenko macht nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich gute Figur (nimmt man unsere Zeiten zum alles verklärenden Maßstab). Burdenko spielt einen ruhigen Patron, wissend um den Betrug seiner jungen Frau — auch gesanglich. Im großen Duett mit Giorgetta mehr besorgt und traurig denn wütend. Mit diesem Rollen-Portrait gelingt Burdenko die beste Gesangsleistung des Abends.

» Il trittico « — » Suor Angelica «: Karita Mattila (La Zia Principessa) und Asmik Grigorian (Suor Angelica) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

» Il trittico « — » Suor Angelica «: Karita Mattila (La Zia Principessa) und Asmik Grigorian (Suor Angelica)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

VII.
Für das Mittelstück des Triptychons, die in Salzburg ans Ende gestellte Suor Angelica, entwarf Pluss — wieder einmal — einen hohen, einfachen Raum grau-beiger Farbe mit drei herabhängenden Kugelleuchten, einer Tür links hinten, einfachen Holzstühlen und -tischen sowie, seitlich gegen den Vordergrund hin, einer Reihe von Topfpflanzen; Zeichen von Angelicas Verantwortung für den Garten des Konvents. Wiederum siedelt Loy die Szene (man spielt übrigens die definitive Fassung ohne die aria dei fiori) in der jüngeren Vergangenheit an; — und nicht zu Ende des 17. Jahrhunderts. Schwer vorstellbar daher, daß La Zia Principessa in einer prächtigen Kutsche vorfährt und die von Loy implizit zum Sprechzimmer gewandelte Bühne im schwarzen Hosenanzug betritt. Oder daß Suor Angelica sitzen bleibt, wenn das Familienoberhaupt den Raum betritt.

Warum Angelicas Mitschwestern ihr nach der Auseinandersetzung mit der Principessa den Koffer mit jenen Habseligkeiten bringen, mit welchen sie sieben Jahre zuvor in den Konvent eingezogen war, erklärt sich wohl nur aus Loys Idee, Grigorian Hemd und Höschen ihres verstorbenen Kindes an die Hand zu geben, während sie ihren Abschied von der Welt nimmt. Daß diese Suor Angelica unter ihrem Habit ein weißes Seidenunterkleid trägt, diesen gegen ein schwarzes Etui-Kleid und High Heels eintauscht und sich eine Zigarette anzündet, verwundert kaum noch an diesem an Merkwürdigkeiten nicht armen Abend. Kostüm-Design (laut Programmheft: Barbara Drosihn) war gestern. Daß Loys Suor Angelica sich einen Trank aus giftigen Kräutrern bereitet, obwohl sie zum Schneiden derselben eine Gartenschere verwendet, erklärt sich wohl ausschließlich aus dem nicht veränderbaren Text …

Puccini machte (nicht nur, aber vor allem) in Suor Angelica reichlich Gebrauch von den Kirchentonarten. Aeolisches findet sich, ebenso Dorisches. Dem Publikum kann’s gleichgültig sein; als Regisseur sollte solches allerdings Eingang in die szenische Umsetzung finden. Doch Christof Loy scheint an der Musik nicht interessiert, mag da Franz Welser-Möst die Wiener Philharmoniker noch so anzutreiben suchen: Wenn Angelicas Apotheose darin besteht, daß ein kleiner Bub auf die Bühne kommt und sie ihn knieend in die Arme schließt, ist selbst von im Vorfeld behaupteter Berührung keine Spur.

» Il trittico « — » Suor Angelica «: Asmik Grigorian (Suor Angelica) im Finale der Oper © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

» Il trittico « — » Suor Angelica «: Asmik Grigorian (Suor Angelica) im Finale der Oper

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

VIII.
Karita Mattila, einst lyrischer Sopran, wurde von Wissenden mit der Altpartie der Zia Principessa besetzt. Daß die Finnin trotz mancher Mühe besser verständlich singt als ihre jüngere Kollegin, verrät einiges über die Engagement-Politik an unseren Opernhäusern und bei Festspielen. Denn Grigorians Stimme präsentiert sich nicht erholt: Kaum einmal gelingen ihr Phrasen mit vollem, runden Ton, geraten die Querungen des passaggio zufriedenstellend. Senza mamma leidet unter unsteter Stimmführung und fehlendem legato. Da waren Grigorians Vorgängerinnen in dieser Partie von anderem stimmlichen Kaliber, Etikettierung einer auf Ankündigung und Verkauf ausgerichteten Strategie als » Welt-Star « hin oder her. Bezeichnend, wie ihr auch das abschließende hohe › g ‹ am Ende eines viel zu langen Abends mißlingt …

Die Badessa der Hanna Schwarz, 2018 sang sie die Gräfin in der Salzburger Pique Dame, weckt mehr Erinnerungen an frühere Zeiten denn Zustimmung für die vokale Gestaltung der Äbtissin. Wie’s heute schlechter Brauch, tragen auch die Stimmen der anderen Nonnen wenig zur erforderlichen gravitas bei: zu höhenlastig klingen die meisten, zu wenig Verankerung im tiefen Register ist zu hören. Die damit einhergehende Armut der gesanglichen Gestaltung fördert die behauptete notwendige Rehabilitierung Puccinis nicht.

IX.
Salzburg ist dann gut, wenn es den Anspruchsvollsten genügt, formulierte Oscar Fritz Schuh 1970 die Anforderungen an die Festspiele. Derzeit scheinen sie, nimmt man diese ganz wesentliche Produktion (© Markus Hinterhäuser) zum Maßstab, davon weiter entfernt als je zuvor.

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