»Die Frau ohne Schatten«, 3. Aufzug: Die Amme (Evelyn Herlitzius) und die Kaiserin (Camilla Nylund), bevor sie voneinander scheiden © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Die Frau ohne Schatten«, 3. Aufzug: Die Amme (Evelyn Herlitzius) und die Kaiserin (Camilla Nylund), bevor sie voneinander scheiden

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss:
»Die Frau ohne Schatten«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Die Stücke: Sie entwickeln sich, von Aufführung zu Aufführung. Selten gilt uns die Première als beste Vorstellung einer Serie; öfter noch die letzte. So wie gestern. (Die Arbeit ist ja fast getan.)

Der Spielvogt und das Feuilleton sind längst schon weitergezogen. ersterer als Henker eines weiteren Werkes aus dem Kanon; die Mitglieder des letzteren zum nächsten »Klassik-Event«, welchen es mit schnoddrigen, vermeintlich witzigen Formulierungen zu bedenken gilt. (Und dennoch wissen sie die eigene Unwissenheit kaum zu verbergen.)

II.
Auf der Bühne herrschte die Erleichterung der letzten Stunden; im Graben Überschwang. Nun ist man wieder angekommen bei Strauss’ opus magnum; bei inzwischen geänderter Besetzung. Munter spielte man darauf los, gab dem Kapellmeister, was des Kapellmeisters war. Und wenn das über weite Strecken organisch sich Fügende das eine oder andere Mal doch zu lärmen drohte: Was tat es, wenn man gemeinsam mit Christian Thielemann in diesen Klangräuschen schwelgen konnte?

Robert Nagy steuerte ein Cello-Solo bei, welches in seiner Intensität, seinem Locken nicht abfiel von den Leistungen seiner Vorgänger an dieser Position. Volkhard Steude erinnerte mit caressierenden Tönen seiner Stradivari daran, welchen Anforderungen ein Konzertmeister des Staatsopernorchesters zu genügen hat. Und wie wenige diese zu erfüllen vermögen.

Auch die Chöre klangen besser und prägnanter (selbst in den kleinen Besetzungen der drei Wächter); waren »beisammen«, wie man das in Wien nennt. Fände man nun eine Möglichkeit, die abseits der Bühne gesungenen Passagen nicht künstlich zu verstärken, sondern auf natürliche Weise — z.B. aus dem großen Leuchter — erklingen zu lassen: Man hätte Großes zu bieten…

III.
Die Sänger der Hauptpartien steigerten sich samt und sonders seit der Première: am meisten vielleicht Evelyn Herlitzius in der Partie der Amme. Vor allem im ersten Akt bestach sie, sich ihres Wissens und Könnens besinnend. In den nachfolgenden: nicht mehr so sehr. Nina Stemme kämpfte weiterhin mit der Wortdeutlichkeit — vor allem im zweiten Aufzug und immer dann, wenn es darum ging, der Färberin vokale Höhen zu erklimmen oder von diesen abzusteigen. Stimmtechnische Anforderungen hin oder her, das Publikum sollte doch verstehen, was eines singt; — ohne auf die das Primat der Ohren zerstörenden Untertitel blicken zu müssen. Auch Camilla Nylund als Kaiserin vermochte in ihrer ersten Vorstellung als österreichische Kam­mer­sängerin nicht darüber hinwegzutäuschen, daß dem vollkommenen Glück des Opern­freun­des gesangstechnische Unzulänglichkeiten im Wege stehen. — Daß alle drei Damen nach dem heutigem Maße dieser Welt wenig Konkurrenz zu fürchten haben: Es darf nicht ablocken davon, daß anderes (und besseres) möglich sein müßte.

IV.
Marcus Pelz ersetzte kurzfristig Ryan Speedo Green als Der Einarmige (im Verein mit Thomas Ebenstein als Der Bucklige und Samuel Hasselhorn als Der Einäugige); rollendeckend wie seine Brü­der auch er. Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll Wolfgang Bankl bei seinem zweiten Einsatz als Geisterbote: stark und mit Nachdruck im ersten Akt, doch mit weniger Schmelz in der Stim­me als Vorgänger Sebastian Holecek. Maria Nazarova war wiederum als Stimme des Falken und Hüter der Schwelle des Tempels aufgeboten. Ob Hasselhorns und Nazarovas Lei­stun­gen allerdings ausreichen werden, um bei Plácido Domingos Operalia-Wettbewerb Ende Juli 2019 in Prag zu reüssieren?

V.
Stephen Gould sang einen verläßlichen Kaiser, gewiß; doch mit ausgestellten Spitzentönen, welche ihm, so scheint’s, nur mehr im forte gelingen wollen. Dieses war, aller Strauss’schen Ge­ring­schät­zung für Tenöre zum Trotz, so nicht intendiert. Was Wolfgang Koch als Barak betrifft: Ich bleibe bei meiner Einschätzung, daß er wiederum die beste Leistung des Abends bot. Opern­freunde, welche von Sängern auch in Strauss-Opern die Anwendung des legato erwarten: Koch enttäuschte sie nicht. Und verfügte dennoch über die notwendige Kraft, »zu jubeln wie kei­ner gejubelt«. Was will man mehr?

VI.
Vincent Huguets Arbeit wurde vielfach als »repertoire-tauglich« beschrieben. Man lobt solches in unseren Tagen als Merkmal für Qualität; — wo es sich dabei doch nur um die Zuschreibung einer Mindestanforderung handelt. Diese Produktion: Sie enthält so viele hand­werk­liche Fehler, daß ich mich wundere, wie solches unter Wahrnehmung der mu­si­ka­li­schen und or­gan­isa­to­rischen Verantwortung möglich ist. (Ich sagte dies bereits.) Die fol­gen­den Beispiele: Sie mö­gen es verdeutlichen.

Wenn sich der Vorhang zur zweiten Szene des ersten Aktes hebt, wird uns erstmals das Fär­ber­haus in all seiner Armseligkeit vorgestellt. Aber nicht einmal solches gelingt. Mitleid, Berührung: sie wollen sich nicht einstellen. Dennoch liest die Färberin bei Huguet in einem Buch. In einem Haushalt ohne Spiegel. Denn »dort überm Trog« (den uns Bühnenbildnerin Aurélie Maestre selbstverständlich verweigert) macht die Frau ihr Haar…

Nach Baraks erster großer Szene (»Speise für dreizehn«, in B-Dur, der Hoffnungstonart) darf er sich zum ersten Mal der Färberin nähern. »Die Frau hat sich abgekehrt, wie er sie anrührt, schüt­telt sich«, schrieb Strauss als Regieanweisung in die Partitur. In diesem Moment spielen die Streicher eine rasch absteigende Tonfolge. Sie wird sich in den darauffolgenden Takten noch zweimal wiederholen. Strauss setzte also der Färberin Reaktion auf Baraks empathische Geste in Musik. Doch dem Spielvogt … ist solches einerlei. Ist es nicht bemerkenswert, daß weder Nina Stemme noch Wolfgang Koch oder Christian Thielemann da während der Proben Einspruch erhoben? Solches zuließen?

Was macht es schon aus, daß sich Barak während des nachfolgenden, instrumentalen und über­irdisch schönen Zwischenspiels (in D-Dur) auf die Färberin legt, wo Hofmannsthal doch im Text »Er kniet nieder zur Arbeit« vermerkte? Doch wie soll uns, das Publikum, danach die Ver­zweif­lung der Frau — »Dritthalb Jahr bin ich dein Weib und du hast keine Frucht gewonnen aus mir […]« — berühren?

Was haben in der zweiten Szene des zweiten Aktes die toten(?) Soldaten am Boden verloren, wenn das kaiserliche Falknerhaus vorgeblich »einsam im Walde« steht? Wieso birgt sich sich die Kai­serin im Dunkel, wo sie doch erst im Laufe der Szene hinter der Amme »zwischen den Bäumen herangeschwebt« kommen soll? Dieses »Heranschweben« komponierte Strauss übrigens den Flö­ten und ersten Violinen in die Stimmen. Sollte die Bühnentechnik der Wiener Staatsoper zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr in der Lage sein, ein solches Schweben szenisch umzusetzen?

Das vierte Bild des zweiten Aktes stellt das Schlafgemach der Kaiserin im Falknerhaus vor — bei Hofmannsthal und Strauss. Bei Huguet: nicht.

Also beobachten wir die Kaiserin beim Schlaf­wandeln und ihren Mann, wie er, nachdem die Diener des Tempels ihm den Kaisermantel abnahmen, die Schwelle des Todes überschreitet. Das ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Einmal, weil der Kaiser im zweiten Bild, in einen Jagdrock gekleidet, singt: »Auf mein Pferd, und du, Falke, voran! Und führ mich hinweg von diesem Ort […]« Und doch findet er die Zeit, den eigentlich praktischen Jagdrock gegen den fast bodenlangen Mantel zu tauschen? — Und zum zweiten, weil der Kaiser, wenn er uns im dritten Akt, versteinend, wiederkehrt, den Kaisermantel trägt. Wie aufmerksam von Keikobads Gei­stern, ihm — Majestät bleibt eben Majes­tät! — beim Ankleiden zu helfen, ehe er im Felsen­fau­teuil zum Versteinen Platz nehmen darf…

Der geneigte Leser erkennt: Dieser Abend stolpert von einem szenischem Fehler zum nächsten. (Deren gibt es noch andere mehr.) Dennoch wäre mit der Umsetzung der Spielanweisungen aus der Partitur allein nichts gewonnen. Begänne doch die Arbeit eines Spielleiters erst danach; wäre des­sen Sinnen darauf zu richten, uns, das Publikum, zu berühren. — Allein, das Interesse aller Beteiligten daran scheint in unseren Tagen endenwollend.

VII.
Clemens Krauss schrieb einst an Richard Strauss: »Regie??? Da sieht es in Wien trostlos aus.« Vincent Huguet bestätigte dieses Diktum. Leider.

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