Richard Wagner: »Parsifal«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Kaum zu glauben, daß Valery Gergiev mit dieser Vorstellung sein Debut als Operndirigent an der Wiener Staatsoper gab. Daß das »Konzert für Österreich« am 26. Oktober 2004 mit den Wiener Philharmonikern sein bislang einziges Auftreten im Haus am Ring war. Gergiev leitete Parsifal (mit den Wiener Philharmonikern) bereits bei drei konzertanten Vorstellungen im Salzburger Festspielsommer 1998. (Eine gewisse Anna Netrebko sang damals eines der Blumenmädchen.)
III.
An Abenden wie diesem stört selbst die Mediokrität dessen, was Alvis Hermanis unter einer Inszenierung versteht, wenig. Einzig die Frage bleibt, wie solches Tun ungestraft den Deckmantel der »Freiheit der Kunst« für sich in Anspruch nehmen darf. (Ich stellte dies bereits fest.)
IV.
Nun also: Valery Gergiev dirgiert Parsifal an der Wiener Staatsoper. Der Intendant des St. Petersburger Mariinskij-Theaters läßt keinen Zweifel, daß es in der Oper vor allem der musikalischen Interpretation bedarf. (Nicht der szenischen, wie fälschlicherweise immerzu behauptet.) Bedächtig hebt das Vorspiel zum ersten Aufzug an, gewinnt an Klang und Macht. Immer wieder steht Gergiev auf, wenn die Intensität von Musik und Gesang zunehmen. Immer wieder flirren die Finger der linken Hand, wie um dem Orchester der Wiener Staatsoper noch mehr, noch feineren Klang zu entlocken. Was an diesem Abend aus dem Graben tönt: Das klingt schon sehr, sehr schön…
In der Enthüllungsszene des ersten Aufzugs türmen sich die Klangmassen, vereinigen sich mit den Glocken und den bestens disponierten Herren des Wiener Staatsopernchors. Gleichzeitig bleibt der Klang immer durchhörbar; mutiert nie zu Lärm; deckt die Sänger nicht zu.
V.
Gergievs Lesart ist stringent, ohne jedoch gehetzt zu wirken. Der Russe schafft es, die Bögen über die einzelnen Aufzüge zu spannen wie die alten Baumeister ihre Wölbungen der großen Kathedralen. Wollte ich einen Schwachpunkt suchen, ich fände ihn zu Beginn des zweiten Aufzuges: Denn Boaz Daniel wirkt als Klingsor zu sympathisch, als daß man ihm abnähme, was er zu singen hat. Dies liegt daran, daß sein Bariton doch einige technische Schwächen hören läßt: Wagner soll ebenso legato gesungen werden wie das italienische Fach. Zuviel stimmliche Behäbigkeit.
VI.
Auch die Kundry der Elena Zhidkova überzeugt bei ihrem Rollen-Debut im Haus am Ring nicht vollends. Gewiß, die untere Mittellage klingt betörend und mit vollem Klang. Zhidkova weiß, wie sie ihre Kopfstimme vorteilhaft einsetzt. Die Höhen allerdings… Sie fügen sich nicht organisch in das Ganze. Ebenso macht die Sängerin nur sparsamen Gebrauch von der Bruststimme. Das mag bei Zhidkova eine künstlerische Entscheidung sein. Dennoch ist es schade, denn im Brustregister ruht die Kraft, das Fundament einer Stimme. Kommt dieses Register zu seinem Recht, entsteht große Oper.
Daß diese Kundry dennoch — nicht zuletzt dank ihres Spiels — zu betören weiß, steht außer Frage: Weder Nina Stemme in der Première 2017 noch Anja Kampe im Vorjahr wußten ihre Parsifal-Kollegen derem Untergang so nahe zu bringen. Auch stimmlich.
VII.
Die Blumenmädchen — sind nicht, was sie sind. Ebenso die als Oberärzte verkleideten Gralsritter und die Knappen. Dies gilt leider auch für die stimmliche Umsetzung, womit das Rätsel, warum die Aufführung im zweiten Aufzug schwächelt, beantwortet scheint. (Wobei Clemens Unterreiner als Zweiter Gralsritter seinen Kollegen Leonardo Navarro nach allen Regeln der Kunst überflügelt.)
VIII.
Simon O’Neill singt und spielt den Parsifal. Er spielt ihn besser. O’Neill singt mit viel Duck auf die Stimme, vor allem in der oberen Mittellage. Da klingt der Ton oftmals gequetscht. Und ein-, zweimal flüchtet er sich bei Spitzentönen ins Falsett. Schauspielerisch bietet dieser Parsifal allerdings einiges: Er ist nahe daran, schon im ersten Aufzug die Frage an Amfortas zu stellen. Im zweiten Aufzug gelingt die Verführungsszene mit Kundry sehr eindringlich; ebenso die Erkenntnis-Szene. (Der Sänger wird mir beipflichten, daß er sich noch nie so leicht die heilige Waffe gewann als in dieser absurden Interpretation.) Alles in allem bietet O’Neill eine gute Leistung.
IX.
Auch der Amfortas des Thomas Johannes Mayer bleibt von den hanebüchenen Ideen des Spielvogts nicht verschont. So schleppt er sich, die rechte Hand immerzu zitternd, vom Bett ins Bad, vom Bett zum Gral, vom Bett zum Sarg Titurels, welchen er, seines Siechtums zum Trotz, im dritten Aufzug öffnen muß. Während Gerald Finley in der Première mit schlank geführtem Bariton ein Psychogramm des Gralskönigs zeichnete, gibt sich Mayer (auch stimmlich) robuster. Das klingt dann schon das eine oder andere Mal rauher. (Als hätte er den griechischen Staub des Orestes noch nicht aus der Stimme geklopft.) Dafür kraftvoller; wenngleich stimmlich weniger überzeugend. Glaubt man übrigens dem Archiv der Staatsoper mehr als dem Abendzettel, gibt übrigens auch Mayer an diesem Abend sein Wiener Rollen-Debut als Amfortas.
X.
Eigentlich — eigentlich müßte das Werk ja Gurnemanz heißen. Denn die große Baßpartie steht im Zentrum jeder Parsifal-Aufführung. Dies umso mehr, wenn René Pape, wie schon anläßlich der Première, dafür gewonnen werden kann. Papes Stimme strömt vom ersten Augenblick an. Gewiß gab es Vorgänger mit vollerem Klang. Doch warum die hinabgesunkene Vergangenheit bemühen? Denn gesangstechnisch bietet Pape die beste Leistung des Abends. Nur ein-, zweimal, wenn Wagner die Stimme ins passaggio führt, schwächelt dieser als Primarius verkleidete Gurnemanz. Kurz.
Sonst ist Pape der unumschränkte Gebieter über diese Abteilung im »Wagner Spital« (© Spielvogt Alvis Hermanis und möglicherweise Verhöhnung der Anhänger dieses Komponisten). Für die Saison 2020/2021 ist übrigens die Schließung der Station ins Auge gefaßt. Aber das — ist eine andere Geschichte…
XI.
Wenn Parsifal so überzeugend klingt wie gestern: Dann kann Ostern kommen.