Richard Wagner: »Götterdämmerung«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Da wäre zum ersten der Graben. Selten noch galt es, in der Vorstellung eines Werkes des Bayreuther Meisters so viele Unsauberkeiten und (hörbare) Fehler des Staatsopernorchesters zu verzeichnen. Da geriet man des öfteren auseinander, da patzten Blech und Holz bis weit in den dritten Aufzug hinein, da mißlangen auch auf der Bühne alle Hornrufe auf das Vortrefflichste.
Als Besucher ist man versucht, Axel Kober am Pult dafür verantwortlich zu machen, der, wie schon im Rheingold, mit großer Geste Dynamik forderte und doch oftmals nur gehetzten Lärm erntete. Denn wiederum wollte der Beobachterstatus nicht weichen, sich die emotionale Verbindung zu Bühne nicht einstellen. Wenn Brünnhildes Schlußgesang auf einer nie zuvor gehörten Aufnahme aus dem Jahr 1949 mehr berührt als Iréne Theorins und Axel Kobers Wirken im Opernhaus: Darf man dann annehmen, daß etwas falsch ist?
Allerdings: Schlägt man den Terminkalender der Wiener Philharmoniker im Monat Jänner 2019 auf, erfährt man, daß das Orchester nach dem Siegfried-»Dienst« am Mittwoch am Donnerstag abend im Musikverein eine Soirée unter Michael Tilson-Thomas gab und mit einem zweiten Programm am Freitagabend in Lugano und am Vorabend in Frankfurt gastierte. Und erfährt, daß das Orchester den Rückflug erst am Sonntagmorgen antrat. Da blieb kaum Zeit für Proben. (Selbst wenn einige Damen und Herren des Reiseorchesters für die Oper Substituten geschickt haben sollten.)
Doch scheint mir die Bezeichnung »Symbiose« für solches Tun zu stark. Und die leise Erinnerung — auch an die Direktion des Hauses — angebracht, daß die Tätigkeit im Orchester der Wiener Staatsoper der erste Brotberuf, alles andere Nebentätigkeiten sind. Und daß man nämliches Wirken in der Privatwirtschaft wohl unter »Fahrlässigkeit« subsummierte.
III.
Daß an diesem Abend auch die Gesangsleistungen vielfach Wünsche offen ließen, fällt da kaum mehr ins Gewicht. Man mag die Gesänge der Nornen (Monika Bohinec, Ulrike Helzel und Fiona Jopson) und der Rheintöchter (Maria Nazarova, Ulrike Helzel und Zoryana Kushpler) mit allen Ungenauigkeiten, unerwünschten Vokalfärbungen und fehlenden Stimmkräften als in Nebenrollen zu entschuldigen verbuchen. Für die Hauptpartien gilt solches nur eingeschränkt.
IV.
Die Begegnung zwischen Brünnhilde und Waltraute: eine der Schlüsselszenen dieses Abends. Die Stimme der im verklingenden Abendrot ihrer Carrière singenden Waltraut Meier hinterläßt einen kompakteren Eindruck als jene ihrer jüngeren Kollegin. Meiers Artikulation ist immer noch von einer beeindruckenden Klarheit. Beiden gebricht es allerdings an Durchschlagskraft und Animo, das Zwiegespräch tröpfelt ebenso langatmig dahin wie das dasselbe einleitende Orchesterzwischenspiel. Da fehlt es an durch Gesang gestalteter Dramatik.
V.
Was Meier mit ihrem Kollegen Falk Struckmann in der Partie des Hagen eint: Beide wissen um ihre eingeschränkten stimmlichen Mittel. Und ebenso, wie sie diese bestmöglich einzusetzen vermögen. So kommt im zweiten Aufzug in Hagens Duett mit seinem Vater Alberich — gut gesungen von Jochen Schmeckenbecher — und in der sich daran anschließenden Chorszene endlich jene Dramatik auf, welche dem Abend bislang gebrach. Struckmanns Hagen trägt gemeinsam mit Stephen Goulds Darstellung des Siegfried die Aufführung.
VI.
Anna Gabler ist mit der Partie der Gutrune überfordert. Die stimmlichen Mittel reichen in keiner Szene für eine nachhaltige Gestaltung. Ganz im Gegensatz zu Tomasz Konieczny als Gunther. Koniecznys immer präsenten Akzent mögen einige als unerwünscht, weil nicht genuin deutsch, ablehnen. Wie er den willenlosen, in Hagens Netz gefangenen Gibichung spielt, verdient allerdings ebenso Zustimmung wie seine über weite Strecken geübte stimmliche Zurückhaltung.
VII.
Stephen Gould ist Siegfried — ist Stephen Gould. Weilt er uns fern, sehnen wir uns nach ihm. Ist er uns nah, bewundern wir seine Kraftreserven. Kommen aber nicht umhin zu bemerken, daß Goulds Phrasierungskunst immer mehr der Produktion von — noch beeindruckenden — Tönen weicht. Allerdings scheint Gould mit seinem Wirken jene Voraussetzungen zu erfüllen, welche heutzutage an Sänger im Wagner-Fach gestellt werden. … Ob auch der Bayreuther Meister mit solcher Interpretation einverstanden wäre? Das wage ich — nicht zuletzt angesichts seiner Schriften — zu bezweifeln.
VIII.
Nämliches gilt es von Iréne Theorin als Brünnhilde zu berichten. Spätestens beim Schlußgesang, welchen sie durch fortwährende Zurücknahme der Stimme ins pianissimo zu gestalten suchte, wurde deutlich, daß auch Wagners Werke des aktivierten Brustregisters bedürfen. So wurd’s das eine oder andere Mal unhörbar, blieb distanziert, während Theorins Höhe vergeblich mit schrillen Tönen zu glänzen trachtete. Dies das Ende eines Abends, in dessen Verlauf sich die Sängerin so manche Freiheit in versuchter Phrasierung und einige Intonationstrübungen gestattete. Darf das immer wieder ins Treffen geführte Argument, wonach die Opernwelt derzeit nichts Besseres zu bieten habe, ernstlich dazu mißbraucht werden, was wir hören müssen, als »sehr gut« oder »ausgezeichnet« zu bejubeln?
IX.
Sollte dem so sein, stehle ich mich gerne aus diesem Bund. Auf Gleichgesinnte hoffend, welchen aufmerksames Zuhören und emotionale Beteiligung an einem Abend gleiche Anliegen sind.