»Pique Dame«, 2. Akt: Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

»Pique Dame«, 2. Akt: Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Piotr Iljitsch Tschaikowski:
»  Pique Dame «

Salzburger Festspiele

Von Thomas Prochazka

Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker sorgen für eine ausgezeichnete orchestrale Wiedergabe von Tschaikowskis Partitur. Hans Neuenfels’ Spielleitung verliert sich im Dschungel der »Regie-Theater«-Beliebigkeit, taugt nicht einmal mehr für Entrüstungsstürme. Das Publikum stimmt mit den Füßen ab und verläßt das Haus nach dem ersten Fallen des Vorhanges.
Große Premièren-Erfolge sehen anders au.

II.
Hans Neuenfels tat, was er in seinen Operninszenierungen immer schon getan hat: Er mißtraute der Musik. Siedelte die Produktion in einem Irgendwann — und Irgendwo — an.

Christian Schmidts Bühnenbild stellt eine in Art Deco-Manier gestaltete Halle vor, mit anthrazitfarbenen Quadraten an den Wänden und jeweils einer hohen Flügeltür links und rechts. Ein Bogen im Hintergrund wird, leuchtend, das Bild im Palais des Fürsten Jelezki andeuten. In der Szene in Lisas Schlafzimmer war der Hintergrund zuvor teilweise einem Sternenhimmel gewichen. Durch den Auslaß wird ein Bühnenaufbau mit -rahmen für das Schäferspiel auf die Bühne gefahren. Im vorletzten Bild werden die Quadrate leuchten, in anderer Szene alte Häuserfronten video­technisch zugespielt werden. Und im Spielsalon wird der Gräfin Gesicht auf die Quadrate projiziert.

Schmidt setzt mehrere Laufbänder ein, etwa um die fürstliche Tafel im Palais der Jelezkis oder den Spieltisch im ersten und letzten Akt bei offener Verwandlung auf die Bühne zu befördern. Oder die Chöre.

Einzig das Zusammentreffen zwischen der Gräfin und Hermann begibt sich in einem weiß gestalteten Raum, nicht unähnlich einem Krankenzimmer: mit ebensolchem Bett, weiß lackiertem Holzstuhl, und einem ebenfalls in weiß gehaltenen Paravent. Hans Neuenfels erklärt seine Wahl im Programmheft mit dem Umstand, daß dies der Höhepunkt der Oper sei, das »realistischte« Bild.

III.
Reinhard von der Thannen steckt die Chöre in uniformierte Kostüme. Die aufgenähten Brüste für die Gouvernanten der spielenden Kinder (sehr gut von Wolfgang Götz einstudiert: der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor), die Käfige und die Geschirre, um die aus jenen entlassenen »Kleinen« im Zaum zu halten, locken keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.

Brandon Jovanovich läuft als Hermann den ganzen Abend über in roter, mit Gold betreßter Uniform umher, die Jacke zumeist offen. — Neuenfels mißtraut nicht nur der Musik, er mißtraut auch den Konventionen.

Mit der Herrschaft der Zarin Katharina und den Erinnerungen der Gräfin an Madame Pompadour in Versailles sind Zeit und Ort der Handlung festgemacht. Und damit die Konventionen, gegen welche es zu verstoßen gilt. Sie aufzuheben beschädigt die Handlungen der Figuren, nimmt ihnen ihre Größe; — ohne Zugewinn. … Das ehemalige enfant terrible unter den Spielvogten ist müde geworden. Und kraftlos.

Lisas Freundinnen schütteln sich zum russischen Volkstanz in schwarzen Hosenanzügen und Kleidern im Stile der 1960-er Jahre. Nur Oksana Volkova als Polina trägt unter ihrem Umhang Shorts, weiße Bluse und schwarzes Jacket, als sei sie eben einem Playboy-Heft entstiegen… Volkova sieht besser aus, als sie singt. Im Laufe des Abends gehen ihrem Alt einige tiefe Töne verloren. Aber gesangstechnische Unzulänglichkeiten scheinen im Salzburger Besetzungsbüro ja schon seit längerem kein Grund für das Abstehen von Engagements zu bilden.
Die Hunde … bleiben jedenfalls, wo sie sind.

»Pique Dame«, 2. Akt: Brandon Jovanovich (Hermann) und Evgenia Muraveva (Lisa) © Salzburger Festspiele/Ruth Walz

»Pique Dame«, 2. Akt: Brandon Jovanovich (Hermann) und Evgenia Muraveva (Lisa)

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

IV.
Wenn die Darstellung der Zarin Katharina der Großen als Skelett im Reifrock und mit glitzerndem Kopfschmuck zu spontanem Widerspruch des Parketts reizen sollte; wenn die Polonaise und die Huldigung einer als ebenso morbid gezeigten Gesellschaft den Anwesenden einen Spiegel vorhalten sollte; — dann verpufften diese, des Spielvogt, Ideen.

In der Gräfin der Hanna Schwarz, angetan mit grünem Hängekleidchen, rosa Strümpfen und roter Perücke, unter der in ihrem Schlafzimmer eine Glatze zum Vorschein kommt, mag ein Teil des Publikums sein Spiegelbild erblicken. Aber selbst diese Provokation bleibt ohne Resonanz. Das Publikum ist ebenso müde geworden wie der Spielvogt…

Ausstattung und Szene: Sie tun nicht weh, führen jedoch wiederholte Male den gesungenen Text ad absurdum. Klassisches »Regie-Theater« also.

V.
Vladislav Sulimsky, angetan mit Zottelpelz über seinem Anzug, gibt einen überzeugenden Graf Tomski. Seine Erzählung »Odnazhdï v Versalye« enthüllt Hermann ja erst das Geheimnis der Gräfin, setzt die Reihe der Ereignisse in Gang.

»Pique Dame«, 2. Akt: Hanna Schwarz (Gräfin) und Brandon Jovanovich (Hermann) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

»Pique Dame«, 2. Akt: Hanna Schwarz (Gräfin) und Brandon Jovanovich (Hermann)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

VI.
Hanna Schwarz hinterläßt als Gräfin — neben Brandon Jovanovich — den stärksten Eindruck. Wie sie im Zustand zwischen Wachen und Schlafen mit tonloser Stimme »Je crains de lui parler la nuit« gestaltet, zuvor schon Lisa mit wenigen Worten zur Ordnung gerufen hat, gehört zu den Höhepunkten des Abends. Wie Schwarz Hermanns Drängen, ihm das Geheimnis der drei Karten zu verraten, in ein Liebesspiel wandelt, ehe sie entseelt auf ihrem Stuhl zusammensinkt: Das entwickelt sich in seiner Sinnlichkeit — leider! — zum eigentlichen Liebesduett des Abends.

VII.
Neuenfels zeichnet — im Unterschied zu vielen anderen Inszenierungen — Fürst Jelezki nicht als den Schuldigen. Es sei ihm gedankt. Denn es ist Hermann, der in die Beziehung zwischen Lisa und dem Fürsten eindringt, wie auch Onegin Tatjana aus Fürst Gremins Armen lösen will. Igor Golovatenko sang »Ya vas lyublyu« als Liebeserklärung mit legato gesponnenen Linien und war vom ersten Auftritt bis zum finalen Karten-Duell mit Hermann jener Humanist, als welchen ihn Modest Tschaikowski im Libretto zeichnete. Schade, daß Neuenfels während Jelezkis Arie nichts Besseres einfiel, als eine die Zukunft vorwegnehmende Familienaufstellung durch­zu­führen. Golovatenkos Gesangskunst mißtraute.

»Pique Dame«, 2. Akt: Igor Golovatenko (Fürst Jelezki) und Evgenia Muraveva (Lisa) © Salzburger Festspiele/Ruth Walz

»Pique Dame«, 2. Akt: Igor Golovatenko (Fürst Jelezki) und Evgenia Muraveva (Lisa)

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

VIII.
Evgenia Muraveva, die Lisa dieser Produktion, wird einigen als die Zweitbesetzung der Katerina Ismailowa aus dem Vorjahr in Erinnerung sein. Am Premièren-Abend der Pique Dame blieb sie farblos, vermochte nie zu fesseln. Selbst in der großen Szene mit Hermann, welche doch die Entscheidung zu ihren Gunsten bringen soll, vermißte ich jene Dringlichkeit, ohne welche sich kein Mann erobern läßt. Mag sein, daß Neuenfels mit Muraveva nicht in not­wendigem Maße gearbeitet hat, sie darob keinen bleibenden Eindruck zu hinterlassen wußte. Dann wäre allerdings durch stimmliche Präsenz wettzumachen gewesen, was szenisch versäumt ward. Aber Muravevas Stimme verliert — bei allem Kern, welcher ihr eignet — in der Höhe den Fokus, wird scharf. Läßt im tiefen Register Volumen missen.

IX.
Brandon Jovanovich zeichnet den Hermann von Anfang an als einen Zerrissenen: zwischen dem, was gesellschaftlich möglich ist, und seinen Gefühlen. Jovanovich ist den ganzen Abend hindurch schauspielerisch und gesanglich präsent, läßt einen die gewaltige Bühne des Großen Fest­spielhauses vergessen machen. Keine kleine Leistung, das.

Der U.S.-Amerikaner zählt gewiß zu den besten Rollenvertretern des Hermann unserer Tage. Noch im Finale weiß er mit einem sehr schön gestalteten Vortrag von »Shto nasha zhizn? Igra!« zu beeindrucken. Jovanovichs Stimme klingt, egal ob im piano oder im forte, den ganzen Abend hindurch gut geführt. Eine überzeugende Leistung.

»Pique Dame«, 3. Akt: Vladislav Sulimsky (Graf Tomski/Plutus), Stanislav Trofimov (Surin), Alexander Kravetz (Tschekalinski), Igor Golovatenko (Fürst Jelezki), Gleb Peryazev (Narumow), Pavel Petrov (Tschaplizki), Brandon Jovanovich (Hermann) und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor © Salzburger Festspiele/Ruth Walz

»Pique Dame«, 3. Akt: Vladislav Sulimsky (Graf Tomski/Plutus), Stanislav Trofimov (Surin), Alexander Kravetz (Tschekalinski), Igor Golovatenko (Fürst Jelezki), Gleb Peryazev (Narumow), Pavel Petrov (Tschaplizki), Brandon Jovanovich (Hermann) und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

© Salzburger Festspiele/Ruth Walz

X.
Einmal mehr bezieht ein Abend in Salzburg seine Festspielwürdigkeit durch das Zusammenspiel zwischen Dirigent und Orchester. Wie Mariss Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker Tschaikowskis Partitur auffächert, zum beredten Advokaten eines seiner Lieblingswerke wird: die Kostbarkeit dieses Abends. Da läßt einer seiner Liebe zu dieser Musik freien Lauf und vertraut auf das Orchester, ihm willig zu folgen. Gemeinsam lädt man die Sänger ein. Und in den instrumentalen Stellen sowie jenen mit der sehr gut studierten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) entstehen jene Momente, die bleiben.
Das Wunder einer Sommernacht.

XI.
Ansonsten: In Salzburg nichts Neues.

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