» Don Giovanni «, 2. Akt: Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und Philippe Sly (Leporello) in der Friedhofsszene der das Schauspiel in den Vordergrund rückenden Sichtweise von Barry Kosky © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Don Giovanni «, 2. Akt: Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und Philippe Sly (Leporello) in der Friedhofsszene der das Schauspiel in den Vordergrund rückenden Sichtweise von Barry Kosky

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Wolfgang Amadeus Mozart:
» Don Giovanni «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Barry Kosky ward von der Direktion der Wiener Staatsoper dazu auserkoren, Mozarts Don Giovanni zu inszenieren. Wer Koskys Arbeiten kennt, weiß, daß er selten am (Noten-)Text interessiert ist.

Anstelle der zu verhandelnden Geschichten erzählt Kosky seine eigenen: zur Freude vieler Intendanten und großen Teilen des Feuilletons (das doch nie seine Karten selbst bezahlt) ebenso wie sich progressiv gebenden Teilen des Publikums und um Engagements konkurrierender Sänger. Auch diesmal stimmen weder die Orte noch die Zeiten der Handlung. Daß solches, nicht nur durch gesellschaftlichen Wandel begründet, Werk und Thema ad absurdum führt, scheint nicht weiter von Belang.

II.
Katrin Lea Tag entwarf denn auch zeitgenössische, dabei langweilige Kostüme im Stil der 1980-er Jahre. Ließ eine karge, die komplette Bühne einnehmende, nach hinten ansteigende Felslandschaft in schweigendem Steingrau schaffen (Licht: Franck Evin). Während im ersten Akt Donna Anna und Don Ottavio an der Rampe ihre Arien zum besten geben, » pflanzen « hinter dem heruntergelassenen Zwischenvorhang kundige Hände übergroße Blumen und Sträucher für die Szenen in Don Giovannis Schloß. Darin geht es zu wie im Sommernachtstraum: Die Artistinnen und Artisten der Ape Connection tollen über die Bühne, fast alle tragen aus Blumen und Blättern gefertigte Kopfbedeckungen, Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio sogar als Masken.

Der zweite Teil des Abends eröffnete mit einer an einen versteinerten Baum gemahnenden, mittig plazierten Felsformation. In deren Krone saß Donna Elvira, unten tummelten sich Don Giovanni und Leporello. (Im selben Bühnenbild könnte man auch Rusalka spielen. Oder Das Rheingold.) Später ersetzten die kundigen Hände den aufragenden Felsen durch ein Wasserloch, darin Don Giovanni und Leporello ausgiebig plantschten. (Vastehste?) Hoffentlich weiß wenigstens der Spielvogt, was dies mit der in der Partitur beschriebenen Friedhofs- und der sich daran anschließenden Gastmahlszene zu tun hat…

III.
Nicht nur während der Bühnenumbauten im ersten wie im zweiten Akt agierten Donna Anna und Don Ottavio vor geschlossenem Zwischenvorhang an der Rampe. Immer wieder ließ der Spielvogt auch in anderen Szenen unmittelbar vor dem Souffleurkasten stimmlich agieren. (Was wunder, handelte es sich doch um den einzigen ebenen Bereich des gesamten Bühnenbildes.) Merke: Taten dies die Vorväter, beklagt man » Konzerte in Kostümen «. Verfahren die selbst engagierten Spielvogte ebenso, heißt man’s » aufregendes Musiktheater « und die Erarbeitung eines Werkes mit » einem jungen, auch szenisch herausragenden Mozart-Ensemble. « (© Pressebüro der Wiener Staatsoper)

In Wahrheit handelt es sich um die Bankrotterklärung der szenisch und musikalisch Verantwortlichen. (Früher war nicht nur mehr Lametta. Früher wußten Regisseure Szenenwechsel zu gestalten. Früher …)

» Don Giovanni «, 1. Akt: Peter Kellner (Masetto), Kyle Ketelsen (Don Giovanni), Patricia Nolz (Zerlina) mit gerafftem Kleid und die Ape Connection in Don Giovannis Schloß © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Don Giovanni «, 1. Akt: Peter Kellner (Masetto), Kyle Ketelsen (Don Giovanni), Patricia Nolz (Zerlina) mit gerafftem Kleid und die Ape Connection in Don Giovannis Schloß

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Was gibt nun Kosky? Don Giovanni — nicht. Doch wär’s die zu erfüllende Aufgabe gewesen.

Beim Spielvogt sitzt der Leporello des Philippe Sly im Hoodie mit aufgesetzter Kapuze, T-Shirt und eng anliegender Hose in der kahlen Felsenlandschaft. Müht sich durch Notte e giorno faticar. Am Ende des Abends wird er wieder dort sitzen. (Die logische Klammer des Ganzen. Vastehste?) Voglio far il gentiluomo, singt Sly. In diesem Aufzug? Sollte Leporello nicht in Habitus und Kleidung seinem Herrn nacheifern?

Egal. Kaum hat Leporello seine Klage beendet, taucht Don Giovanni nach den Hilfeschreien Donna Annas links oben am Horizont der Steinwüste auf. Jene, die den Fliehenden doch zurückhalten sollte — zumindest schien mir das nach den Regieanweisungen in der Partitur Da Pontes Intention als Ausgangspunkt für die weitere Szene zu sein —, folgte in fünf Metern Abstand: in einem scheußlich gemusterten Kleid und kniehohen schwarzen Stiefeln, wie sie die Damen jener Zeit bekanntlich gerne trugen. Niemand in der gesamten Produktion schien es zu stören, daß Don Giovanni sich leicht aus dem Staub machen konnte. Auch verbarg er sein Gesicht nicht, weshalb Donna Anna den Eindringling erst nach der bald folgenden Quartettszene nur an dessen Stimme erkannte. (Vastehste?)

Im Rezitativ vor Madamina, il catalogo è questo sagt Leporello: Guardate questo non picciol libre. Doch es gibt kein Buch, wie es auch keine Degen, keine Requisiten gibt. Ebensowenig die Dienerschaft in Don Giovannis Schloß oder des Commendatore Haushalt, weshalb der Erschlagene irgendwann einfach aufsteht und langsam von der Bühne geht.

So geht es weiter, Szene für Szene. Wenig stimmt überein mit dem gesungenen Text. In jeder Szene lenkt Äußerliches von der Musik ab. Doch auch Philippe Jordan, den Musikdirektor des Hauses und Dirigenten des Abends, scheint solches nicht zu interessieren …

V.
Philippe Jordan: Er spielt auch das Hammerklavier; — es sei. Mit dem Orchester der Wiener Staatsoper gelingt ihm nur eine wenig mehr als gediegene musikalische Umsetzung. Da bekamen die Opernfreunde in der von vielen gelästerten Direktionszeit Dominique Meyers bessere, interessantere Lesarten zu hören — im Repertoire, wohlgemerkt.

Das Ergebnis von Jordans Tun bleibt im Unverbindlichen. Positiv vermerken will ich, daß nicht jede Nummer durch den enervierenden Einsatz des Continuos zerschnitten ward (wie sommers in Salzburg). Von dem, was einstens ein Karl Böhm, ein Josef Krips an musikalischer Gestaltung zuwegebrachten, scheidet diese Wiedergabe Welten. Jeder Gedanke an Bruno Walters aufregende, dabei fein gearbeitete Aufführung bei den Salzburger Festspielen 1937 verbietet sich ohnedies.

VI.
Die Wahrheit: Mit ein, zwei Ausnahmen genügte keiner der engagierten Sänger den stimmlichen Anforderungen seiner Partie. Kaum eine Phrase klang technisch durchgearbeitet, ward auf einem Atem, in einer Lautstärke, mit steter Tongebung gesungen. Einmal mehr wurde allen, die zuhören wollten, das ursächliche Problem des tonalen Ungleichgewichtes in der Struktur der Stimmen erkennbar: die fehlende bzw. ungleichmäßige Aktivierung der unteren Stimmfamilie. Oft wechselten der Stimmdruck und damit die Stimmfarbe innerhalb eines Wortes, waren Silben kaum vernehmbar. Legato? Fehlanzeige.

Gleiches galt für die Rezitative: Auch in diesen bildeten unvermittelte Wechsel in der Lautstärke die Regel denn die Ausnahme. Sie wurden gesprochen, nicht deklamiert — eine für den Theaterraum doch unabdingbare Voraussetzung.

» Don Giovanni «, 2. Akt: Kate Lindsey (Donna Elvira), Philippe Sly (Leporello) und Kyle Ketelsen (DonGiovanni) in der Ständchenszene © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Don Giovanni «, 2. Akt: Kate Lindsey (Donna Elvira), Philippe Sly (Leporello) und Kyle Ketelsen (DonGiovanni) in der Ständchenszene

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VII.
Daß Patricia Nolz als Zerlina und Peter Kellner als Masetto den Gästen um nichts nachstanden, kann man als erfreuliches Zeichen werten. Oder aber als Ausdruck eines erschreckend niedrigen gesanglichen Niveaus.

Nolz schien mir die meiste Zeit über ihre Stimme abzudunkeln. Vieles klang darob ein wenig guttural; verschattet. Opaque. (Wer wissen will, wie Vedrai carino auch klingen kann, nein, klingen soll, höre sich Elisabeth Schumanns Aufnahme an.) Darüberhinaus zeigte sich Nolz vor der Pause durchwegs damit beschäftigt, ihren Rock zu raffen, um auf der unebenen Bühne nicht der Länge nach hinzuschlagen. Daß solches der gesanglichen Leistung nicht zuträglich ist, versteht sich von selbst. Daß solche Beschwernis während der Proben nicht auffällt, scheint kaum vorstellbar. Und doch ist es so.

Peter Kellner versuchte sich an einem kraftvollen Masetto, anstatt sich seines gesangstechnischen Rüstzeugs zu besinnen, seine Stimme einfach klingen zu lassen. Weniger wäre mehr gewesen.

Ain Anger kam in der Partie des Commendatore dem, was man einst ohne großes Brimborium ganz selbstverständlich unter legato verstand, am nächsten. Anger stand mir sogar zuviel » auf dem Pedal «, wenn es um die Bindung der einzelnen Noten ging. Das Genie des Spielvogtes duldete in der Friedhofsszene den Commendatore nicht auf der Bühne. Angers Stimme wurde über Lautsprecher zugespielt: so blechern, so künstlich, daß ich mich wunderte, wie sich eine auf ihren Ruf bedachte Tontechnik mit solchem Ergebnis zufriedengeben konnte. (Selbstverständlich hätte der von dieser Direktion so oft im Mund geführte Gustav Mahler Einspruch gegen einen derartigen Unsinn erhoben. Sein Commendatore wäre entweder auf der Bühne gestanden oder hätte — unverstärkt, wie’s guter Brauch — von der Seitenbühne oder aus dem Orchestergraben gesungen.)

Hanna-Elisabeth Müller: auch in dieser Inszenierung keine Donna Anna. Oftmals gequetschter Ton, langsames Vibrato gaben trauriges Zeugnis. Man denke an Elisabeth Rethberg. Dann denke man das Gegenteil.

Gleiches gilt für Stanislas de Barbeyrac als Don Ottavio: Ab dem passaggio klang seine Stimme zunehmend enger, gepreßt. Angestrengt. Die Spitzentöne wurden nur mit Mühe erreicht. Il mio tesoro intanto: vergeben. (Man unterdrücke den Beißreflex des » Heute singt man das anders « und höre sich die Alten an — etwa Dino Borgioli.)

Kate Lindsey versuchte der Partie der Donna Elvira ohne hörbaren Einsatz des Brustregisters beizukommen: ein aussichtsloses Unterfangen. Das ab der Mittellage oftmals eine heulend klingende, kopfige und dabei luftige Tongebung zur Folge hatte. Lindseys Stimme eignet kein Kern, vom Haus ausgerufener Publikumsliebling hin oder her: Gerade die Partie der Donna Elvira bedarf jener tonalen Resonanz, jenes stimmlichen Fundaments, die sie uns nicht nur als Liebende, sondern auch als Jägerin Don Giovannis ausweist. — Welch köstliche Idee Da Pontes! (Und wie vergeben in dieser Nicht-Inszenierung, die vergißt, daß Mozart Don Giovanni als opera buffa in sein Werkverzeichnis eintrug.)

Philippe Sly mühte sich stimmlich nach dem Figaro auch mit der Partie des Leporello. Zu unstet war mir die Tongebung, zu stark variierend der Druck auf die Stimme. Dauerhaft auf Linie zu singen wird so zur Unmöglichkeit. Daß Sly attraktiv aussieht und akrobatische Einlagen zu vollführen weiß, ändert halt nichts am von den Spielvogten und Dramaturgen perpetuierten Mißverständnis von der Oper als Schauspiel. Denn Oper ist Theater durch Gesang. (Das ist es.)

Auch der Don Giovanni des Kyle Ketelsen ließ gesanglich zu viele Wünsche offen. (Nicht nur) für Là ci darem la mano ist nun einmal die Beherrschung des legato vonnöten. Wie sollen wir an die Verführungskünste des Titelhelden glauben, wenn es ihm nicht gelingt, nicht nur Zerlina, sondern auch uns mit seiner Stimme zu umgarnen? Ich muß nicht einmal die Lebenden mit den Toten erschlagen. Es reicht, an Peter Mattei zu erinnern. Wie anders klang damals das Ständchen …

VIII.
» Eine Inszenierung kann modern sein und zugleich unglaublich trostlos «, so Direktor Roščić in der aktuellen Ausgabe von Opernring Zwei.
Das scheint mir eine hübsche Zusammenfassung des Abends.

203 ms